Zeit:
Mittwoch, 12. Juni 2024,
15.45
bis 17.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Gesundheits- und Pharmaexperten sehen in dem Medizinforschungsgesetz der Bundesregierung eine wichtige Weichenstellung, kritisieren aber einzelne aus ihrer Sicht schädliche Regelungen. Im Zentrum der Kritik stehen die vertraulichen Erstattungsbeträge, die mit der Reform eingeführt werden sollen, wie eine Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem Gesetzentwurf (20/11561) gezeigt hat. Auch die spezialisierte Ethik-Kommission auf Bundesebene wird kritisch hinterfragt. Die Sachverständigen äußerten sich am Mittwoch, 12. Juni 2024, in der Anhörung und in schriftlichen Stellungnahmen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem Medizinforschungsgesetz sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert werden. Das Ziel sei, die Attraktivität des Standortes Deutschland in der medizinischen Forschung zu stärken und den Zugang zu neuen Therapieoptionen zu beschleunigen, heißt es im Gesetzentwurf.
Klinische Prüfungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten sollen vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt werden. Regulatorisch soll der Weg für dezentrale klinische Prüfungen geebnet werden. Die Kennzeichnung von Prüf- und Hilfspräparaten soll erleichtert und die Genehmigung „mononationaler“ klinischer Prüfungen beschleunigt werden. Zudem soll die rechtliche Grundlage für die Veröffentlichung von Standardvertragsklauseln für klinische Studien geschaffen werden. Im Bereich des Strahlenschutzes soll eine Verzahnung der Verfahren und damit eine Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen erreicht werden.
Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll eine übergreifende Koordinierungsstelle für Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für Arzneimittel eingerichtet werden. Geplant ist außerdem eine spezialisierte Ethik-Kommission für besondere Verfahren auf Bundesebene. Dem Entwurf zufolge sollen zudem der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die pharmazeutischen Unternehmer die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren.
Kritik an vertraulichen Erstattungsbeträgen
Mehrere Fachverbände, darunter die Krankenkassen, wandten sich entschieden gegen die vertraulichen Erstattungsbeträge und warnten vor zusätzlichen Kosten. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erklärte, mit der Einführung von Geheimpreisen drohe eine Vielzahl systemrelevanter Probleme. Zu befürchten seien kontinuierlich steigende Mehrausgaben in Milliardenhöhe und bürokratischer Mehraufwand. Eine bessere Versorgungsqualität sei hingegen nicht zu erwarten.
Eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes warnte in der Anhörung, die Regelung könnte in einem Zeitraum von zehn Jahren Zusatzkosten in Höhe von bis zu 33 Milliarden Euro verursachen. Zusatzkosten ab einer Höhe von 1,5 Milliarden Euro seien beitragssatzrelevant.
„Massive Kollateralschäden“ befürchtet
Der AOK-Bundesverband begrüßte den Abbau bürokratischer Hürden und die Beschleunigung von Prüfverfahren zugunsten der medizinischen Forschung. Mit dem vertraulichen Erstattungsbetrag werde der Forschungs- und Produktionsstandort jedoch nicht unterstützt. Die Regelung konterkariere die europäischen Bestrebungen für mehr Transparenz und angemessene Arzneimittelpreise. Die AOK befürchtet „massive Kollateralschäden“. Der geheime Erstattungsbetrag sei weder notwendig noch sachgerecht.
Kritik an der Regelung kam auch aus der Pharmabranche. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) befürchtet höhere Einkaufspreise und zu deren Finanzierung höhere Fremdkapitalkosten. Nach Darstellung des Verbandes müssten auch die Datenbanksysteme angepasst werden, was den bürokratischen Aufwand vergrößern würde.
Die Arzneimittel-Importeure warnten vor einer Verschiebung des Preisgefüges aufgrund intransparenter Preise in Europa. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sprach sich für eine regelmäßige Evaluierung des Gesetzes aus, um zur prüfen, ob das Ziel, Deutschland wieder als Forschungs- und Pharmastandort attraktiv zu machen, erreicht werde.
Innovationsfreundliche Erstattungsbedingungen gefordert
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfu) erklärte, die Verbesserungen für den Studienstandort könnten nur zusammen mit innovationsfreundlichen Erstattungsbedingungen erfolgreich sein. Die starren Einschränkungen im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) erschwerten, dass innovative Arzneimittel in die Patientenversorgung kämen. Es bestehe bei den Erstattungsbedingungen dringender ergänzender Regelungsbedarf.
Ein Verbandsvertreter sagte in der Anhörung, insbesondere die sogenannten „Leitplanken“ seien für den Standort Deutschland verheerend. Die Möglichkeit für vertrauliche Erstattungspreise wertete der Verband als zusätzliche Vertragsoption für spezielle Konstellationen, wenn die Verfügbarkeit innovativer Arzneimittel gefährdet sei. Die Neuregelung schaffe mehr Flexibilität für Einzelfälle im Verhandlungsrahmen des AMNOG.
Verschiedene Sachverständige machten sich in der Anhörung dafür stark, die im Entwurf vorgesehenen Mustervertragsklauseln verbindlich zu regeln. Damit ließen sich nach Ansicht der Experten die klinischen Prüfungen in Deutschland erheblich beschleunigen.
Spezialisierten Ethik-Kommission umstritten
Die Bundesärztekammer (BÄK) äußerte sich besorgt über die Errichtung einer spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren auf Bundesebene. Angesichts der strukturellen Ansiedlung beim BfArM widerspreche die Ethik-Kommission zentralen Anforderungen der vom Weltärztebund verabschiedeten Deklaration von Helsinki. Die Unabhängigkeit bei der ethischen Bewertung von Studienvorhaben werde damit grundlegend infrage gestellt. Die unabhängige Bewertung sei aber ein zentraler Eckpfeiler des Probandenschutzes im Kontext klinischer Prüfungen. Die vorgesehene Regelung sei umso bedenklicher, als die Kommission gerade für die komplexen und damit riskanten Forschungsvorhaben an hoch vulnerablen Patientengruppen zuständig sein solle.
Der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen (AKEK) erklärte, in den bestehenden Ethik-Kommissionen sei das notwendige Fachwissen vorhanden und sollte genutzt werden. Die Einrichtung einer spezialisierten Ethik-Kommission führte zu unnötiger Doppelbürokratie, eine Beschleunigung der Verfahren sei nicht zu erwarten. Arzneimittelstudien würden schon jetzt von nur jeweils einer Ethik-Kommission bewertet. Die gesetzlichen Fristen würden auch eingehalten. Mit der geplanten Ansiedlung der spezialisierten Ethik-Kommission bei einer Bundesoberbehörde könnte die Bereitschaft der Bevölkerung, an klinischen Studien teilzunehmen, abnehmen. (pk/12.06.2024)