Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat sich am Mittwoch, 8. November 2023, im Rahmen einer Sachverständigen-Anhörung mit dem Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes (20/8290, 20/8670) sowie der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum „Klimaschutzprogramm 2023 der Bundesregierung“ (20/8150) befasst. Von Seiten der Experten wurde massive Kritik an der geplanten Novelle geübt. Die Experten äußerten sich in der Anhörung und in schriftlichen Stellungnahmen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das Klimaschutzgesetz (KSG) soll unter Auswertung der bisherigen Erfahrungen und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen fortentwickelt werden. Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll künftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden.
Statt, wie bislang vergangene Zielverfehlungen in den Blick zu nehmen, soll mit dem nun verstärkten Fokus auf zukünftige Emissionen besser als bisher überprüft werden können, ob Deutschland auf dem richtigen Weg ist oder ob Maßnahmen nachgeschärft werden müssen. Anders als bisher soll künftig im Mittelpunkt stehen, ob der Treibhausgasausstoß insgesamt reduziert wird – unabhängig davon, in welchem Bereich er entsteht.
„Verfassungsrechtlich ausgesprochen problematisch“
Besonders heftig fiel die Kritik in den Stellungnahmen der Rechts-Sachverständigen aus. Der vorliegende Gesetzentwurf sei „verfassungsrechtlich ausgesprochen problematisch“, sagte Dr. Roda Verheyen, Vorstand von Green Legal Impact und Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts. „Keine Verschiebung von Reduktionslasten in die Zukunft und damit auf die nachfolgenden Generationen“ – das sei die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts gewesen, doch genau das passiere mit der geplanten Novelle. Die gegenwärtige und absehbare Klimapolitik des Bundes sei unzureichend, um den Reduktionspfad des KSG einzuhalten, sagte die auf Vorschlag der SPD geladenen Expertin und appellierte an die Abgeordneten: „Es ist zwingend erforderlich dieses Gesetz so nicht anzunehmen.“
Zu dem gleichen Ergebnis kam Prof. Dr. Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, der ebenfalls auf Einladung der SPD-Fraktion sprach. Müller bemängelte unter anderem auch, dass insbesondere die Beschränkung des Nachsteuerungsmechanismus auf den Zeitraum bis 2030 weder konsistent zu den Vorgaben für die Projektionsdaten noch sachgerecht sei. Dadurch werde das Bundes-Klimaschutzgesetz faktisch befristet.
Kritiker befürchten „Verantwortungsdiffusion“
Das Klimaschutzgesetz sei „nicht ansatzweise mit der 1,5 Grad-Grenze kompatibel, sagte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Mit dem KGS gehe es offenbar darum, “säumige Ministerien vor schlechter Presse zu schonen und Klimablockadepolitik in Schlüsselsektoren wie dem Verkehr in einer „mehrjährigen Gesamtrechnung“ zu verstecken. Müller-Kraenner sprach von drohender „Verantwortungsdiffussion“. Die Probleme des aktuellen Klimaschutzgesetzes würden auf diese Weise nicht gelöst, sondern verschärft, so der Experte, der auf Einladung der Fraktion Die Linke Stellung nahm.
Dem stimmte Tobias Pforte-von Randow vom Deutschen Naturschutzring zu. Der vorliegende Gesetzentwurf diene lediglich der Verschleierung ungenügender Klimaschutzbemühungen. Statt das Klimaschutzgesetz nachzuschärfen, Verfehlungen zu sanktionieren und den Expertenrat in seinen Kompetenzen zu stärken, würden mit dem KGS grundlegende Mechanismen dieser wichtigen Klimaschutzarchitektur abgeschafft werden. Der Experte, der auf Einladung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sprach, äußerte die Hoffnung, das parlamentarische Verfahren eröffne nun die Chance, diesem Eindruck entgegenzuwirken und das Klimaschutzgesetz in seiner Substanz zu verteidigen und mit wenigen Eingriffen dauerhaft zu stärken.
Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sprach sich dezidiert gegen eine Aufweichung der Sektorziele aus und plädierte für eine Beibehaltung der derzeitigen Methodik, die eine gezielte Anreizwirkung zur Senkung der Treibhausgasemissionen in den Sektoren habe. Dazu, führte die Expertin, die auf Einladung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an der Anhörung teilnahm, aus, sollte eine Verrechnung der Emissionsentwicklungen zwischen Sektoren nur für die Sektoren zugelassen werden, die ganz überwiegend der EU-Klimaschutzverordnung unterliegen (Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Sonstige/Abfallwirtschaft). Zur Vermeidung von Zielabweichungen sollte die Verrechnung von Über- und Untererfüllungen nur bis zu einer bestimmten Grenze zugelassen werden.
Prof. Dr. Gerald Haug, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina/Nationale Akademie der Wissenschaften, nannte die sektorübergreifende Klimaschutzpolitik genauso richtig wie die gemeinsame Verantwortung der Regierung, hatte aber ein großes Aber: Aus seiner Sicht, sagte der Experte, der auf Einladung der Unionsfraktion Stellung nahm, wäre es wünschenswert, wenn der Kanzler mit Blick auf das Kabinett eine klarere Führungsrolle dabei übernähme.
Verkehrs- und Gebäudebereich
Verkehr und Gebäude seien die Sektoren, die schon in der Vergangenheit ihre Ziele nicht erreicht hätten, sodass man nach europäischen Regeln Emissionszertifikate mit deutschem Steuerzahlergeld zukaufen musste, erklärte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, der auf Einladung der Unionsfraktion sprach.
Das werde zukünftig aber viel teurer, sagte Bals, Abschätzungen gingen von bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen aus. Eventuell drohten EU-Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen. Eine fehlende Strategie im Verkehrs- und Gebäudebereich wäre daher „grob fahrlässig“.
Kommunen fordern „faire“ Lastenverteilung
Am bestehenden Monitoring und Kontrollmechanismus für die Einhaltung der jeweiligen Klimaziele für alle Sektoren sowie der Pflicht, innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zur Nachsteuerung vorzulegen, muss festgehalten werden, forderte auch Tim Bagner vom Deutschen Städtetag. Wie Bagner und Nadine Schartz vom Deutschen Landkreistag forderte Alexander Kramer vom Deutschen Städte- und Gemeindebund Bund und Länder auf, für eine langfristige und hinreichende Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen.
Leon Krüger vom DGB unterstrich das Anliegen des Gewerkschaftsbundes, nicht nur auf die Klima-Aspekte der Transformation des Landes zu schauen, sondern das Thema soziale Sicherheit nicht außen vor zu lassen. Nach Auffassung des DGB ist es für die ökonomisch ausgewogene Flankierung wie auch die soziale Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen unerlässlich, die Bevölkerung über ein Klimageld zu entlasten und so klimaschutzbezogene Mehrbelastungen zu kompensieren, sagte Krüger, der auf Einladung der SPD-Fraktion sprach.
„Verbindlichkeit und Flexibilität an den falschen Stellen“
Dr. Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagte, der Reformbedarf für das KSG bestehe, weil dessen Steuerungsmechanismen zwar hohe Verbindlichkeit und Flexibilität aufwiesen, „aber an den jeweils falschen Stellen“. Jahresscharfe sektorale Emissionsminderungsziele und die Zuweisung von sektoraler ministerieller Verantwortlichkeit schafften eine Vielzahl von politischen Interventionspunkten – vor allem bei der Ausgestaltung der Sofortprogramme, die bisher das zentrale Instrument der Nachsteuerung sind. Es sei jedoch mehr als fraglich, ob dies auch zu höherer langfristiger Glaubwürdigkeit führe. „Denn Sofortprogramme schließen Lücken, die in der Regel überhaupt erst entstehen, weil die langfristigen und strukturellen Maßnahmen unzureichend sind“, sagte Pahle, der auf Einladung der FDP-Fraktion sprach.
Dr. Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer des Energy and Climate Policy and Innovation Council warb für eine Verbindung von beidem: der sektorübergreifenden Betrachtung mit der vorausschauenden Planung.
Dipl.-Phys. Raimund Müller, der auf Einladung der AfD-Fraktion Stellung nahm, sagte: „Wir können den CO2-Gehalt nicht zurückdrehen. Wir müssen mehr in das Wohlergehen unserer Wirtschaft und Industrie investieren.“ Regenerative Energien könnten offensichtlich nur Segmente bedienen. Es brauche Alternativen. Er empfehle: Konzentration auf CO2-Verwertung und -Abscheidung, Erdgasförderung, Kernenergie und Aufforstung zur CO2-Bindung. (mis/08.11.2023)