Kinderkommission

„Umgang mit digitalen Angeboten sollte früh erlernt werden“

Zeit: Mittwoch, 24. April 2024, 15 bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200

Kinder müssen, entsprechend ihrer kognitiven Fähigkeiten, in Kita und Schule frühzeitig den kompetenten Umgang mit den Angeboten und Möglichkeiten des Digitalen erlernen, waren sich die Sachverständigen im öffentlichen Fachgespräch der Kinderkommission am Mittwoch, 24. April 2024, zum Thema „Faktoren, die über Bildungs- und Entwicklungschancen entscheiden können: Digitalisierung“ einig. 

Dazu gelte es, sich auf die Unterrichtung von Schlüsselfähigkeiten zu konzentrieren, Schulen als moderne Lernorte nicht nur mit Technik, sondern mit maßgeschneiderten Konzepten auszustatten, Erzieher und Lehrkräfte zu befähigen und auch die Gefahren aus dem Internet im Auge zu behalten. 

„Spielen im Freien darf nicht zu kurz kommen“

In seiner Organisation wolle man Kinder in erster Linie auf die Zukunft vorbereiten, sagte Stefan Spieker vom freien Bildungsträger und Betreiber von Kindertageseinrichtungen Fröbel e. V. Statt Kinder an Apps, Programme und Spiele zu gewöhnen, die darauf zielen, deren Aufmerksamkeit möglichst lange zu fangen, würden bei Fröbel Handy, Tablet und Computer wie Alltagswerkzeuge genutzt. Apps sollten die Kreativität und mediale Kompetenz der Kinder fördern. 

Mit Kindern und Eltern reflektiere man kritisch, was in den sozialen Medien passiere.  Die soziale Interaktion und das Spielen im Freien dürften nicht zu kurz kommen. Eine wichtige Funktion im Kitabetrieb hätten digitale Anwendungen für die Organisation oder als Diagnosetool zur Ermittlung des Sprachstandes der Kleinen. Aufgrund der erhobenen Daten könne man die Kinder individuell fördern. Digitale Anwendungen erleichterten auch die häufig fremdsprachliche Kommunikation mit den Elternhäusern. KI werde dabei eine wachsende Rolle spielen. 

Spielerische Vermittlung von Lerninhalten

Ein vierjähriges aufeinander aufbauendes Curriculum zur Medienbildung von Kindern der Jahrgangsstufen 2 bis 6 stellte Carsten Knodel, Inhaber des Anbieters Computer Bildung Berlin, vor. Nach Zustimmung der schulischen Gremien und mit einer Finanzierung seitens der Eltern kooperiere er mit mittlerweile mehr als 50 Grundschulen in Berlin und Brandenburg. Medienkompetenzen und Programmierlogik sowie Internetsicherheit und Cybermobbing gehörten zu den Themen. 

Die spielerische Vermittlung von Lerninhalten, das aktive Gestalten anhand von Projekten aus der Erlebniswelt der Kinder, stehe dabei im Vordergrund: „Gelerntes wird gleich angewendet und anhand der Anwendung gelernt.“ Im zweiten „Ausbildungsjahr“ lernten die Kinder Tabellenkalkulation mit dem Stundenplan. Es gebe „Malen-nach-Zahlen-Spiele“, bei denen bereits Formeln und Rechenfunktionen genutzt würden. Schritt für Schritt steigere sich die Komplexität der Materialien. Die Kinder würden von ihren Erfolgen zur nächsten Stufe getragen und auch von ausgebildete Dozenten betreut. 

Qualifiziertes Personal fehlt

Was die Hardware-Ausstattung angehe, seien die meisten Schulen auf einem guten Weg. „Beim produktiven Arbeiten sieht es anders aus.“ Es fehle an qualifiziertem Personal vor allem an der Schnittstelle zwischen Pädagogik und IT: „Beide Seiten haben voneinander wenig Ahnung.“ Alle Grundschulen werkelten im Eigenversuch vor sich hin, bis sie selbst entsprechende Erfahrungen gesammelt hätten, so der Bildungsunternehmer. 

An vielen Schule funktioniere die digitale Bildung durch einzelne engagierte Lehrer gut. Es lasse sich für jede Grundschule ein individuelles, passgenaues Konzept schaffen, je nach dem fachlichen Schwerpunkt der Einrichtung. Alle Lehrkräfte seien dabei wie in einem gut geführten Unternehmen mitzunehmen. Knodel rief dazu auf, die finanziellen Ressourcen im Bildungssystem gezielter einzusetzen statt Milliarden wie beim Förderprogramm „Digitalpakt Schule“ einfach „mit der Gießkanne“ zu verteilen. 

„Wir wissen nicht, was morgen kommt“

Was Lehrkräfte jetzt tun sollen und wo sie sich orientieren können, das beschäftigte den Medien- und Grundschulpädagogen Prof. Dr. Thomas Irion von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Die Digitalisierung sei dabei, Wirtschaft und Gesellschaft rasant zu verändern, von den Produktionsweisen über die Art der Kommunikation, Social Media und die Vorstellungen von Schönheitsidealen bis hin zu den Rückwirkungen auf die Politik. 

Zu den Entwicklungen der Digitalität gehörten neue Bildwelten bis hin zu deep fakes, die Möglichkeiten der KI oder die Rolle der Influencer. Menschen bewegten sich in ihren Interessen-Blasen, das Verhalten im Internet werde von kommerziellen Anbietern überwacht: „Wir wissen nicht, was morgen kommt.“

Reflexion, Analyse, Nutzung, Gestaltung

Um die Kleinen darauf vorzubereiten, reiche es nicht wie jetzt in Baden-Württemberg, die Schulen mit „LegoSpike Boxen“ auszustatten. Stattdessen müsse man sich um die Future skills, also die künftig gefragten Fähigkeiten bemühen, so der Wissenschaftler. An die immer neu auftreten Trends in der digitalen Welt habe er daher vier statische, bei jeder neuen Entwicklung anzuwendende Kompetenzbereiche Reflexion, Analyse, Nutzung, Gestaltung (RANG) gelegt. Jede pädagogische Maßnahme solle man dort verorten. 

Die Forschung habe die frühere Fragestellung „Lernt man mit digitalen Medien besser?“ hin zu „Wie lernt man mit digitalen Medien besser?“ verändert. So sei von dem Einsatz der KI als reine Textmaschine abzuraten. Sie könne aber sehr sinnvoll sein, um Schüler mit Lern-Apps individuell zu unterstützen. Die digitale Dimension sei sinnvoll, um dem klassischen Medium Buch das Medium Video an die Seite zu stellen, sie ermögliche kooperatives Lernen, indem man an etwas immer weiter arbeiten könne, die Lernorte könnten variieren.

„Gefahren auf allen Ebenen begegnen“

Zu der Vermittlung von Medienkompetenzen an der Schule gehöre auch, den Gefahren ins Auge zu sehen und die Kinder entsprechend ihrer kognitiven Entwicklung vor Inhalten zu schützen, die sie noch nicht verarbeiten können. Irion empfahl, den Gefahren auf allen Ebenen zu begegnen: technologisch anhand von Zugangssperren, pädagogisch durch das Gespräch zwischen Lehrern und Eltern sowie gesetzgeberisch durch eine „dynamische“ Gesetzgebung.

Um die Medienkompetenz der Kinder zu fördern brauche es pädagogische Konzepte entlang der RANG-Skills, am besten ein Schulfach Medienbildung, Räume für kreative Medienprojekte, bessere Lernplattformen für die Kleinen und einheitliche Standards für die frühkindliche Bildung sowie eine angemessene Ausbildung der Lehrkräfte. (ll/25.04.2024)