Klaus Iohannis fordert eine stärkere und solidarischere Europäische Union
Der rumänische Staatspräsident Klaus Werner Iohannis fordert eine stärkere und solidarischere Europäische Union, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist. In seiner Gedenkrede während der zentralen Gedenkveranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag am Sonntag, 17. November 2024, sagte Iohannis, die Furcht totalitärer Regime vor der Attraktivität europäischer Werte habe dazu geführt, dass die EU als Bedrohung wahrgenommen werde: „Die Kritiker der Europäischen Union sind die Feinde der Demokratie und Freiheit.“
Die Gedenkstunde im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas stand im Zeichen der deutsch-rumänischen Beziehungen und des Zusammenhalts in Europa. An der Gedenkstunde nahmen neben der Bundestagspräsidentin und Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier, der das Totengedenken sprach, auch Anke Rehlinger (SPD), Ministerpräsidentin des Saarlandes und Präsidentin des Bundesrates, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Doris König, und die Wehrbeauftragte des Bundestages, Dr. Eva Högl, teil.
„Deutsch-rumänische Freundschaft eng und intensiv“
Der rumänische Präsident versicherte, Deutschland werde in seinem Land stets einen Partner finden, der den europäischen Werten verpflichtet ist. Rumänien sei zur Zusammenarbeit bereit, um die EU zu stärken und dafür zu sorgen, „dass Freiheit und Demokratie sowohl in der Nachbarschaft als auch weltweit geschützt und akzeptiert werden“. Die deutsch-rumänische Freundschaft sei noch nie enger und intensiver gewesen, betonte der Präsident.
Im heutigen Rumänien bewahrten die deutsche und alle anderen Minderheiten ihre Identität und würden ermutigt, in der rumänischen Gesellschaft eine aktive Rolle zu spielen. So wie die Deutschen in Rumänien zum Aufbau des modernen Rumäniens beigetragen hätten, so trügen heute auch nahezu eine Million Rumänen in Deutschland zu dessen Wohlstand bei.
„Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen“
Mit Blick auf den Volkstrauertag mahnte Iohannis, sich stets bewusst zu sein, dass Geschichtsvergessenheit zur Wiederholung der Fehler der Vergangenheit oder zur Fortsetzung von Ungerechtigkeit führe: „Das Vergessen stellt eine zunehmende Gefahr dar, da die Generationen, die Krieg und Diktatur direkt erlebt haben, bald nicht mehr unter uns sein werden.“ Er schätze Deutschlands Engagement, jungen Menschen die Geschichte nahezubringen. Auch Rumänien setze sich dafür ein, dass die jungen Menschen in der Schule über die Fehler der Vergangenheit lernen „und sich dieser bewusst sind, um sie nicht zu wiederholen“.
Die Erinnerung an die Opfer von Kriegen und Totalitarismus und an die aufgrund ihres Glaubens sowie ihres Strebens nach Gerechtigkeit und Freiheit Verfolgten zu bewahren, ist nach Aussage des rumänischen Präsidenten „eine Pflicht und eine Form von Gerechtigkeit“. Er sei zuversichtlich, dass „wir den kommenden Generationen diese Pflicht zur Erinnerung und zur Gerechtigkeit vermitteln können“. Dies sei der „einzige Weg, wie wir den Aufbau einer besseren Zukunft sicherstellen können, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, betonte Iohannis.
Unterstützung für Ukraine und Moldau
Er stellte zudem fest, dass sich Propaganda- und Desinformationsmechanismen heute vermehrt verbreiten, weil sich diktatorische Regime auf das Prinzip stützten, dass „eine Lüge, die oft genug erzählt wird, zur Wahrheit wird“. Iohannis verwies auf die Aggression Russlands gegen die Ukraine: „Wir werden weiterhin an der Seite des ukrainischen Volkes stehen, das mutig und heldenhaft der vom Kreml angeordneten Invasion widersteht und der Macht und Brutalität des russischen Imperialismus trotzt.“
Die Risiken durch aggressive Diktaturen wie des russischen Regimes seien ein wichtiger Grund, warum sich Rumänien dafür eingesetzt habe, die Resilienz der Republik Moldau zu stärken. Rumänien bleibe fest entschlossen, die Ukraine und Moldau auf ihrem Weg in die EU zu unterstützen.
Schneiderhan: Feldzug auch gegen das eigene Volk
Auch der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, General a. D. Wolfgang Schneiderhan, ging auf den Krieg in der Ukraine ein. Die russischen Soldaten seien Teil einer brutalen Militärmaschinerie, aber auch sie würden zu Opfern dieses Krieges. Der Feldzug der russischen Führung richte sich auch gegen das eigene Volk: „Das war in Deutschland in den Weltkriegen nicht anders, und die vielen über ganz Europa verstreuten deutschen Kriegsgräberstätten, die wir pflegen, die legen davon ein Zeugnis ab.“
Die Angehörigen spürten die Lücke, die der Gefallene hinterlassen hat, auch noch in den nachfolgenden Generationen, sagte Schneiderhan. Jeden Tag erreichten den Volksbund zahlreiche Anfragen von Angehörigen nach dem Schicksal oder dem Sterbeort ihrer Familienmitglieder: „Immer noch bergen wir die sterblichen Überreste von Gefallenen, wir betten sie um und wir bemühen uns, sie zu identifizieren.“
„Die Demokratie stärken“
Nicht nur geschichtlich verbinde Deutschland und Rumänien vieles, weit über 20 Städtepartnerschaften brächten die Menschen zueinander, und auch durch den gemeinsamen Fluss Donau sei man miteinander verbunden, sagte der Volksbund-Präsident. Deutschland habe in den 1920er- und 1930er-Jahren beobachten müssen, wie die Verächtlichmachung der Demokratie, ihr Abwürgen durch extremistische Kräfte, den Krieg möglich gemacht hätten.
Wer den Frieden wolle, muss daher nach Ansicht Schneiderhans „die Demokratie stärken, in Schule und Universität, im demokratischen Engagement in Parteien, in den Parlamenten, in den Elternbeiräten und in den Bürgerinitiativen“. Die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft müssten ein Ansporn sein, zuhause wie überall in Europa für Frieden und Demokratie einzutreten: „Das sind wir den Gefallenen und Ermordeten schuldig.“
Der Krieg damals und der Krieg heute
Die Lesung gestalteten die Rumäninnen Aurelia Codruța Vârlan (24) und Raisa Manolescu (22) sowie die Deutschen Imke Scholl (28) und Katharina Eckstein (25).
Aurelia Codruța Vârlan erzählte von ihrem Großvater, der acht Jahre als Soldat an der Ostfront und in Kriegsgefangenschaft verbrachte. „Er sprach nie über seine Zeit in Gefangenschaft. Es gab keine Geschichten, keine Erinnerungen, die an seine Kinder oder Enkel weitergegeben wurden. Stattdessen hinterließ der Krieg im Stillen seine Narben, die sich auch auf seine Familie auswirkten.“ Das Schweigen nach dem Krieg könne fast genauso verheerend sein wie der Krieg selbst, sagte sie.
Raisa Manolescu sagte: „Die Illusion meiner Generation und der meinen, in einem Europa zu leben, in dem Frieden eine Selbstverständlichkeit ist, wurde am 24. Februar 2022 zerstört. Dieser Tag markiert nicht nur den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Er stellt auch den Moment dar, in dem der Krieg für junge Menschen in Rumänien und ganz Europa kein abstraktes Konzept mehr ist, sondern sich zu einer brutalen, konkreten Realität entwickelt, die sich direkt an unseren Grenzen abspielt.“
Imke Scholl berichtete von einer deutsch-polnisch-ukrainischen Jugendbegegnung, die ihr zu einem Herzensprojekt geworden sei. Zu den ukrainischen Teilnehmenden sagte sie: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass die zwei Wochen, die sie mit uns verbringen, für sie wie Urlaub sind. Zwei Wochen, in denen sie keine Angst vor Bomben haben und sich in Bunkern verstecken müssen. Zwei Wochen, in denen sie unbeschwert sein können.“
Katharina Eckstein erinnerte an ihre Großmutter, die am 16. November 1944 die Stadt Düren brennen sah und vor den näherkommenden Alliierten floh. Nach Kriegsende half ihr Urgroßvater Leonard, 226 gefallene deutsche Soldaten im Wald zu bergen und würdevoll zu bestatten. Sie sagte: „Die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges und ihre Mahnungen verschwinden zusehends. Daher ist es unsere und meine Pflicht, die Erinnerung an jenes Grauen nicht erlöschen zu lassen, auch und gerade nach 80 Jahren nicht.“
Musikalischer Rahmen
Die Gedenkstunde wurde musikalisch umrahmt vom Landesjugendchor Saar unter Leitung von Mauro Barbierato und dem Kammerensemble des Musikkorps der Bundeswehr Siegburg unter Leitung von Hauptfeldwebel Markus Plachta. Auf das Totengedenken folgten die Gedenkminute, die Totensignale „Der gute Kamerad“, vorgetragen von Solotrompeter Hauptfeldwebel Patrick Lorbach des Musikkorps der Bundeswehr Siegburg, und „Stingerea“, geblasen von Solotrompeter Hauptfeldwebel Ioan Petru Pascuțoi der 30. Protokoll Brigade „Mihai Viteazul“ der rumänischen Streitkräfte.
Die Gedenkstunde endete mit der Europahymne und der Nationalhymne. (vom/17.11.2024)