Johannes Schraps: Mehr Kooperation soll Ostseeregion sicherer machen
Mehr Sicherheit im Ostseeraum, vor allem gegenüber militärischen und sogenannten hybriden Bedrohungen, eine nachhaltige Energieversorgung Europas, Meeres- und Umweltschutz sowie die Stärkung von Demokratie und gesellschaftlicher Inklusion: Um das zu erreichen, wollen die Anrainerländer der Ostseeregion in Zukunft noch stärker zusammenarbeiten. Für dieses Ziel hat sich auch die Delegation des Deutschen Bundestages bei der Jahrestagung der Ostseeparlamentarier (Baltic Sea Parliamentary Conference, BSPC) stark gemacht, die vom 25. bis 27. August 2024 in Helsingör/Dänemark stattfand, sagt Johannes Schraps (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur BSPC und stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums der BSPC, im Interview. Das Interview im Wortlaut:
Herr Schraps, die Ostsee – Sehnsuchtsort und Urlaubsparadies einerseits und andererseits eine Region, in der die Menschen dieselben Probleme haben wie anderswo auch, sowie ein Raum mit eigenen Herausforderungen: Was hat die Ostseeparlamentarier bei der Jahrestagung 2024 vor allem beschäftigt?
Wie in den vergangenen Jahren, stand auch bei diesem Treffen ein breites Themenspektrum auf der Agenda. Besonders intensiv haben wir uns mit Fragen zu verschiedenen Sicherheitsaspekten in der Region befasst, die aufgrund der geopolitischen Lage und der Bedrohungen durch hybride Angriffe stärker in den Fokus gerückt sind. Der rechtswidrige und brutale russische Angriff auf die Ukraine spielt in diesem Zusammenhang natürlich weiterhin die größte Rolle. Aber auch Umweltfragen, insbesondere der Schutz des marinen Ökosystems und die Bekämpfung der Eutrophierung, also der schädlichen Anreicherung von Nährstoffen, insbesondere Stickstoff und Phosphor, in Gewässern, nahmen breiten Raum ein. Zudem spielte die Energieversorgung eine zentrale Rolle, da die Ostseeanrainerstaaten eine Schlüsselposition in der Sicherstellung einer stabilen und nachhaltigen Energieversorgung in Europa einnehmen. Schließlich wurde auch die soziale Nachhaltigkeit einschließlich der Integration von Migranten und der Förderung der Jugendbeteiligung ausführlich diskutiert.
Die Sicherheit in der Ostseeregion war Schwerpunktthema der Tagung. Wie sehen die neuen Gefahrenquellen aus und was ließe sich mit einem neuen, umfassenderen Ansatz verbessern?
Die Sicherheit in der Ostseeregion wurde in einem breiten Kontext betrachtet, der sowohl militärische als auch zivile Aspekte umfasste. Zu den Gefahrenquellen zählen insbesondere hybride Bedrohungen, die durch Desinformationskampagnen und gezielte Angriffe auf kritische Infrastruktur wie beispielsweise Unterwasserkabel und Energieversorgungssysteme verstärkt werden. Die Verstärkung der Verteidigungszusammenarbeit, insbesondere im Rahmen der Nato, sowie die Verbesserung der Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen waren zentrale Diskussionspunkte. Ein umfassender Ansatz könnte hier vor allem durch intensivere multilaterale Kooperation, verbesserte Mechanismen beim Informationsaustausch und Investitionen in moderne Überwachungstechnologien umgesetzt werden.
Welche Vorstellungen haben die Parlamentarier, um die Verteidigungszusammenarbeit im Ostseeraum auf eine neue Stufe zu heben?
Es wurde vorgeschlagen, die Verteidigungszusammenarbeit durch die Schaffung eines integrierten Nato-Verteidigungsraums im Ostseeraum zu stärken. Dies würde eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Küsten-, See- und Luftverteidigung umfassen. Zudem wurde die Notwendigkeit betont, Überwachungs- und Reaktionsmaßnahmen im Bereich der maritimen Infrastruktur zu verbessern, insbesondere durch den verstärkten Einsatz von Technologien wie Sensoren und Drohnen. Ein weiteres Anliegen ist die Harmonisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Schutz kritischer Infrastrukturen, um die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit der Region zu erhöhen.
Zur Sicherheit gehört auch dies: Schifffahrtsrouten, Fischerei und Wassersport sind weiterhin durch Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg bedroht. Ihre Kollegin, die Bundestagsabgeordnete Anna Katharina Kassautzki, Mitglied der Delegation, ist von der Konferenz mit der permanenten Berichterstattung zu diesem Thema betraut und legte nun einen Zwischenbericht vor. Wie ist der Stand bei der Munitionsbergung und der Lastenteilung dazu?
Der Stand der Munitionsbergung in der Ostsee bleibt eine große Herausforderung. Der Zwischenbericht von Anna Kassautzki hat verdeutlicht, dass es erhebliche Fortschritte bei der Kartierung der Altlasten gibt, die sichere Bergung jedoch zeit- und kostenintensiv bleibt. Die Parlamentarier haben die Wichtigkeit einer koordinierten Zusammenarbeit betont, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Es wurde angeregt, weitere Mittel aus EU-Projekten wie “Horizon Europe„ für die Bergung bereitzustellen und umweltfreundliche Technologien zu fördern, um die Risiken, die von der Alt-Munition ausgehen, zu minimieren.
Neben der Sicherheit beschäftigt die Menschen vor allem die Frage einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung. Die aktuelle Arbeitsgruppe der BSPC, die im kommenden Jahr ihren Bericht vorlegen wird, befasst sich mit dieser Fragestellung. Was können speziell die Ostseeanrainer für die Energiesicherheit in Europa tun?
Die Ostseeanrainer spielen eine entscheidende Rolle bei der Energiesicherheit in Europa. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die in der Arbeitsgruppe vertreten sind, fordern von den Regierungen, die Vernetzung der Energiesysteme weiter auszubauen und in nachhaltige Energieprojekte wie Offshore-Windparks zu investieren. Auch die “Interkonnektivität„ zwischen den Ländern soll gestärkt werden, um eine widerstandsfähige und diversifizierte Energieversorgung sicherzustellen. Hierbei wird auch die Unterstützung durch EU-Fonds als essenziell angesehen, um die regionale Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien voranzutreiben.
In allen Themenfeldern lässt sich durch Zusammenarbeit etwas verbessern. Zielten die Änderungsvorschläge zur Abschlusserklärung, die die Bundestagsdelegation eingebracht hat und die die Bedeutung der Kooperation im Ostseeraum unterstreichen, darauf ab?
Ja, die Änderungsvorschläge der Bundestagsdelegation zielten klar darauf ab, die Kooperation im Ostseeraum zu verstärken. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Sicherheit, Umwelt und Energie. Unsere Delegation, die ich leiten darf, hat auch betont, dass durch gemeinsame Anstrengungen, etwa bei der Verteidigung kritischer Infrastrukturen und der Bekämpfung von Desinformation, die Resilienz der Region gestärkt werden kann. Zudem wurde die Bedeutung eines verstärkten Austauschs von “Best Practices“ zwischen den Ostseeanrainern betont, um gemeinsame Herausforderungen effektiver anzugehen.
Die Jugendbeteiligung hat Tradition in der BSPC. Haben die Empfehlungen des Jugendforums der Berliner Tagung 2023 Eingang in die diesjährige Abschlusserklärung gefunden?
Die Empfehlungen des Jugendforums, die während des Treffens in Berlin erarbeitet wurden, sind auch in die diesjährige Abschlusserklärung eingeflossen. Die Jugendbeteiligung wurde als zentraler Bestandteil einer resilienten Gesellschaft anerkannt. Insbesondere wurde der Vorschlag, die politische Bildung zu stärken und mehr Plattformen für junge Menschen zu schaffen, um sich aktiv in politische Entscheidungsprozesse einzubringen, aufgenommen. Die Abschlusserklärung fordert zudem explizit die Förderung des inklusiven Austauschs zwischen Menschen aller Altersgruppen in der Region, um die soziale Kohäsion zu stärken und extremistische Tendenzen zu bekämpfen.
Am letzten Konferenztag haben die Delegierten die Abschlusserklärung angenommen. Was sind darin die wichtigsten Punkte?
Die Abschlusserklärung der 33. BSPC betont die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Staaten des Ostseeraums, um angesichts der aktuellen Bedrohungen die Sicherheit und Stabilität in der Region zu gewährleisten. Ein besonderer Fokus liegt auf der Verteidigungspolitik, einschließlich erhöhter Investitionen in die regionale Verteidigung und den Schutz vor hybriden Bedrohungen. Die Delegierten haben ihre uneingeschränkte Unterstützung für die Ukraine bekräftigt und verurteilen die russische Invasion in der stärksten Form. Zudem wird die Stärkung der demokratischen Resilienz durch die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten als zentral erachtet, wobei auch die politische Teilhabe von Bürgern und die Bekämpfung von Desinformation gefördert werden sollen. Darüber hinaus unterstreicht die Abschlusserklärung die soziale Nachhaltigkeit, insbesondere durch die Integration von gefährdeten Gruppen in den Arbeitsmarkt sowie die Förderung der Geschlechtergleichstellung. Schließlich wird angesichts der geopolitischen Herausforderungen die Priorisierung von Projekten zur Verbesserung der Energiesicherheit und der Ausbau der digitalen Konnektivität im Ostseeraum hervorgehoben.
(ll/09.09.2024)