Die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke hat die von der Bundesregierung vorgelegten Pläne zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für SED-Opfer als unzureichend kritisiert. Der Gesetzentwurf enthalte „einige gute Ansätze“, gehe aber weit an dem vorbei, „was wir heute brauchen, um die Opfer angemessener zu unterstützen“, sagte Zupke am Mittwoch, 6. November 2024, in einer Anhörung des Rechtsausschusses.
Auch die übrigen Sachverständigen äußerten sich kritisch zu dem Entwurf. Der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Dieter Dombrowski, sagte vor den Abgeordneten, der Gesetzentwurf habe ihn „fassungslos“ gemacht.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung (20/12789) unter anderem die finanziellen Leistungen an Opfer der SED-Diktatur, die SED-Opferrente, dynamisieren. Zudem soll ein bundesweiter Härtefallfonds zur Unterstützung der SED-Opfer eingerichtet werden. Betroffene von Zwangsumsiedlungen sollen als Opfergruppe anerkannt werden und eine Einmalzahlung in Höhe von 1.500 Euro erhalten.
Keine Änderung soll es mit dem Entwurf an den Verfahren zur Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden von SED-Opfern geben. Seit Jahren beklagen Betroffene und Opferbeauftragte, dass die Regelungen zur Anerkennung von Gesundheitsschäden zulasten der Betroffenen gingen. Die Bundesregierung vertritt in dem Entwurf die Auffassung, dass mit schon umgesetzten Änderungen im sozialen Entschädigungsrecht dieses Problem angegangen worden sei.
„Die Ablehnungsquoten haben sich nie verbessert“
Dieser Auffassung widersprachen in der Anhörung diverse Sachverständige vehement. Zupke sagte, sie sei davon „erschüttert“. Die von der Bundesregierung angeführten Regelungen seien nicht neu, sie würden in der Praxis schon seit Jahren gelten. Die letzten Jahrzehnte hätten gezeigt, dass dieses Problem so nicht zu lösen sei. „Die Ablehnungsquoten haben sich nie verbessert“, so Zupke. Gebraucht werde eine eigene, auf die Opfer zugeschnittene Lösung. Die SED-Opferbeauftragte bekräftigte ihre Forderung nach einer kriterienbasierten Vermutungsregelung, wie sie für einsatzgeschädigte Soldaten im Soldatenversorgungsgesetz bereits gelte.
Ebenso argumentierte die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur in der DDR in Brandenburg, Maria Nooke. Es brauche eine politische Entscheidung, sagte die von der Unionsfraktion benannte Sachverständige – und verwies auch auf eine entsprechende Forderung des Bundesrates.
Plädoyer für kriterienbasierte Vermutungsregelung
Drei Sachverständige mit medizinisch-psychologischem Hintergrund sprachen sich in der Anhörung ebenfalls für eine kriterienbasierte Vermutungsregelung aus. Tolou Maslahati (Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) berichtete über Studienergebnisse, nach denen sowohl psychische als auch physische Erkrankungen bei Menschen, die politisch verfolgt wurden, gehäuft vorkämen. So hätten 60 Prozent der früher Inhaftierten mindestens einmal im Leben eine psychische Erkrankung. Die politische Haft stehe in einem Zusammenhang mit heutigen Erkrankungen, eine kriterienbasierte Vermutungsregelung sei daher „sehr wünschenswert“, sagte die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige.
Ähnlich äußerten sich der von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige Jörg Frommer (Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) und die von der Grünen-Fraktion benannte Diplompsychologin Heide Glaesmer (Universität Leipzig).
Aus Betroffenensicht verwies Carla Ottmann vom Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur ebenfalls auf die Notwendigkeit, eine solche Regelung einzuführen. Das bestehende Verfahren sei für die Frauen verletzend und „für unsere Demokratie ist es beschämend“, sagte die von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.
Bundesweite Härtefallfonds für SED-Opfer
Ebenfalls thematisiert wurde der bundesweite Härtefallfonds für SED-Opfer. Dieser sei „überaus wichtig und überfällig“, betonte der Vorsitzende des Trägervereins für das Stasimuseum Berlin und Stiftungsratsmitglied der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, Jörg Drieselmann. Es dürfe aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich um einen „Härtefallfonds West“ handle und dass es eine unterschiedliche Behandlung der Opfer in Ost und West gebe. „Es ist nicht vermittelbar, dass Art und Höhe der Unterstützung vom Wohnort abhängig sind“, sagte der von der AfD-Fraktion benannte Sachverständige. Drieselmann sprach sich dafür aus, den Fonds für Betroffene in allen Bundesländern einzurichten und die bestehenden Härtefallfonds in den Ländern zu beenden.
Ähnlich äußerte sich der Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Peter Wurschi. Aktuell sei es ein Härtefallfonds für westdeutsche Bürgerinnen und Bürger, ostdeutsche würden explizit ausgenommen. Das sei ein Modus, der seiner Ansicht nach nicht bestehen könne, so Wurschi, den die Grünen-Fraktion als Sachverständigen benannt hatte.
Der von der Unionsfraktion als Sachverständiger benannte UOKG-Vorsitzende Dombrowski führte an, dass sich mit Ikea ein ausländisches Unternehmen erklärt habe, den Härtefallfonds mit sechs Millionen Euro zu unterstützen. Ikea hatte früher Produkte verkauft, die in der DDR von politischen Häftlingen produziert worden waren. Nun seien auch deutsche Unternehmen aufgefordert zu handeln, mahnte Dombrowski und nannte namentlich die Deutsche Bahn sowie Aldi und Otto. „Möglicherweise liegt es in der DNA deutscher Unternehmen, dass sie kein Problem haben, mit und in Diktaturen gute Geschäfte zu machen“, kritisierte Dombrowski.
Zweitantragsrecht auf strafrechtliche Rehabilitierung
Neben Details zu aufsichtsrechtlichen Fragen rund um den Härtefallfonds ging es auch um ein Zweitantragsrecht auf strafrechtliche Rehabilitierung. Hintergrund sind unterschiedliche Rechtsauffassungen von Landgerichten zu dem Thema. In Thüringen würden Personen, „die vor der letzten Novellierung 2019 einen Antrag auf Rehabilitierung stellten und der abgelehnt wurde, der aber nunmehr nach der neuen Rechtsprechung erfolgreich wäre, bei den zuständigen Gerichten nicht zugelassen“, führte Landesbeauftragter Wurschi in seiner schriftlichen Stellungnahme aus. Auch der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige Philipp Mützel (Bürgerbüro e. V.) sprach sich im Sinne der Betroffenen aus.
Weitere Forderungen der Sachverständigen bezogen sich etwa auf die Erhöhung der SED-Opferrente vor der geplanten Dynamisierung. Auch ein Verzicht auf Bedürftigkeitsprüfungen wurde vorgeschlagen. Ferner wurde die Höhe der Entschädigung für Betroffene der Zwangsumsiedlung als zu gering kritisiert. (scr/06.11.2024)