Parlament

Evelyn Zupke: Wer die Diktatur versteht, der versteht auch ihre Folgen

Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, fordert, „endlich passende Instrumente“ zu schaffen, damit Betroffenen des SED-Unrechts angemessen geholfen werden kann. Mit ihrem Jahresbericht 2024 (20/11750), den sie am Mittwoch, 12. Juni 2024, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben hat, möchte Zupke einen Beitrag dazu leisten, eben jene Instrumente zu finden. Es gelte, so die Bundesbeauftragte im Interview mit dem Parlamentsfernsehen, den Opfern nachhaltig zu helfen, die soziale Lage zu stabilisieren und „Gerechtigkeitslücken im Gesetzeswerk“ zu schließen. 

Evelyn Zupke überreicht einen Bericht an Bärbel Bas vor der Europa- und der Deutschland-Flagge

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (rechts) nimmt den Jahresbericht der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke (links), entgegen. (© DBT/Lorenz Huter/photothek)

Handlungsbedarf sieht die SED-Opferbeauftragte jedoch nicht nur mit Blick auf die gesetzlichen Grundlagen des Unterstützungssystems. Sondern auch, was die öffentliche Auseinandersetzung mit der Zeit der deutschen Teilung und den Menschenrechtsverletzungen in der DDR anbelangt. „Denn wer die Diktatur versteht“, ist Zupke überzeugt, „der versteht auch ihre Folgen.“ Anhand aktueller Forschungsergebnisse stellt sie in ihrem Bericht die bis heute andauernden Folgen der Repression in der DDR dar. So lebt Zupke zufolge die Hälfte der Betroffenen von SED-Unrecht heute an der Grenze zur Armutsgefährdung. Zudem nimmt sie Stellung zu den aktuellen Plänen des Bundesjustizministeriums für die SED-Opfer und zeigt auf, wo es aus ihrer Sicht Korrekturbedarf gibt. 

SED-Opferrente und Anerkennung von Gesundheitsschäden

Schwerpunktmäßig lässt sich Zupke in der Vorlage zu dem laufenden Gesetzgebungsprozess zur Überarbeitung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze ein. Sie unterbreitet dabei zahlreiche Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge zu beispielsweise der SED-Opferrente und der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Den vom Bundesministerium für Justiz am 22. Mai 2024 vorgestellten Referentenentwurf eines „Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ begrüßt Zupke grundsätzlich, bemängelt aber, dass der Entwurf hinter den Ankündigungen des Koalitionsvertrages von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zurückbleibe. „Insbesondere fehlen eine Regelung für eine leichtere Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden sowie weitere Aspekte zur Verbesserung der sozialen Lage der Opfer und zur Schließung von Gerechtigkeitslücken in den bestehenden Gesetzen“, heißt es in dem Bericht.

Laut Referentenentwurf ist vorgesehen, die SED-Opferrente künftig zu dynamisieren, indem diese besondere Zuwendung für Haftopfer an die Entwicklung des aktuellen Rentenwertes in der gesetzlichen Rentenversicherung gekoppelt wird. Die Dynamisierung der SED-Opferrente wird von der SED-Opferbeauftragten ausdrücklich begrüßt und unterstützt. Die SED-Opferbeauftragte schlägt indes vor, der Dynamisierung der SED-Opferrente eine angemessene Erhöhung voranzustellen. Damit soll nach Vorstellung von Zupke auf die „prekäre soziale Lage vieler Opfer“ eingewirkt werden. 

Streichung der Bedürftigkeitsklausel

Grundsätzlich schlägt die SED-Opferbeauftragte zudem vor, den Erhalt der SED-Opferrente nicht mehr an eine „besondere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage“ zu koppeln. Eine Streichung der Bedürftigkeitsklausel hätte „eine besondere Aufwertung der Würdigung des individuell erlittenen Unrechts, das unabhängig von der sozialen Lage der Betroffenen besteht, zur Folge und wäre gleichzeitig mit dem Nebeneffekt eines erheblichen Bürokratieabbaus verbunden“, heißt es in dem Bericht. Ferner spricht sich die SED-Opferbeauftragte für eine Vererbbarkeit der SED-Opferrente aus. Analog fordert die SED-Opferbeauftragte eine vorangestellte Erhöhung für die Ausgleichsleistungen für beruflich Verfolgte, die laut dem Referentenentwurf ebenfalls dynamisiert werden sollen. Sie regt zudem an, die „Verfolgungszeiten bei beruflichen Verfolgten“ zu reduzieren. Dies würde zur „Stabilisierung der sozialen Lage der Betroffenen ganz wesentlich“ beitragen. 

Kritisch sieht die SED-Opferbeauftragte, dass in dem Referentenentwurf keine „Erleichterungen bei der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden“ vorgesehen sind, obwohl solche Regelungen im Koalitionsvertrag angekündigt worden seien. Sie weist darauf hin, dass die Anerkennungsquote „trotz aller Bemühungen“ nicht verbessert werden konnte. Dies sei nur durch eine Anpassung bundesgesetzlicher Regelungen zu erreichen. Zupke verweist dazu auf einen von ihr im März 2024 vorgelegten Sonderbericht und erneuert ihre Forderungen, in den einschlägigen Gesetzen, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, eine „kriterienbasierte Vermutungsregelung“ zu ergänzen, um die Anerkennung von Gesundheitsschäden zu erleichtern. 

Anpassung des sozialen Entschädigungsrechts 

Im Vorwort des Berichts weist Zupke darauf hin, dass Gesetze wie das Soziale Entschädigungsrecht auf Erfahrungen von Menschen in demokratischen Strukturen ausgelegt sind. Diese Regelungen griffen daher zu kurz, wenn es um die Opfer der SED-Diktatur gehe. „Um den Opfern der Diktatur angemessen helfen zu können, brauchen wir endlich passende Instrumente. Das sind Regelungen, die den besonderen Hintergründen von Repression in einer Diktatur Rechnung tragen“, schreibt Zupke. 

Die SED-Opferbeauftragte wirbt zudem dafür, auch Opfer des DDR-Zwangsdopingsystems sowie Opfer von Zersetzung außerhalb der DDR stärker zu berücksichtigen. Den im Referentenentwurf vorgesehenen Anspruch auf eine einmalige Leistung für Opfer von Zwangsaussiedlungen begrüßt Zupke ausdrücklich, kritisiert aber den avisierten Betrag von 1.500 Euro als „nicht nachvollziehbar“. Sie fordert, die Einmalzahlung an den bisherigen Einmalzahlungen für unterschiedliche Opfergruppen zu orientieren. So hätten anerkannte Dopingopfer 10.500 Euro erhalten. Zudem spricht sich Zupke gegen Ausschlussgründe für die Einmalzahlung aus. 

Erinnerungs- und Gedenkkultur

Die SED-Opferbeauftragte befasst sich in ihrem Jahresbericht auch mit der Erinnerungs- und Gedenkkultur. Konkret geht Zupke beispielsweise auf die kritische Diskussion um das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), vorgelegte „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ ein. Wie in dem Bericht ausgeführt wird, hatte der Entwurf des Rahmenkonzeptes vorgesehen, die „Auseinandersetzung mit den staatlich organisierten Verbrechen des deutschen Kolonialismus“ als dritte Säule für das staatliche Selbstverständnis aufzunehmen. 

Das sei von den im Bereich der Geschichtsvermittlung tätigen Institutionen problematisiert worden. Sie sei ebenfalls der Auffassung, dass „ein überarbeitetes Gedenkstättenkonzept auf das bisherige und bewährt konturierte Konzept aufbauen [sollte], in dem alleinig das staatlich verübte Unrecht Bezugspunkt bleibt, um ein kritisch reflektionsorientiertes Staatsbewusstsein mit dem Ziel eines antitotalitären Konsenses in der Bundesrepublik zu befördern“, heißt es in dem Bericht der SED-Opferbeauftragten. Eine direkte Aufnahme der Kolonialverbrechen könne gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Sie sei daher der Staatsministerin für den Austausch und die Ankündigung sehr dankbar, „eine Aktualisierung der bisherigen Gedenkstättenkonzeption mit den zwei bestehenden Säulen zur Grundlage des weiteren Prozesses zu machen“. (scr/irs/13.06.2024)