2. Untersuchungsausschuss

Zeuge sah keinen Sinn in Reservebetrieb von Kernkraftwerken

Eine Glocke steht auf dem Tisch im Saal eines Ausschusses.

Der Atomausstieg-Untersuchungsausschuss setzte seine Zeugenvernehmungen fort. (© DBT/Simone M. Neumann)

Zeit: Donnerstag, 14. November 2024, 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800

Es mache keinen Sinn, Kernkraftwerke ständig herauf- und runterzufahren. Dies erklärte Richard Lothar Donderer, seit 2022 Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission(RSK), in seiner Vernehmung vor dem 2. Untersuchungsausschuss am Donnerstag, 14. November 2024. In der vom Vorsitzenden Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) geleiteten Sitzung ging es unter anderem um die Frage, ob die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland über das vorgesehene Abschaltdatum Ende 2022 weiterbetrieben werden könnten und ob dies im Streckbetrieb oder Reservebetrieb erfolgen könne. Streckbetrieb bedeutet, eine Anlage für einen gewissen Zeitraum weiterzubetreiben, beim Reservebetrieb würde die Anlage nur bei Bedarf wieder in Betrieb genommen. 

Es sei in der Reaktor-Sicherheitskommission ziemlich schnell klar gewesen, dass das ständige Herauf- und Runterfahren nicht infrage komme. „Wenn hochgefahren wird, dann bitte oben bleiben“, stellte Donderer fest. Man könne ein Kernkraftwerk auch nicht schnell hochfahren. „Das geht so nicht“, sagte Donderer. Die Anlagen müssten langsam hochgefahren werden bei Einhaltung aller Sicherheitsprüfungen. Ein Energiebedarf innerhalb von wenigen Stunden könne von Kernkraftwerken nicht befriedigt werden. 

Stellungnahmen der Reaktor-Sicherheitskommission

Zur Aufgabe der Reaktor-Sicherheitskommission schilderte Donderer, die ehrenamtlich tätige Kommission berate das Umweltministerium in Fragen der Sicherheit von Kernkraftwerken. Meistens bekomme die Kommission Aufträge, in seltenen Fällen werde sie von allein tätig. Die Bitten um Stellungnahmen kämen im Regelfall schriftlich, und es werde ein Datum angegeben, bis wann eine Stellungnahme abzugeben sei. 

Kontakt mit dem Umweltministerium gebe es vor jeder Kommissionssitzung, um die Tagesordnung abzustimmen. Die öffentliche Diskussion über eine Verlängerung von Laufzeiten habe nach Beginn des Ukraine-Krieges begonnen. Erste öffentliche Überlegungen hätten Verlängerungen der Laufzeiten mit Hilfe der Restmengen in den Brennstäben betroffen. Es seien verschiedene Optionen diskutiert worden, etwa ein An- und Abfahren nach Bedarf.

Einen Auftrag für eine Stellungnahme habe die Kommission erst später erhalten. Darin sollte es um einen „kontinuierlichen Streckbetrieb“ gehen. Das Thema Laufzeitverlängerung an sich falle nicht in Zuständigkeit der Kommission, tätig werde sie nur in den Fragen der Sicherheit, erläuterte Donderer. Energiepolitische Fragen, Risiken oder Abwägungen gehörten nicht in die RSK. Erst wenn die Entscheidung gefallen sei, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, werde man zuständig. 

An den verschiedenen Prüfvermerken der Bundesministerien sei die Kommission nicht beteiligt gewesen. In der Kommission gehe es nicht um energiepolitischen Sachverstand, sagte Donderer: „Dort gehört er nicht hin.“ Die Kommission könne nicht darüber spekulieren, welche energiepolitischen Rahmenbedingungen es gebe und welche nicht. Es gehe nur um Reaktorsicherheit „und selbst das ist manchmal nicht einfach“. 

Abgeordnete fragen nach Interview und Vermerk

Donderer wurde von Abgeordneten mit einem Zitat aus einem Interview von Uwe Stoll, dem ehemaligen wissenschaftlich-technischen Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und wie Donderer Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission, konfrontiert. Stoll hatte erklärt, dass die RSK von der Bundesregierung nicht eingebunden gewesen sei. Das Interview habe er wahrgenommen, sagte Donderer: „Das ist seine Meinung.“ Es sei keine neue Erfahrung, dass die RSK nicht eingebunden werde. Auch komme es vor, dass RSK-Entscheidungen nicht Basis späterer Entscheidungen würden: „Damit muss man leben.“ Und es müsse auch nicht alles, was entschieden werde, über die RSK laufen.

Kritisch setzt sich Donderer mit einem Vermerk aus dem Umweltministerium auseinander, in dem von erheblichen Investitionen der Kraftwerksbetreiber bei einer Verlängerung der Laufzeiten über einen längeren Zeitraum und nicht nur um einige Monate die Rede gewesen sei. Solch eine Aussage sei ihm etwas voreilig erschienen. Ausschließen könne man Nachrüstungsbedarf natürlich nicht. Auch die Angabe, es sei die Beschaffung von vielen Brennelementen notwendig, ging ihm zu weit. Das Wort „viele“ hätte er gestrichen. Seine Auffassung sei gewesen, nicht voreilig sicherheitstechnische Festlegungen zu treffen, die die Kommission später möglicherweise nicht bestätigen könne. Spontane Einschätzungen „sind nicht unsere Arbeitsgrundlage“. Zum Verhältnis zum Umweltministerium sagte Donderer: „Wir fühlten uns nicht an die Leine gelegt.“ 

Geringere rechtliche Risiken beim Streckbetrieb

Die rechtlichen Risiken bei einem Streckbetrieb der letzten drei deutschen Atomkraftwerke um einige Monate seien geringer gewesen als bei einem Reservebetrieb, bei dem Kraftwerke nur bei Bedarf wieder hochgefahren werden. Diese Einschätzung äußerte ein Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums im weiteren Verlauf der Sitzung. Dass es auf die beiden Optionen Streck- oder Reservebetrieb hinauslaufen würde, sei schon früh ersichtlich gewesen, erklärte der Zeuge. Er habe die rechtlichen Risiken für einen Streckbetrieb als geringer eingeschätzt als die Risiken eines Reservebetriebs, obwohl beide Betriebsformen möglich gewesen seien. 

Auf den Hinweis, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) einen Reservebetrieb favorisiert habe, sagte der Zeuge, der Reservebetrieb wäre regelbar gewesen. Die Entscheidung für eine der beiden Optionen habe bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages gelegen. Ein Reservebetrieb hätte im Energiewirtschaftsrecht durch das Bundeswirtschaftsministerium geregelt werden müssen, vergleichbar mit den Regelungen für im Reservebetrieb befindliche Kohle- und Gaskraftwerke. 

Verlängerung der Laufzeit im Jahr 2022

Der Zeuge erläuterte auch, warum es seiner Ansicht nach einfacher gewesen sei, die Laufzeit für alle drei im Jahr 2022 noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zu verlängern und nicht etwa zum Beispiel nur eine Anlage länger zu betreiben und die beiden anderen wie vorgesehen Ende 2022 stillzulegen. Wenn nicht die Laufzeit aller drei Anlagen hätten verlängert werden sollen, hätte ausdrücklich begründet werden müssen, warum nur ein bestimmtes Kraftwerk länger laufen solle und nicht alle drei. Der Weiterbetrieb aller drei Anlagen sei einfacher regelbar gewesen. Auf die Fragen von Abgeordneten, warum die Laufzeitverlängerung nur bis Mitte April 2023 erfolgt war, sagte der Zeuge, er sei an den technischen Fragen nicht beteiligt gewesen. Es sei aber zu vermuten, dass die vorhandenen Brennelemente nicht viel länger hätten genutzt werden können. 

Eine Rolle bei der Vernehmung spielte auch die Haltung der damaligen Kraftwerksbetreiber zu einer möglichen Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke. Die Energieversorgungsunternehmen hätten damals erklärt, dass sie einer Verlängerung über einen Zeitraum von einigen Monaten hinaus nur zustimmen wollten, wenn die Risiken auf den Staat übertragen werden würden. Da keine Versorgungsnotlage festgestellt worden sei, kam nach Ansicht des Zeugen keine Übernahme der Risiken durch den Staat in Betracht. Für einen längeren Weiterbetrieb hätten weitere Fragen geklärt werden müssen, zum Beispiel, ob genügend Personal vorhanden sei. Die Beschaffung von Brennelementen und die Lagerung der Elemente hätten auch geklärt werden müssen.

Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium

An dem gemeinsamen Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium vom 7. März sei er nicht beteiligt gewesen, schilderte der Zeuge. Darin lehnten beide Ressorts einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke unter anderem aus Gründen der nuklearen Sicherheit ab. 

Auf die Frage, ob ihn die Nicht-Beteiligung seines Referats überrascht hätte, antworte der Zeuge: „Nein.“ Die rechtlichen Fragen in dem Vermerk hätte der Abteilungsleiter verfasst, der selbst die notwendige rechtliche Expertise habe. An einen Sprechzettel für Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), in dem die Kernkraft als Hochrisikotechnologie bezeichnet und ein Weiterbetrieb als nicht verantwortbar bezeichnet worden war, konnte sich der Zeuge nicht erinnern.

Auswirkungen für die nukleare Entsorgung

Ein weiterer Zeuge, der im Umweltministerium für den Bereich nukleare Entsorgung tätig ist, schilderte, dass er für die Sicherheit der Reaktoren und die Verlängerung von Laufzeiten nicht zuständig, aber beteiligt gewesen sei. Die Beteiligung habe darin bestanden, indem man sich an der Erstellung von Papieren beteiligt und an der Bearbeitung von Anfragen mitgewirkt habe. 

Der Zeuge schilderte zur Debatte über einen Streckbetrieb, man habe in diesem Fall negative Auswirkungen für die nukleare Entsorgung gesehen. Zusätzliche Abfallmengen seien nicht vorgesehen gewesen. Die Suche nach einem Endlager wäre erschwert worden. Die Akzeptanz für Entsorgungsmaßnahmen hätte sinken können.

Auftrag des Ausschusses

Das Gremium wurde am 4. Juli 2024 vom Bundestag eingesetzt und befasst sich mit den staatlichen Entscheidungsprozessen zur Anpassung der nationalen Energieversorgung an die durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine veränderte Versorgungslage. Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild von den Entscheidungsprozessen sowie deren Kommunikation an den Bundestag und an die Öffentlichkeit zu verschaffen. 

Dies gilt vor allem für die Entscheidungen über einen möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Es soll untersucht werden, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, welche nationalen und internationalen Stellen in die Entscheidungsprozesse einbezogen wurden und ob die Einbeziehung weiterer Informationen oder Stellen sachgerecht gewesen wäre. (hle/18.11.2024)