Petry: EU benötigt in der nächsten Haushaltsperiode neue Eigenmittel
Als einen „wichtigen Schritt für ein soziales Europa“ wertet es Christian Petry (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU (SWKS), dass bei der finanz- und wirtschaftspolitischen Steuerung der EU künftig soziale Ziele berücksichtigt werden. Zudem schaffe die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes neue Spielräume für Investitionen der Mitgliedstaaten, sagte der Europa- und Haushaltspolitiker nach der Herbsttagung der SWKS, die am 3. und 4. Oktober 2024, in der ungarischen Hauptstadt Budapest stattgefunden hat.
Um gleichzeitig die EU-Förderprogramme in bisherigem Umfang beizubehalten, gemeinsame Schulden zurückzuzahlen und die gestiegenen Kosten der Außen- und Sicherheitspolitik aufzufangen, benötige die EU in der nächsten Haushaltsperiode jedoch neue Eigenmittel. Im Interview spricht Petry über die Möglichkeiten, die die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes eröffnet sowie über die Wirkungen der Kohäsionspolitik der EU und zieht ein für die ungarischen Gastgeber der Konferenz wenig schmeichelhaftes Resümee. Das Interview im Wortlaut:
Herr Petry, die SWKS-Konferenz, zweimal pro Jahr, ist das parlamentarische Fachtreffen zur finanz- und wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Europäischen Union. Was nehmen Sie vom Herbsttreffen mit Ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen in Budapest für ihre parlamentarische Arbeit im Deutschen Bundestag mit?
Die SWKS-Konferenz in Budapest war stark von der ungarischen Ratspräsidentschaft geprägt. Bedauerlicherweise haben die Gastgeber die Panels fast ausschließlich mit ungarischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern besetzt, was eine Bandbreite der Debatten auf dem Panel deutlich eingeschränkt hat. Kritisch anzumerken sind auch die mehrfachen Versuche einzelner Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Maßnahmen zu rechtfertigen, die im Widerspruch zum Europarecht stehen. Der deutschen Delegation danke ich für ihr geschlossenes und souveränes Auftreten.
Zu den großen Finanz- und Wirtschaftsthemen der SWKS-Konferenz gehörte auch bei der diesjährigen Herbsttagung die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU (SWP), um eine solide Haushaltsführung der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Ist die EU mit den im Februar 2024 beschlossenen Reformen für kommende Krisen gut gerüstet?
Der SWP gliedert sich in zwei Teile: den präventiven und den korrektiven Arm. Der präventive Arm soll Haushaltsdisziplin sicherstellen und übermäßigen Defiziten vorbeugen. Sollte dennoch in einem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit entstehen, greift der korrektive Arm, der sich auf die Korrektur von Haushaltsdefiziten und Staatsschulden fokussiert. Der präventive Arm hat im Zuge der jüngsten Reform eine umfassende Neuausrichtung erfahren. Zentraler Bestandteil sind künftig mittelfristige finanzpolitische Pläne der Mitgliedstaaten. Ich befürworte diese Änderungen der SWP insoweit, dass damit neue Spielräume für die Nationalstaaten entstehen. Dies ist auch aus deutscher Sicht notwendig, da auch wir vor größeren Investitionen in unsere Infrastruktur stehen – ohne Änderungen des SWP wäre das nicht möglich. Insoweit sind diese Reformen immer im Kontext mit der Reform der Schuldenbremse zu sehen.
Sie stehen für eine Lockerung der Schuldenbremse und eine weniger strenge staatliche Haushaltspolitik, um Spielräume für Investitionen und die Bewältigung sozialer Fragen zu gewinnen?
Mit Blick auf den korrektiven Arm war es für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten entscheidend, dass es nicht zu einer Neuauflage der Austeritätspolitik (griechisch: Sparpolitik) kommt. Ich begrüße es sehr, dass soziale Leitplanken nun im Europäischen Semester (EU-Rahmen für die haushalts- und wirtschaftspolitische Steuerung unter den Mitgliedstaaten, Anmerkung der Redaktion), verankert wurden. Damit werden künftig auch die sozialen Ziele der EU im Rahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung berücksichtigt und überwacht. Das ist ein wichtiger Schritt für ein soziales Europa.
In einer weiteren Plenarsitzung ging es darum, welchen Stellenwert die europäische Struktur- und Kohäsionspolitik, deren Umfang etwa ein Drittel des EU-Budgets ausmacht, im neuen EU-Haushalt haben wird. Damit soll der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt der EU gefördert und das Entwicklungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen verringert werden. Ist das Geld bisher gut eingesetzt und wäre eine Fortschreibung der Themen und Volumen der fünf großen Fonds zeitgemäß?
Um das Ziel zu erreichen, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse innerhalb der EU einander anzugleichen, sind die fünf größten Fonds, vor allem der Kohäsionsfonds, von besonderer Bedeutung. Gerade die anstehende Transformation unserer Industrie bedingt für mich, eine breite Förderkulisse in den Fonds aufrecht zu halten. Für eine Diskussion, in welcher Größenordnung und in welchem Verhältnis, bin ich aber offen.
Reicht das Volumen des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR), also des EU-Haushaltes, insgesamt künftig aus, damit die EU ihren Aufgaben und Verpflichtungen nachkommen kann? Demnächst beginnen ja die Verhandlungen für den MFR ab 2028 …
Der kommende MFR muss zum einen die Refinanzierung der für die Next Generation EU-Programme (zur Milderung der Auswirkungen der Covid-Pandemie, Anmerkung der Redaktion) aufgenommenen Schulden sicherstellen und zum anderen die, insbesondere wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, enorm gestiegenen gemeinsamen Kosten der nun neu ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik abbilden. Dabei dürfen aus meiner Sicht die bisherigen Programme nicht strukturell verändert werden. Daraus resultiert folglich ein erhöhter Finanzbedarf, der aus meiner Sicht mit neuen Eigenmitteln gedeckt werden muss.
(ll/21.10.2024)