Kontroverse über den richtigen Bürokratieabbau
Einigkeit beim Ziel, Bürokratie abzubauen, aber Uneinigkeit über das richtige Maß und den richtigen Weg hat sich gezeigt, als der Bundestag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/11306) zur „Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie“ am Freitag, 17. Mai 2024, erstmals beriet. Dieses Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) soll Wirtschaft und Gesellschaft nach Regierungsangaben jährlich um 944 Millionen Euro entlasten. Der Gesetzentwurf wurde im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen.
Minister: Weniger Zettel, mehr Wirtschaft
Vor einem „Bürokratie-Burnout“ der deutschen Wirtschaft warnte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) bei der Einbringung des Gesetzentwurfs. Mehr und mehr Ressourcen würden von produktiven Tätigkeiten abgezogen. Die Bundesregierung wirke dem mit mehreren Maßnahmen entgegen, darunter das BEG IV. „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft“ nannte Buschmann als Ziel und führte als Beispiel an, dass nach dem neuen Gesetz 90 Millionen weniger Meldezettel in Hotels ausgefüllt werden müssten.
Der Justizminister kündigte weitere Schritte an. So werde der Gesundheitsminister in seinem Bereich Bürokratie abbauen, der Wirtschaftsminister werde in Kürze Erleichterungen für das Vergaberecht vorschlagen, und die ganze Bundesregierung setze sich gemeinsam mit Frankreich für Bürokratieabbau auf EU-Ebene ein. Denn 57 Prozent des bürokratischen Erfüllungsaufwandes in Deutschland stamme aus der Umsetzung von europäischen Richtlinien.
CDU/CSU: Ampel schuld an mehr Bürokratie
Prof. Dr, Günter Krings (CDU/CSU) entgegnete, Elemente des BEG IV gingen in die richtige Richtung, mehr Positives könne er dazu aber nicht sagen. Die Bürokratie sei in der Zeit der amtierenden Regierung schlimmer geworden, der Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft nach Aussage des Normenkontrollrats so hoch wie nie, beklagte Krings.
Sein Fraktionskollege Dr. Martin Plum ergänzte, der jährliche Bürokratieaufwand für die Wirtschaft von 65 Milliarden Euro würde durch das BEG nur um rund 300 Millionen oder ein halbes Prozent gesenkt. Währenddessen habe die Bundesregierung Ende März einen Referentenentwurf vorgelegt, der Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichten solle und sie mit neuen Bürokratiekosten von 1,4 Milliarden Euro im Jahr belaste.
Der CSU-Abgeordnete Dr. Volker Ullrich verwies darauf, dass Vorschriften und Dokumentationspflichten in der Regel „aus vielen guten Gründen“ entstanden seien, um Risiken zu minimieren. Vielleicht sei es aber besser, nicht Risiken „um jeden Preis“ zu minimieren, sondern „den Menschen wieder mehr Verantwortung und Eigenständigkeit zuzutrauen“.
FDP: Daueraufgabe Bekämpfung der Bürokratie
Dem hielt Dr. Thorsten Lieb (FDP) entgegen, dass die Summe von 65 Milliarden auch schon vor zehn Jahren im Bericht des Normenkontrollrats gestanden habe und damals die CDU die Regierung geführt habe. Lieb wies wie auch andere Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen darauf hin, dass das BEG nur eines in einer Reihe von Maßnahmen zum Bürokratieabbau sei, die schon erfolgt oder noch geplant seinen.
Tatsächlich ist das BEG Teil eines bei der Kabinettsklausur in Meseberg im August 2023 vereinbarten größeren Maßnahmenpakets, zu dem auch das im März verabschiedete Wachstumschancengesetz gehört. „Die Bekämpfung der Bürokratie-Hydra ist und bleibt eine Daueraufgabe der Politik“, sagte Lieb.
AfD: Erbe des Altparteien-Staats
Drastisch fiel die Kritik von Stefan Brandner (AfD) aus, der auch frühere Bundesregierungen mit einbezog. Bürokratie und nicht etwa Arbeitskräftemangel oder Energiepreise sei mit Abstand das größte Wirtschaftshemmnis, das sei „das Erbe des Altparteien-Staats Deutschland“.
Brandners Fraktionskollege Enrico Komning bezeichnete „Kontrollieren, Auskundschaften, Vorschreiben, Verbieten und bei Ungehorsam Gängeln“ als „Kern heutigen Regierungshandelns“. Allein das Gebäudeenergiegesetz bedeute einen einmaligen Erfüllungsaufwand von 127 Millionen Euro für die Bürger und 12,5 Milliarden Euro für die Unternehmen.
Linke: Wohlfühlgesetz
Als ein „Wohlfühlgesetz, das niemandem wehtut“, bezeichnete Sören Pellmann (Gruppe Die Linke) den vorliegenden Entwurf. Allein im Baubereich gebe es 3.500 Normen und knapp 20.000 Vorschriften.
„So kann man weder die furchtbare Wohnungsnot noch die Klimakatastrophe abwenden“, warnte Pellmann.
Grüne: Erfolge beim Bürokratieabbau
Auf bereits erfolgten Bürokratieabbau verwies Dr. Ingrid Nestle (Bündnis 90/Die Grünen) am Beispiel der Energieversorgung. Die Koalition habe den Ausbau der erneuerbaren Energien schon „ganz entscheidend beschleunigt, und den Ausbau der Netze noch mehr“, lobte Nestle.
Besonders hob sie den von Wirtschaftsminister Habeck eingeführten Praxistest hervor, bei dem gemeinsam mit betroffenen Verbänden 57 konkrete Vorschläge aus der Praxis entwickelt worden seien, von denen 41 in Gesetzen und Verordnungen umgesetzt werden konnten. „Wir haben einmal mehr gezeigt: Bürokratieabbau ist möglich“, betonte Nestle.
SPD: Werden noch eine Schippe drauflegen
Redner von Koalitions- wie Oppositionsfraktionen kündigten an, in den parlamentarischen Beratungen noch „eine Schippe draufzulegen“, wie Dirk Wiese (SPD) formulierte. Sonja Eichwede (SPD) verteidigte das Vorgehen in kleinen Schritten. Richtig sei, Regelungen zu streichen, die ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Andererseits sei es beispielsweise wichtig, Regelungen mit Schutzfunktion für Arbeitnehmer beizubehalten.
Wiese verwies darauf, dass neben der Bundesregierung und der EU auch Landesregierungen und kommunale Körperschaften für Bürokratiebelastungen von Wirtschaft und Bürger verantwortlich seien.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
In der Vorlage ist unter anderem vorgesehen, Formerfordernisse im Zivilrecht abzusenken, Aufbewahrungspflichten für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht zu verkürzen sowie für deutsche Staatsangehörige die Hotelmeldepflicht abzuschaffen. Ferner soll laut Entwurf eine zentrale Datenbank der Steuerberaterinnen und Steuerberater für Vollmachten im Bereich der sozialen Sicherung eingeführt werden.
Die Bundesregierung führt zur Begründung aus, dass „in Zeiten multipler Krisen, stockender Konjunktur und angespannter Haushaltslagen [...] die Beseitigung überflüssiger Bürokratie besonders dringend“ sei. Das BEG IV stellt sie im Entwurf in einen Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen zum Bürokratieabbau, etwa dem bereits verabschiedeten Wachstumschancengesetz.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat begrüßt in seiner Stellungnahme den Gesetzentwurf grundsätzlich. Der Entwurf gehe aber nicht weit genug und werden den Entlastungsbedarfen der Wirtschaft nicht gerecht. Ferner fordert die Länderkammer die Bundesregierung auf „bereits getroffene Beschlüsse, wie beispielsweise jene im Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung, rasch umzusetzen“. Der Bundesrat unterbreitet in seiner Stellungnahme etliche Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf, etwa um weitere Schriftformerfordernisse abzubauen. Der Gesetzentwurf ist laut Entwurf im Bundesrat zustimmungspflichtig.
In ihrer Gegenäußerung kündigt die Bundesregierung die Prüfung einzelner Vorschläge der Länderkammer an, andere lehnt sie ab, einige will sie direkt übernehmen. Das trifft in modifizierter Form unter anderem auf den Vorschlag des Bundesrates zu, die Textform in arbeitsvertraglichen Bereichen zu stärken. „Nach Übereinkunft der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen ist beabsichtigt, dass der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in Textform möglich sein soll, sofern das Dokument für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugänglich ist, gespeichert und ausgedruckt werden kann und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält“, schreibt die Bundesregierung dazu.
Stellungnahme des Normenkontrollrats
Der Nationale Normenkontrollrat bewertet das Vorhaben in seiner Stellungnahme ebenfalls positiv. Mit der avisierten Entlastung für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung sei das Gesetz ein „wesentlicher Beitrag zum Bürokratieabbau“.
Das Gremium verweist allerdings auf weitere Vorschläge aus der Praxis. In ihnen sieht der Rat „noch erhebliche Potenziale für Entlastungen und empfiehlt, diese in diesem Vorhaben oder in weiteren Bürokratieabbaugesetzen zu berücksichtigen“. (pst/scr/eis/17.05.2024)