Mehrere Vorlagen zur inneren Sicherheit überwiesen
Zwei Tage nach dem gescheiterten Migrationstreffen der Regierungskoalition mit Vertretern der CDU/CSU-Fraktion im Bundesinnenministerium hat der Bundestag am Donnerstag, 12. September 2024, erstmals über zwei Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen zur Umsetzung des „Sicherheitspakets“ debattiert, auf das sich die „Ampel“ nach dem Messeranschlag in Solingen verständigt hatte. Bei dem Anschlag vom 23. August waren drei Menschen ums Leben gekommen und acht zum Teil schwer verletzt worden.
Innenministerin: Mit Augenmaß und Härte
Mit den beiden Gesetzesvorlagen ziehe die Koalition notwendige Konsequenzen aus den „brutalen Morden durch einen Islamisten“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Beginn der Debatte.
Zu den Antworten auf „mörderische Attacken“ wie in Solingen gehörten auch Grenzkontrollen, die sie vor drei Tagen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet habe. Auch werde es an den Grenzen verstärkte Zurückweisungen geben, von denen seit letztem Oktober bereits 30.000 erfolgt seien. Die Bundesregierung handele mit Augenmaß, aber auch mit der „notwendigen Härte“.
Justizminister für schärfere Migrationspolitik
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) sagte, da die Tat von Solingen islamistisch motiviert gewesen sei, lege die Koalition Maßnahmen vor, um noch entschlossener gegen den islamistischen Terrorismus vorzugehen.
Auch habe der Anschlag schwerwiegende Missstände bei der Durchsetzung geltenden Rechts bei der Migration gezeigt, fügte Buschmann hinzu. Der syrische Tatverdächtige hätte nach geltendem Bundes- und Europarecht abgeschoben werden können, doch hätten die zuständigen Behörden dies „nicht durchgezogen“. Dies sei nicht zu akzeptieren, weshalb die Migrationspolitik verschärft werden müsse.
Innere Sicherheit und Asylsystem
Der Gesetzentwurf der Koalition „zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ (20/12805) sieht Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie im Waffenrecht und im Bundesverfassungsschutzgesetz vor und enthält die gesetzgeberischen Maßnahmen des Sicherheitspakets, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Danach soll Schutzsuchenden künftig die Schutzanerkennung verweigert beziehungsweise aberkannt werden, „wenn Straftaten mit einem antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen, geschlechtsspezifischen, gegen die sexuelle Orientierung gerichteten oder sonstigen menschenverachtenden Beweggrund begangen wurden“.
Zugleich soll mit der Vorlage klargestellt werden, dass Reisen anerkannt Schutzberechtigter in ihr Herkunftsland in der Regel zur Aberkennung des Schutzstatus führen. Zur Feststellung der Identität Schutzsuchender soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zukunft zum biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet befugt werden. Schutzsuchende, für die laut der sogenannten Dublin-Regelung ein anderer EU-Staat zuständig ist, sollen keine Sozialleistungen mehr erhalten, wenn der zuständige Staat der Rückübernahme zugestimmt hat.
Verschärft werden soll zudem das Waffenrecht. So ist unter anderem vorgesehen, dass bei Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen, an kriminalitätsbelasteten Orten sowie im Öffentlichen Personenverkehr und seinen Haltestellen „der Umgang mit Messern unabhängig von der Klingenlänge künftig untersagt oder untersagbar“ wird, um Gewalttaten mit Messern besser vorzubeugen.
Verbesserung der Terrorismusbekämpfung
Der zweite Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ (20/12806) enthält die gesetzgeberischen Maßnahmen des Sicherheitspakets, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Danach sollen mit dem Gesetzentwurf neue Befugnisse für den biometrischen Internetabgleich, die automatisierte Datenanalyse, Anfragen des Bundeskriminalamtes (BKA) bei Banken sowie Waffenverbotszonen geschaffen werden.
Dabei soll die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet dazu dienen, dass die Strafverfolgungsbehörden zu Zwecken der Gefahrenabwehr sowie darüber hinaus das BKA und die Bundespolizei für weitere polizeiliche Aufgaben biometrische Daten zu Gesichtern und Stimmen mittels automatisierter technischer Verfahren mit Internetdaten abgleichen können. Ziel sei es insbesondere, „mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige zu identifizieren und zu lokalisieren“.
Für BKA und Bundespolizei sollen zudem Befugnisse zur automatisierten Datenanalyse geschaffen werden. Diese Befugnisse können laut Vorlage bei großen Datenmengen dazu dienen, Verbindungen und Beziehungen zwischen Informationen herzustellen. Eine weitere Befugnis soll der Bundespolizei anlassbezogen im Falle der Anordnung von Waffenverbotszonen oder im Geltungsbereich von Allgemeinverfügungen die stichprobenartige Befragung, Identitätskontrolle sowie Durchsuchung von Personen erlauben, die die Waffenverbotszone betreten möchten oder sich darin befinden.
Begrenzung des „illegalen Zustroms“
Ebenfalls in erster Lesung debattierten die Abgeordneten zugleich über einen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion „zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen“ (20/12804). Danach soll das „Ziel der Begrenzung der Zuwanderungssteuerung wieder als ausdrückliche übergeordnete Vorgabe für die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes festgelegt“ werden.
Auch will die Unionsfraktion den Familiennachzug zu Personen mit subsidiärem Schutz bis auf weiteres beenden. Ferner soll die Bundespolizei laut Vorlage eine eigene Zuständigkeit für die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für Personen erhalten, die sie im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung in „ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich (Bahnhöfe) antrifft“.
Zurückweisungen an den Binnengrenzen
In einem Antrag (20/12835), der wie die anderen Vorlagen zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen wurde, dringt die CDU/CSU-Fraktion zudem auf umfassende Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen. Sie seien rechtlich zulässig, praktisch möglich und „mit Blick auf die gegenwärtige Lage jetzt geboten“, schreibt die Fraktion in dem Antrag.
Darin fordert sie die Bundesregierung auf, „umgehend auch solche Personen an den Binnengrenzen zurückzuweisen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengenraums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können“.
„Kehrtwende“ in der Migrationspolitik
Erstmals auf der Tagesordnung der Abgeordneten stand daneben ein Antrag der AfD-Fraktion zur Einleitung einer „Kehrtwende in der Migrationspolitik“ (20/12802). Darin fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, die Bundesgrenze gegebenenfalls auch durch die Errichtung von Grenzzäunen kontrollierbar zu machen sowie jeden zurückzuweisen, der „unberechtigterweise aus einem sicheren Transitland einreisen will und daher kein Anrecht auf Asyl haben kann“.
Zugleich soll die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion unter anderem die „wichtigsten Anreize für die illegale Einwanderung nach Deutschland“ beseitigen und „die Praxis des generellen Verbleibs abgelehnter Asylbewerber in Deutschland“ beenden.
CDU/CSU für Zurückweisungen an der Grenze
Thorsten Frei (CDU/CSU) sagte, die Gesetzentwürfe der Koalition enthielten viele vernünftige Maßnahmen, aber blieben dennoch „hinter dem Notwendigen zurück“. Selbst bei einer Vervierfachung der Zahl von Rückführungen löse man die Herausforderungen nicht.
Notwendig sei, die irreguläre Migration nach Deutschland zumindest deutlich zu reduzieren. Das einzig probate Mittel dafür wären Zurückweisungen an der Grenze. Dies habe die Regierung bei dem Treffen am Dienstag nicht „auf den Tisch gelegt“. Sie wolle vielmehr die Dublin-Verfahren beschleunigen, doch seien „Dublin-Rückführungen keine Zurückweisungen“.
Grüne werfen Union Spaltung der Gesellschaft vor
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) warf der CDU/CSU vor, die Themenfelder „Terror“ und „Migration“ zu verknüpfen. Diese Verknüpfung sei keine Petitesse, sondern ein schwerer politischer Fehler. Beim Umgang mit den Herausforderungen durch irreguläre Migration habe die Bundesregierung gehandelt und mit der Reform der Gemeinsamen EU-Asylpolitik mehr erreicht als die CDU/CSU in all den Jahren zuvor.
Stattdessen fingiere die Union einen „Zusammenhang von islamistischem Terror mit Migrationspolitik“. Dies sei ein Akt „des politischen Wahnsinns“, der Destruktion und der Spaltung der von Migration geprägten Gesellschaft.
AfD: Offene Grenzen haben katastrophale Folgen
Dr. Bernd Baumann (AfD) konstatierte, dass sich die Ampelkoalition und die Union gerade mit Forderungen zur Abstellung von Massenmigration überböten. „Damit gestehen Sie doch alle implizit ein, dass offene Grenzen zu katastrophalen Folgen führen und eben nicht zu fröhlichem Multikulti“, fügte Baumann hinzu.
Um die Migration zu begrenzen, griffen Union und Ampel jetzt auch zu Maßnahmen, die die AfD seit Jahren fordere. Dabei übernehme die Union sogar die zentrale Forderung der AfD nach Zurückweisungen an den Grenzen. Dies zeige, dass die AfD Recht gehabt habe mit ihren Warnungen und Forderungen zur Migration. Sie sei in ihrer Migrationspolitik nie extremistisch oder inhuman gewesen, sondern vernünftig.
SPD: Sicherheitspaket ist richtig und notwendig
Dirk Wiese (SPD) bezeichnete das Sicherheitspaket der Koalition als richtig, wichtig und notwendig.
Zugleich beklagte er, dass die Debatte nach Solingen „insbesondere von rechts dazu instrumentalisiert wird, fast 23 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund bei uns im Land für alle Probleme verantwortlich zu machen“. Dabei trügen „diese Menschen dazu bei, dass dieses Land läuft“.
FDP will „Ordnung und Kontrolle“ in der Migration
Konstantin Kuhle (FDP) nannte es „weltfremd“, zu behaupten, „dass Ordnung und Kontrolle in der Migration nichts mit innerer Sicherheit zu tun haben“.
Vielmehr habe der Anschlag von Solingen gezeigt, dass man auch durch Ordnung und Kontrolle in der Migrationspolitik etwas dazu beitragen müsse, „dass die innere Sicherheit in Deutschland wieder besser wird“. (sto/12.09.2024)