Parlament

Vor 75 Jahren: Adenauer zum ersten Bundeskanzler gewählt

15. September 1949: Wahl Adenauers zum 1. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundestag. Vereidigung Adenauers durch den Bundestagspräsidenten Erich Köhler.

Am 15. September 1949 wird Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und wenige Tage später, am 20. September, durch Bundestagspräsidenten Erich Köhler vereidigt. (© picture alliance / akg-images)

Vor 75 Jahren, am Donnerstag, 15. September 1949, wählen die Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestages den damals 73-jährigen Konrad Adenauer (1876 bis 1967, CDU) zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. 

14 Jahre lang Bundeskanzler

Ein Amt, das der studierte Jurist 14 Jahre lang, von 1949 bis 1963, vier Jahre davon, von 1951 bis 1955, auch als Bundesminister des Auswärtigen ausüben wird. Bereits 1948/49 gestaltete er als Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz des neuen Deutschlands mit.

16 Jahre lang war er zwischen 1917 und 1933 Oberbürgermeister von Köln, zwölf Jahre von 1921 bis 1933 Präsident des preußischen Staatsrates, bevor er in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft seiner Ämter enthoben und zeitweise inhaftiert wurde.

Wahl zum Bundeskanzler

Mit den Worten „Ehe wir zur Wahl schreiten, darf ich auf die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes hinweisen“ eröffnet Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler (1892 bis 1958, CDU) den Tagesordnungspunkt 2 zur Wahl des Bundeskanzlers. 

„Nach Artikel 63 Absatz 1 wird der Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.“ 

Wahlvorschlag des Bundespräsidenten 

Für die absolute Mehrheit benötigt Adenauer 202 Stimmen der insgesamt 402 Mitglieder des ersten Deutschen Bundestages. Seine Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei (DP) verfügt über insgesamt 209 Stimmen. 

Bevor um kurz nach 11 Uhr der Wahlgang starten kann, verliest der Bundestagspräsident Köhler den ihm mit einem Schreiben übermittelten Wahlvorschlag des Bundespräsidenten Dr. Theodor Heuss (1884 bis 1963): „Ich schlage den Abgeordneten Dr. Konrad Adenauer zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vor.“ – Heuss war drei Tage zuvor, am Montag, 12. September 1949, von der ersten Bundesversammlung zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik gewählt und vom Bundestag vereidigt worden.

Wahlmodus

Dann erklärt Köhler die im Ältestenrat getroffenen Verabredungen zum Wahlmodus. „Ich bitte die Mitglieder des Bundestages, ihr Wahlrecht durch Abgabe der im Umschlag befindlichen Stimmzettel auszuüben dergestalt, dass auf den Stimmzettel entweder das Wort ,Ja' oder das Wort ,Nein', geschrieben wird beziehungsweise bei Stimmenthaltung der Stimmzettel keine Bezeichnung erhält.“

Nicht alle Parlamentarier schienen ihm aufmerksam zugehört zu haben. Nach der Auszählung fanden sich drei Stimmzettel, auf denen der Name „Adenauer“ notiert war, sodass der Vorsitzende, bevor er das Ergebnis der Stimmabgabe bekanntgeben kann, noch klären muss, wie diese drei Stimmzettel zu werten sind: „Ich bitte das Haus um eine Meinungsäußerung, ob diese Stimmzettel als gültig anzusehen sind.“ – Ja-Rufe und kein Widerspruch – das Plenum einigt sich darauf, diese „Adenauer-Stimmen“ dem Kandidaten zuzusprechen. 

202 Stimmen für die absolute Mehrheit

So kann Köhler kurz darauf verkünden, dass exakt die für die absolute Mehrheit erforderliche Mindestzahl von 202 der 402 stimmberechtigten Mitglieder des Bundestages für Adenauer votiert haben. 142 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt, 44 sich der Stimme enthalten und eine Stimme ist ungültig. Gerade eine Stimme sichert Adenauer im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit, wie es heißt – seine eigene. 

Nach der Ergebnisverkündung sagt der am 5. Januar 1876 in Köln geborene Adenauer zu seinem neben ihm sitzenden Freund Robert Pferdmenges (1880 bis 1962, CDU): „Et hätt noch immer jot jejange!“ Adenauer wurde später einmal gefragt, ob er sich selbst gewählt hätte. Er antwortete: „Selbstverständlich, etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen.“

Eine Stimme aus der Opposition

Jahre später gab der Abgeordnete der Bayernpartei Johann Wartner (1883 bis 1963) zu, entgegen der Weisung seines Vorsitzenden „wohl als einziger Oppositionspolitiker“ an diesem Tag für Adenauer gestimmt zu haben. Die rasche Wahl des Kanzlers sollte als Zeichen für die neu gewonnene Demokratie gedeutet werden und deren Akzeptanz in der Bevölkerung fördern, so Wartner. 

Jedenfalls ersparte der Abgeordnete aus dem bayerischen Straubing Adenauer einen zweiten Wahlgang, und Bundestagspräsident Köhler konnte den „Herrn Abgeordneten Dr. Adenauer“ fragen, ob er bereit sei, „die auf ihn gefallene Wahl zum Bundeskanzler anzunehmen“. Dieser antwortete kurz und knapp: „Ja.“ 

Regierungserklärung und Aussprache

Gerade 47 Minuten waren vergangen, als der Präsident um 11.53 Uhr die dritte Sitzung des Deutschen Bundestages schließt. Die erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers Adenauer fünf Tage später, am Dienstag, 20. September 1949, bildet den Auftakt einer 20-stündigen Debatte mit insgesamt 38 Wortmeldungen, verteilt auf sechs Sitzungstage. 

Der Bundeskanzler betont zunächst die rasche Entstehung des neuen Deutschlands: „Das Werden des neuen Deutschlands hat sich nach den langen Verhandlungen im Parlamentarischen Rat und den Wahlen zum Bundestag am 14. August mit großer Schnelligkeit vollzogen.“ Auch wenn die Zuständigkeit des Bundestages und der Bundesregierung durch das Besatzungsstatut beschränkt sei, so dürfe diese Entwicklung, dieses Werden des deutschen Kernstaates mit Freude erfüllen. 

Demokratische Werte

Der Fortschritt gegenüber den Verhältnissen, die „seit 1945 bei uns bestanden“, auch gegenüber den Zuständen des nationalsozialistischen Reichs, sei groß. 

„Zwar müssen wir uns immer bewusst sein, dass Deutschland und das deutsche Volk noch nicht frei sind, dass es noch nicht gleichberechtigt neben den anderen Völkern steht, dass es – und das ist besonders schmerzlich für uns – in zwei Teile zerrissen ist. Aber wir erfreuen uns doch einer wenigstens relativen staatlichen Freiheit. Unsere Wirtschaft ist im Aufstieg. Vor allem aber: Wir haben wieder den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Niemand kann bei uns […] durch Geheime Staatspolizei oder ähnliche Einrichtungen der Freiheit und des Lebens beraubt werden.“

Absage an eine große Koalition

Ausführlich äußert sich Adenauer dazu, warum er keine Koalition mit der SPD eingehen wolle. Die Mehrheit der Wähler habe sich gegen die Planwirtschaft und für die soziale Marktwirtschaft ausgesprochen. Eine Koalition mit der SPD, die nach seiner Ansicht für Planwirtschaft steht, hätte diesem Wählerwillen widersprochen. „Eine Koalition zwischen den Parteien, die die Planwirtschaft verworfen, und denjenigen, die sie bejaht haben, würde dem Willen der Mehrheit der Wähler geradezu entgegengerichtet gewesen sein.“ Adenauer unterstreicht, dass dies den demokratischen Gedanken untergraben hätte: „Der Wähler hätte mit Recht im Falle einer Koalition zwischen diesen Parteien gefragt, ob denn dann Wahlen überhaupt nötig gewesen wären.“ 

Weiterhin argumentiert er, dass die Bildung einer Opposition eine wesentliche staatsrechtliche Notwendigkeit sei: „Ich bin der Auffassung, dass die Opposition eine Staatsnotwendigkeit ist, dass sie eine staatspolitische Aufgabe zu erfüllen hat.“

Leitlinien seiner Regierung 

In seiner Regierungserklärung legt der Bundeskanzler die Leitlinien seiner neuen Regierung dar. Adenauer spricht sich deutlich gegen die Planwirtschaft und für die soziale Marktwirtschaft aus, die bereits unter dem Frankfurter Wirtschaftsrat begonnen hatte. Als wichtigste Aufgaben seiner Regierung zählt er das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit, die Unterbringung der Vertriebenen, den Mangel an Wohnungen, die Lage der Kriegsgefangenen und den Umgang mit den Besatzungsmächten und deren Demontagepolitik auf. 

Einen besonderen Schwerpunkt legt er auf die Außenpolitik, insbesondere die Westintegration Deutschlands und die Aussöhnung mit Frankreich. „Es besteht für uns kein Zweifel, dass wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehören.“

Aussöhnung mit Frankreich 

Vor allem betont er die Notwendigkeit, den deutsch-französischen Konflikt endgültig zu beenden: „Der deutsch-französische Gegensatz, der Hunderte von Jahren die europäische Politik beherrscht und zu so manchen Kriegen, zu Zerstörungen und Blutvergießen Anlass gegeben hat, muss endgültig aus der Welt geschafft werden.“ Diese Aussöhnung mit Frankreich ist für Adenauer der Schlüssel zur Stabilität Europas und zur Rückkehr Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft.

Gleichzeitig geht er auch auf die Spannungen um das Saargebiet ein, das wirtschaftlich und strategisch für beide Länder von Interesse ist. „Am Saargebiet hat Frankreich — das ist ohne weiteres anzuerkennen — wirtschaftliche Interessen. Deutschland hat dort wirtschaftliche und nationale Interessen.“ Adenauer zeigt sich jedoch optimistisch, dass das Saargebiet die Beziehungen nicht belasten würde: „Ich hoffe, ja ich sage: Ich glaube, dass das Saargebiet nicht zu einem Hindernis auf diesem Weg werden wird.“ 

Kritik an Adenauers Politik

Insbesondere seine Politik der Westbindung ist nicht unumstritten. Die Opposition befürchtet, sein außenpolitischer Kurs werde die deutsche Teilung vertiefen und Deutschlands Chancen auf eine Wiedervereinigung verschlechtern. Auch in der Frage der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist man sich uneins.

In der Aussprache zur Regierungserklärung am Mittwoch, 21. September 1949, merkt der Oppositionsführer Dr. Kurt Schumacher (1895 bis 1952, SPD) an: „Wir können uns ein demokratisches Staatswesen nicht vorstellen, bei dem die Arbeiter eine so geringe Rolle spielen, dass die Regierungserklärung das Wort ‚Arbeiter‘ nicht einmal erwähnt hat, und wir können uns einen funktionierenden sozialen Organismus auch nicht recht vorstellen, bei dem die Gewerkschaften unerwähnt bleiben.“

Wiederwahl 1953, 1957, 1961 und Rücktritt 1963

Noch drei Mal – 1953, 1957, 1961 – gewinnt Adenauer mit seiner Partei als Spitzenkandidat Bundestagswahlen; 1957 sogar die absolute Mehrheit. 1963 tritt er noch während der laufenden Legislaturperiode zurück. Zu seinem Nachfolger wird sein Bundeswirtschaftsminister Dr. Ludwig Erhard (1897 bis 1977) gewählt.

Hinter dem 89-Jährigen liegen zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre Kanzlerschaft, in denen er die wesentlichen Weichen für die Geschichte der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestellt hat. Als er 1963 mit der berühmten Bemerkung „Ich gehe nicht leichten Herzens“ zurücktritt, sind die politischen Ziele aus seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 – Wiederaufbau und Westintegration, auch die Versöhnung mit Frankreich – im Wesentlichen erreicht. 

Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag ist unterzeichnet. Deutschland ist als Mitglied des Nordatlantikpakts und als Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fester Bestandteil der westlichen Welt. Mit dem Luxemburger Abkommen ist eine erste Annäherung an Israel gelungen. Die demokratischen Strukturen sind gefestigt und Deutschland genießt als erfolgreiche Volkswirtschaft wieder Ansehen in der Welt.

 Mit 90 Jahren nach Israel

Von 1949 bis zu seinem Tod 1967 gehört Adenauer dem Deutschen Bundestag an. Sein Mandat erhält er in allen fünf Wahlperioden als direkt gewählter Abgeordneter im Wahlkreis Bonn. Bis zu seiner Wahl als Bundeskanzler ist er für kurze Zeit Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag. Adenauer ist CDU-Gründungsmitglied und von 1950 bis 1966 Parteivorsitzender der CDU.

Auch seine letzten politischen Jahre bleiben durch sein besonderes außenpolitisches Engagement geprägt. In persönlichen Kontakten und Beziehungen setzt sich Adenauer weiterhin für gute deutsch-französische Beziehungen ein. Im Mai 1966 reist er zum ersten Mal nach Israel, um ein Zeichen für die weitere Verbesserung der deutsch-israelischen Beziehungen zu setzen. Bei seiner letzten Auslandsreise im Februar 1967 nach Spanien ruft er dazu auf, im Ringen um die europäische Einigung nicht nachzulassen.

Konrad Adenauer stirbt am 19. April 1967 im Alter von 91 Jahren. Adenauer zählt bis heute zu den deutschen Politikern, die sich international hohes Ansehen erwarben. Insgesamt 54 offizielle deutsche und ausländische Orden und Ehrenzeichen, die ihm zu Lebzeiten verliehen wurden, zeugen davon. (klz/05.09.2024)