Europäische Union

Europaausschüsse von Bundestag und Assemblée tauschen Standpunkte aus

Zeit: Mittwoch, 5. Juni 2024, 15 bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900 (Europasaal)

Eine Bewertung der Ergebnisse des deutsch-französischen Ministerrates und die Suche nach einem bilateralen strategischen Ansatz für die Europäische Union standen auf der Tagesordnung der gemeinsamen Sitzung der Europaausschüsse des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung am Mittwoch, 5. Juni 2024. Dr. Anton Hofreiter (Bündnis90/Die Grünen), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag, und Pieyre-Alexandre Anglade (Renaissance), Vorsitzender des Europaausschusses in der französischen Nationalversammlung, die die Sitzung leiteten, erinnerten an den jüngsten Besuch des französischen Staatspräsidenten in Deutschland, dessen programmatische Rede in Dresden sowie die Tagung der Regierungen in Meseberg. 

„Zukunft im Zeichen der Europäischen Union“

Die Treffen auf Ebene der Staatschefs und der Regierungen seien ein großer Erfolg gewesen, sagte Hofreiter. Dazu zählten neue Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion von Rüstungsgütern, die angesichts des Krieges in der Ukraine größeres Augenmerk erhielten. Wenn man in Rüstungsfragen kooperiere, sparten beide Länder Geld und die Armeen bekämen dafür mehr. Der Politiker der Ampelkoalition mahnte gleichzeitig mehr Tempo bei deutsch-französischen Projekten an – von der Rüstungszusammenarbeit, über die Verabschiedung neuer Sanktionen gegen Russland bis zur Energiepolitik. 

Möglichst schnell sollten sich auch beide Ausschüsse in demselben Format mal persönlich treffen, griff er den Vorschlag von Anglade auf. Der französische Vorsitzende hob aus der Erklärung von Meseberg hervor, dass sich die Regierungen dort darauf verständigt hätten, die Wettbewerbsregeln für die europäische Wirtschaft zu modernisieren, Innovationen zu fördern sowie eine Union der Kapitalmärkte mit gleichem Zugang für alle zu schaffen. „In bestimmten strategischen Sektoren“ hegten die Franzosen bei der Beschaffung den Wunsch einer „europäischen Präferenz“. 

Die Minister hätten außerdem die Bedeutung des „Green Deal“ als Strategie für eine CO2-arme Wirtschaft und für mehr Wachstum in Europa unterstrichen, führte er weiter in das Sitzungsthema ein. Um die für die Energiewende nötigen Investitionen zu stemmen müsse man jenseits der bisherigen Mittel über weitere Instrumente der Kapitalbeschaffung nachdenken, bis hin zu der Möglichkeit, am Markt „gemeinsam Geld aufzunehmen“. Die deutsch-französische Zukunft stehe „natürlich im Zeichen der Europäischen Union“ und sei offen für weitere Partner, sagte Anglade.

SPD: Nicht die sozialen Themen aus dem Blick verlieren

Nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat in schwierigen Zeiten und somit die sozialen Themen aus dem Blick zu verlieren, mahnte Angelika Glöckner (SPD)

Die von der Politik behandelten Themen hätten direkte Auswirkungen auf den Geldbeutel der Menschen und müssten daher „mit dem sozialen Grundgedanken Europas zusammengedacht“ werden. „Das Wohlstandsversprechen ist das Versprechen der EU schlechthin.“

Union: Handelspolitik mit Drittländern verbessern

Um Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand in Europa zu erhalten, müsse die Europäische Union auch ihre Handelspolitik mit Drittländern stärker unter die Prämisse „Was nutzt es uns als EU?“ stellen und die Aushandlung neuer Verträge von zu vielen Aspekten, etwa in den Bereichen Umwelt und Soziales, entlasten, forderte Gunther Krichbaum (CDU/CSU). Die Maßstäbe bei den aktuellen Verhandlungen seien zu hoch, die Agenda zu voll, die Verhandlungen zögen sich „immer mehr in die Länge. Damit ist nichts gewonnen.“ 

Die Ernsthaftigkeit Frankreichs bei der militärischen und humanitären Unterstützung der Ukraine hinterfragte Tobias Winkler (CDU/CSU). Präsident und Regierung in Paris hätten sich wiederholt klar zu umfassenden Hilfen bekannt und keine Zweifel gelassen, wie eng das Land an der Seite der Ukraine stehe. Doch Frankreich liege weit hinter den eigenen Ambitionen zurück. 

Grüne: Lücken bei Russland-Sanktionen

Auf Lücken im europäischen Sanktionssystem gegenüber der russischen Regierung wiesen Chantal Kopf und Julian Pahlke (beide Bündnis 90/Die Grünen) hin. So planten ein französisches und ein russischen Unternehmen eine gemeinsame Produktionsstätte für atomare Brennelemente in Niedersachsen. „Sind Sie bereit, das mit uns zu verhindern?“, fragte Pahlke die französischen Kolleginnen und Kollegen in der Assemblée nationale

Immer noch füllten Geschäfte mit nuklearen Brennstoffen und Flüssiggas die Kriegskasse des Kreml, rief Kopf in Erinnerung. Man müsse sich jetzt darüber austauschen, wie man diese Geschäfte unterbinden könne. Umgekehrt gelte es eigene Ressourcen zu schaffen, um die Herausforderungen rund um die EU, zu bewältigen. Um in konstruktive politische Verhandlungen miteinander treten zu können, müssten sich nach der Wahl am 9. Juni die demokratischen Parteien zusammentun. 

FDP: Energieversorgung und EU-Erweiterung

Konrad Stockmeier (FDP) rief Deutschland und Frankreich dazu auf, sich vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Wege bei der Energieversorgung mit wechselseitigem Respekt zu begegnen, Impulse des anderen aufzugreifen und diese in eine gemeinsame Strategie hin „zu einer klimaneutralen Energieversorgung“ münden zu lassen. „Wenn wir an einem Strang ziehen, werden wir sehr unabhängig, sehr resilient und sehr stark.“ 

Bei der Erweiterung der EU um neue Staaten in Osteuropa gehe es angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine darum, diesen Ländern gerade jetzt eine Perspektive aufzuzeigen, sagte Sandra Weeser (FDP). „Wir müssen diese Staaten umarmen.“ Andererseits gelte es über die Geschwindigkeit des Beitrittsprozesses nachzudenken und Prioritäten in einzelnen Feldern der Zusammenarbeit zu setzen. Eine Reform müsse die Handlungsfähigkeit einer erweiterten EU verbessern. Dazu gehöre die Abschaffung des Vetorechts im Ministerrat. 

AfD: EU wurde als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet

Die Europapolitik der deutschen und französischen Regierung im Allgemeinen sowie den Zeitpunkt des verschobenen Staatsbesuchs Emmanuel Macrons kurz vor den Europawahlen am 9. Juni im Besonderen kritisierte Norbert Kleinwächter (AfD). Das als Friedensprojekt proklamierte Europa liefere immer mehr Waffen, der Green Deal, werde fälschlicherweise als Wachstumsprojekt verkauft und unter russischem Druck treibe man die Osterweiterung voran. 

Dabei solle man sich stärker darauf zurückbesinnen, dass die EU einst als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden sei. Für die Aufnahme spielten demnach keine geopolitischen Erwägungen eine Rolle, sondern ob die Kandidaten bestimmte Voraussetzungen erfüllen. 

Renaissance: Gemeinsame europäische Einheiten schaffen

Constance Le Grip (Renaissance) warb dafür, Missverständnisse zwischen beiden Ländern beim Thema der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu überwinden. Es gehe darum, „gemeinsame europäische Einheiten“ zu schaffen, die auch global bestehen, ohne dass der Geist des Wettbewerbs verlorengehe. 

Schnell zu einer Einigung kommen müssten Deutschland und Frankreich außerdem beim Aufbau eines gemeinsamen Kapitalmarktes. Auch in der europäischen Handelspolitik gelte es, die verschiedenen Sichtweisen einzubringen und, wie es in der Erklärung von Meseberg stehe, einen nachhaltigen Ansatz zu verfolgen, der gleichzeitig die Interessen der Union in der Welt fördere. Um neue Mitglieder aufnehmen zu können, müsse die EU ihre Entscheidungsmechanismen reformieren. 

Démocrate: Zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten

Über zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten, darunter „Eigenmittel“ der EU, um die „europäische Industrie- und Technologiebasis“ im Bereich der Rüstung und Verteidigung zu sichern, machte sich Sabine Thillaye (Démocrate) Gedanken. Deutschland und Frankreich spielten eine wichtige Rolle dabei, eine Zersplitterung des europäischen Rüstungsmarktes zu verhindern und damit auch Einsparungen zu erreichen. 

Bei zwei Rüstungsprojekten, darunter der Entwicklung eines Kampfpanzers, sei man mit der Unterzeichnung eines Memorandums durch die Verteidigungsminister nun weitergekommen. Angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen müssten beide Länder vor allem von den Bedarfen der Streitkräfte ausgehen und künftig noch bessere Absprachen treffen. Es gehe darum, noch schneller mehr europäisch zu produzieren. 

La France insoumise: Nicht zulasten der Klimaziele

Rodrigo Arenas (La France insoumise) mahnte, die gemeinsame Industriepolitik dürfe nicht zulasten der Klimaziele gehen. Die Bildung gemeinsamer europäischer Streitkräfte werfe die Frage nach deren Stellung in der Nato auf. 

Bei der Osterweiterung der EU müsse man vermeiden, dass neue Pufferzonen entstehen, die es verhinderten, friedliche Beziehungen zum Rest des Kontinents aufzubauen. Für das Thema Cybersicherheit gelte es die neue Generation bereits in der Schule zu sensibilisieren.

Les Républicains: Erleichterungen für Grenzgänger

Die Perspektive der Grenzregion brachte Vincent Seitlinger (Les Républicains) ein. Auf dem Gebiet der Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit habe man im Rahmen der Europäischen Union große Fortschritte erzielt. 

Das Leben tausender täglicher Grenzgänger sei erleichtert worden, dennoch bleibe noch viel zu tun, beispielsweise bei gegenseitigen Anerkennungen. Gerade bei diesen Aspekten des Zusammenwachsens könne der deutsch-französische Motor ein Motor für die europäische Integration insgesamt sein. 

Rassemblement National kritisiert Green Deal

Dass die Politik des Green Deal keine Rücksicht auf nationale Besonderheiten nehme, kritisierte Joëlle Mélin (Rassemblement National). Das Projekt schwäche die Wirtschaft und führe zu sozialen Ungleichheiten. 

Stattdessen brauche man eine „pragmatische Energiewende“, die stärker auf die Belange der Wirtschaft und der Menschen Rücksicht nehme. Die deutsch-französischen Beziehungen sollten beiden Ländern zum Vorteil gereichen. (ll/05.06.2024)