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Johannes Schraps zu 25 Jahre Euro: Es sind einige Reformen notwendig

Porträtaufnahme von Johannes Schraps

Johannes Schraps (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur SWKS-Frühjahrskonferenz (© SPD-Parteivorstand / Benno Kraehahn)

Krisenbewältigung, Zukunftsinvestitionen und Schuldenabbau müssen in der Europäischen Union Hand in Hand miteinander und unter den Mitgliedsländern abgestimmt erfolgen, erklärt Johannes Schraps (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur SWKS-Frühjahrskonferenz, die am Montag, 12. Februar, und Dienstag, 13. Februar 2024, in Brüssel stattfand. SWKS steht für Interparlamentarische Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der Europäischen Union (Interparliamentary conference on stability, economic coordination and governance in the EU). Um den Krisen und Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, verfüge die EU über starke und bewährte Instrumente. Im Interview spricht der Finanz- und Europapolitiker über den schwierigen Weg von Investitionen und Schuldenabbau, nötige Reformen und die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro vor 25 Jahren. Das Interview im Wortlaut:

Herr Schraps, heute ist es die normalste Sache der Welt: Ob zuhause oder im Spanienurlaub, wir rechnen und zahlen mit dem Euro. Zahlungsmittel für 350 Millionen Menschen, Weltwährung - Am 1. Januar 1999 führte die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Euro als gemeinsame Währung ein. Worin besteht die Erfolgsgeschichte des Euro und was würde uns ohne ihn fehlen?

Die Vorteile der Gemeinschaftswährung sind schnell selbstverständlich geworden. Der Euro bildet eine wichtige Grundlage für einen funktionierenden EU-Binnenmarkt und für die Wohlstandsentwicklung in der EU, indem er Wechselkursrisiken und Transaktionskosten beseitigt und so ganz maßgeblich dazu beiträgt, den Handel und Investitionen innerhalb der EU zu erleichtern. Wirtschaftliche Ungleichgewichte und damit möglicherweise Spannungen in der EU wären ohne den Euro nach Einschätzung aller maßgeblichen Experten weitaus spürbarer. Zudem hat der Euro als internationale Reservewährung neben dem US-Dollar die Rolle der EU in der Weltwirtschaft gestärkt. Nicht zu unterschätzen ist der Euro auch als Symbol der europäischen Integration, trägt er doch zu einer gemeinsamen europäischen Identität und zur Solidarität untereinander bei.

Der Euro ist eingebunden und sichtbarster Bestandteil der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) der EU, in der die europäischen Volkswirtschaften noch durch eine Reihe weiterer Regeln und Instrumente zusammenarbeiten. Wie krisenfest ist die WWU?

Die Förderung der wirtschaftlichen Konvergenz und Stabilität in der EU wird durch die Schaffung gemeinsamer Regeln und Institutionen für die Geld- und Fiskalpolitik unterstützt. Die WWU ist ein Prozess der wirtschaftlichen und monetären Integration innerhalb der EU, der über den Euro hinausgeht. Die WWU umfasst drei Säulen: die Währungsunion, die wirtschaftliche Union und die politische Union. Seit ihrer Gründung im Jahr 1992 hat sich die WWU kontinuierlich weiterentwickelt. Insbesondere nach der globalen Finanzkrise 2008 und der europäischen Schuldenkrise 2010 wurden Schwächen und Unvollkommenheiten der WWU aufgedeckt. Um die WWU zu stärken und an die neuen Herausforderungen anzupassen, sind einige Reformen notwendig.

Was für Reformen sind das im einzelnen?

Eine dieser Reformen ist die Vertiefung der Währungsunion. Dabei sollten die Rolle und die Instrumente der Europäischen Zentralbank gestärkt werden, um die Preisstabilität und die Finanzmarktintegration zu gewährleisten. Um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu vertiefen, möchten wir zudem die wirtschaftspolitische Koordinierung und Überwachung verbessern, um die Konvergenz und Haushaltsdisziplin zu fördern. Wir möchten auch die demokratische Rechenschaftspflicht und Legitimität der WWU-Institutionen erhöhen, um die Bürgerbeteiligung und Solidarität zu fördern. Zusätzlich soll eine Fiskalunion geschaffen werden. Hierfür wird ein gemeinsamer Haushalt und Finanzierungsmechanismus für die WWU eingeführt, um öffentliche Investitionen und makroökonomische Stabilisierung zu unterstützen. Zudem soll die Bankenunion vollendet werden, indem ein gemeinsamer Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus für die Banken in der WWU etabliert wird. Dadurch wird die Finanzstabilität und Risikoteilung gewährleistet. Eine Kapitalmarktunion soll noch bestehende Hindernisse für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und die Finanzdienstleistungen in der WWU beseitigen. Dadurch wird die Finanzierung und Diversifizierung der Wirtschaft erleichtert. Die WWU wollen wir zudem an die Energiewende, den technologischen Wandel und den globalen Wettbewerb anpassen, indem Innovation, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gefördert werden.

Nicht gerade wenig. Wie kann das klappen: angesichts der gestiegenen Ausgaben für die Krisenbewältigung einerseits kraftvolle Instrumente für Investitionen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bereitzustellen und andererseits den Weg des Schuldenabbaus fortzusetzen?

Die Covid-19-Pandemie hat die EU vor eine beispiellose wirtschaftliche und soziale Krise gestellt. Doch durch massive öffentliche Interventionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten konnten Gesundheit, Einkommen und Unternehmen geschützt werden. Die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts erlaubte es den Mitgliedstaaten, eine angemessene fiskalische Unterstützung zu leisten. Drei Sicherheitsnetze im Umfang von 540 Milliarden Euro wurden geschaffen, um Arbeitnehmer, Unternehmen und Mitgliedstaaten zu unterstützen. Diese werden von der Europäischen Investitionsbank, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, und dem Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage verwaltet. Die EU hat mit Next-Generation-EU außerdem ein befristetes Aufbauinstrument im Wert von 750 Milliarden Euro ins Leben gerufen, das durch die Ausgabe von EU-Anleihen finanziert wird. Ziel ist es, die Erholung, Resilienz und Transformation der EU-Wirtschaft zu fördern. Dabei spielt insbesondere die Aufbau- und Resilienzfazilität eine wichtige Rolle, da sie den Mitgliedstaaten 672,5 Milliarden Euro an Zuschüssen und Darlehen bereitstellt.

Diese weiche Landung für Wirtschaft und Verbraucher in der EU wurde allerdings mit einem Anstieg der öffentlichen Schulden erkauft, Schulden sind kein Merkmal wirtschaftlicher Stäke …

Die Maßnahmen haben dazu beigetragen, einen starken wirtschaftlichen Einbruch und eine soziale Katastrophe zu vermeiden. Allerdings haben sie auch zu einem Anstieg der öffentlichen Verschuldung und Defizite in der EU geführt. Um einen nachhaltigen und inklusiven Wachstumspfad zu gewährleisten, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten einen ausgewogenen Ansatz verfolgen. Dieser sollte sowohl Investitionen als auch Schuldenabbau berücksichtigen, um langfristig erfolgreich zu sein. Die Mittel aus Next-Generation-EU und dem mehrjährigen Finanzrahmen 2021bis 2027 sollen genutzt werden, um qualitativ hochwertige öffentliche Investitionen in Schlüsselbereiche wie den grünen und digitalen Übergang, die soziale Kohäsion und die strategische Autonomie zu finanzieren.

Haushaltspolitische Disziplin in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Erholung?

Die haushaltspolitischen Regeln werden wieder eingeführt, sobald es die wirtschaftlichen Bedingungen erlauben. Unser Ziel ist es, die öffentlichen Finanzen auf einen glaubwürdigen und wachstumsfreundlichen Konsolidierungspfad zurückzuführen, der mittelfristig die Schuldenquote senkt. Die Steigerung der Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und des Potenzialwachstums der EU-Wirtschaft sind wichtige Ziele von Strukturreformen. Dabei geht es auch um die Modernisierung und Vereinfachung der Steuersysteme sowie die Verbesserung der Effizienz und Qualität der öffentlichen Dienstleistungen. Wir sind davon überzeugt, dass diese Zusammenarbeit zu einem starken und stabilen Europa führen wird.

Ist die EU-Kommission mit ihren Instrumenten und Plänen, Investitionen in strategischen Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien, Digitales und Rohstoffgewinnung zu stimulieren, auf dem richtigen Weg?

Die EU-Kommission hat mehrere Instrumente und Pläne vorgeschlagen, um Investitionen in strategischen Zukunftsbranchen zu stimulieren, die für die Erreichung der Ziele des europäischen Grünen Deals, der digitalen Agenda und der strategischen Autonomie der EU von entscheidender Bedeutung sind. Dazu gehört der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa, der im Rahmen des europäischen Grünen Deals vorgeschlagen wurde. Er soll in den nächsten zehn Jahren nachhaltige Investitionen in Höhe von mindestens einer Billion Euro mobilisieren, wobei 30 Prozent des mehrjährigen EU-Haushalts (2021bis 2027) und des Aufbauinstruments Next-Generation-EU für grüne Investitionen bereitgestellt werden. Der Investitionsplan umfasst auch den Mechanismus für einen gerechten Übergang, der dafür sorgen soll, dass beim Übergang zu einer grünen Wirtschaft niemand zurückgelassen wird.

Was ist mit dem Programm Invest-EU?

Das Programm Invest-EU, das die bestehenden EU-Finanzinstrumente unter einem Dach bündelt, soll die dringend benötigten langfristigen Finanzierungen verschaffen, indem verstärkt private und öffentliche Investitionen mobilisiert werden. Der Invest-EU-Fonds umfasst vier thematische Politikfenster: nachhaltige Infrastruktur; Forschung, Innovation und Digitalisierung; kleine und mittlere Unternehmen; soziale Investitionen und Kompetenzen. Der InvestEU-Verordnung zufolge sollen mindestens 30 Prozent der Investitionen zur Erreichung der Klimaziele beitragen.

Die Menschen in den Mitgliedstaaten sind vom Wandel auf der Welt unmittelbar betroffen, beispielsweise durch höhere Energiepreise oder Klimaschäden. Wie kann die EU hier ihre Rolle als eine anerkannte Schutzmacht für ihre Bürgerinnen und Bürger, auch in sozialer Hinsicht, noch besser ausfüllen?

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und ihren Wohlstand und ihre Werte zu schützen und zu fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir als EU sowohl intern als auch extern handlungsfähiger und glaubwürdiger werden. Intern bedeutet dies aus meiner Sicht, dass wir mehr in die soziale Dimension unserer Politik investieren müssen, um soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, soziale Inklusion und soziale Rechte zu stärken. Die EU hat bereits einige Initiativen ergriffen, wie beispielsweise die Europäische Säule sozialer Rechte, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Europäischen Green Deal oder den Aufbauplan für Europa. Um die sozialen Auswirkungen des Wandels auf die Menschen zu mildern und ihnen die notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen zu vermitteln, um sich an die neuen Herausforderungen anzupassen, müssen diese Initiativen jedoch weiter umgesetzt und mit den nationalen Politiken abgestimmt werden.

Was meinen Sie mit externer Handlungsfähigkeit?

Um ihre Interessen und Werte in einer unsicheren und multipolaren Welt zu verteidigen, ist es zudem wichtig, dass die EU ihre strategische Autonomie und Verteidigungsfähigkeit stärkt. Mit den bisherigen Maßnahmen ist die EU auf einem guten Weg. Dazu gehören die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Pesco), der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) und die Europäische Friedensfazilität (EPF).  Diese Instrumente sollten jedoch weiter ausgebaut werden. Wir sollten eng mit unseren Partnern, insbesondere der Nato und den USA, zusammenarbeiten, um die Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft und darüber hinaus zu gewährleisten.

Wie ist es um den gemeinsamen Spirit unter den verschiedenen Mitgliedstaaten, aber auch zwischen den unterschiedlichen politischen Familien, bestellt, Krisenbewältigung und Zukunftssicherung gemeinsam als EU anzugehen? Wie war die Stimmung unter den Parlamentariern während der Konferenz? Wo gibt es Bruchlinien?

Wie immer bei den „Artikel 13-Konferenzen“, wie wir sie nennen, im Rahmen der Interparlamentarischen Europäischen Woche in Brüssel, gab es zahlreiche Möglichkeiten, im Plenarsaal des Europäischen Parlaments ebenso wie im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, sich über Fragen zur ökonomischen Koordinierung und Stabilisierung der Europäischen Union auszutauschen. Das war, trotz der breiten Spanne der Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Parteienfamilien, von großem Respekt geprägt. Insbesondere für die finanzielle Unterstützung der Ukraine und die Investitionen für wirtschaftliche Transformationsprozesse in der EU, gab es über Parteigrenzen hinweg eine breite Unterstützung.

(ll/26.02.2024)