Keine Unterstützung für Forderung nach IP-Adressen-Speicherung
Der Bundestag hat am Donnerstag, 29. September 2022, erstmals über einen Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen“ (20/3687) beraten. Im Anschluss der Aussprache wurde der Antrag zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen. In ihrem Antrag, der von den anderen Fraktionen scharf kritisiert wurde, bezieht sich die Unionsfraktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur deutschen Vorratsdatenspeicherung und begrüßt, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Möglichkeiten aus dem EuGH-Urteil nutzen wolle.
Das Gericht habe gesetzgeberischen Handlungsspielraum zur Speicherung von IP-Adressen festgestellt. Dieser müsse nun unverzüglich zur Verfolgung der Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Kinderpornographie umgesetzt werden, so die Unionsfraktion. Der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine praxistaugliche Regelung zur Speicherung trifft, damit digitale Tatortspuren dem Verursacher sicher zugeordnet werden können und der eine sechsmonatige Speicherverpflichtung vorsieht. Der Schutz der Kinder habe überragende Bedeutung, wird in dem Antrag betont. Diesem Anspruch müsse der Staat auch im digitalen Zeitalter gerecht werden. Die bisherigen Vorschläge der Ampel im Koalitionsvertrag blieben jedoch dahinter zurück.
CDU/CSU hält anlasslose Speicherung für zulässig
Für die Unionsfraktion begründete Andrea Lindholz (CDU/CSU) den Antrag. Die Speicherung der IP-Adressen sei dringend notwendig. Sie sei meistens der einzige Ermittlungsansatz, um Kinder besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Der EuGH habe klargestellt, dass zur Bekämpfung schwerer Kriminalität eine befristete anlasslose Speicherung von IP-Adressen zulässig sei, und genau dies werde in dem Antrag gefordert. Sicherlich seien sich alle Fraktionen einig, dass es sich bei sexuellem Kindesmissbrauch um schwere Kriminalität handele, sagte Lindholz.
Der sogenannte Quick-Freeze-Vorschlag der FDP, der besage, dass man erst bei einem konkreten Verdacht eine IP-Speicherung zulassen soll, sei nur ein Placebo. Ermittlern zufolge würden mit diesem Vorgehen viele Ermittlungen ins Leere laufen. Daten, die bereits gelöscht worden seien, könnten nicht mehr eingefroren werden. Bundesinnenministerin Faeser habe inzwischen die Notwendigkeit der IP-Adressen-Speicherung erkannt. Umso beschämender sei es, dass sich die FDP und Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) dagegen aussprächen. Am Ende müsse Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort sprechen.
SPD: Es gibt keine einfache Lösung
Sonja Eichwede (SPD) warf der Unionsfaktion vor, komplexe Probleme immer wieder mit einfachen Lösungen beantworten zu wollen. Diese gebe es aber nicht. Gerade in einem Rechtsstaat bräuchten die Probleme differenzierte Antworten, denn sowohl die Grundrechte der Kinder und die der gesamten Bevölkerung müssten geschützt werden. Für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder würden technische Lösungen gebraucht, aber auch eine Stärkung der Prävention. Der wichtigste Punkt dabei sei die Rechtssicherheit und die Effektivität dieser Instrumente. Dies habe es in den vergangenen Jahren nicht gegeben.
Die anlasslose Speicherung sei laut EuGH nicht rechtssicher, deshalb wolle die SPD sehr schnell eine anlassbezogene Speicherung schaffen, um die Aufklärung von schweren Straftaten zu gewährleisten. Gebraucht werde ein Ausgleich zwischen den betroffenen Freiheitsrechten und der Sicherheit sowie eine solide Verhältnismäßigkeitsprüfung und eine effektive Bekämpfung des Kindesmissbrauchs, Daran arbeiteten sowohl das Bundesinnenministerium als auch das Justizministerium. Die Bundesregierung arbeite bereits jetzt an einem Rezept für Quick-Freeze und werde schnell einen Gesetzesvorschlag vorlegen.
AfD: Union stellt Menschen vorsorglich unter Staatsaufsicht
Fabian Jacobi (AfD) warf CDU/CSU und SPD vor, bezogen auf das Internet Vorstellungen zu entwickeln, die in die Richtung gingen, alle Menschen vorsorglich unter Staatsaufsicht zu stellen. Speziell die CDU habe zu dem Vorhaben einer allgemeinen und anlasslosen Überwachung im Internet „ein fast schon fetischistisches Verhältnis entwickelt“.
Kaum habe das EuGH die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt, komme der Antrag, die Lücken zu nutzen, die der EuGH nach Lesart der CDU dafür gelassen habe. Dass der EuGH der Meinung sei, eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen sei unter bestimmten Bedingungen mit den Vorschriften der EU vereinbar, bedeute nicht, das man automatisch das Maximum ausreizen müsse. Eine freiheitliche Gesellschaft behandle ihre Bürger nicht vorsorglich wie Straftäter, sagte Jacobi.
Grüne warnen vor Scheindebatte
Denise Loop (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, alle Abgeordneten eine das Ziel, Kinder vor sexualisierter Gewalt effektiv schützen zu wollen. Dann höre es aber auch schon auf. Sie warf der Unionsfraktion vor, der Zeit meilenweit hinterher zu hinken. Denn anstatt Ideen voranzubringen, wie gesamtgesellschaftlich Kinder vor sexualisierter Gewalt geschützt werden können, verfolge die Union die längst überholte Vorratsdatenspeicherung, jetzt in Form der IP-Adressen, die mit geltendem Grundrecht unvereinbar sei.
Hier werde eine Scheindebatte auf dem Rücken der Betroffenen geführt und die in dieser Form niemandem helfe. Dagegen sei dass Quick-Freeze-Verfahren ein effektives Instrument der Strafverfolgung, für das sich auch der Deutsche Kinderschutzbund ausspreche.
Linke: Voraussetzungen nicht erfüllt
Anke Domscheit-Berg (Die Linke) warf der CDU vor, erneut nichts aus einem EuGH-Urteil gelernt zu haben. Es stimme, das der EuGH kleine Spielräume gelassen habe, aber die mit Überwachungsmaßnahmen verbundenen Voraussetzungen - „geeignet, angemessen und verhältnismäßig“ - würden mit dem Antrag nicht erfüllt. Es sei eine absolute Zumutung, ein EuGH-Urteil so auszureizen, dass es eine Massenüberwachung ermöglicht.
Wenn es der CDU tatsächlich um den Schutz von Kindern vor Gewalt ginge, sagte Domscheit-Berg, dann hätte sie in 16 Jahren Regierungszeit mehr dafür tun können, um mit Prävention derartige Gewalttaten zu verhindern. Sie sie froh über die klare Absage an jede Form der Überwachung im Koalitionsvertrag der Ampel, und sie hoffe, diese bleibe auch dabei.
FDP kritisiert Länderminister
Konstantin Kuhle (FDP) sagte, der EuGH habe einen Meilenstein für die Bürgerrechte markiert. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung sei mit europäischen Grundrechten unvereinbar. Das Urteil zeige, dass eine Massenüberwachung nicht zur europäischen Werteordnung passt. Deswegen müsse die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aus deutschen Gesetzen gestrichen werden. Die Haltung der Innen- und Justizminister auf deren Konferenz in München verstehe er nicht, sagte Kuhle. Seit 15 Jahren wisse man, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig sei. Die Aufklärungsquote sei relativ hoch.
Bundesjustizminister Buschmann habe ein Angebot gemacht, wie man die Aufklärungsquote noch steigen könne, und statt sich darauf einzulassen, habe man es abgelehnt. Wer sich einer Diskussion über den Quick-Freeze-Ansatz verweigere, sei in Wahrheit das Sicherheitsrisiko, das er anderen vorwirft, zu sein. Deswegen sollte man schnellstmöglich in einer Diskussion einsteigen, um diesen Ansatz auf den Weg zu bringen. Die Ampelkoalition werde einen guten Kompromiss zwischen Sicherheit und Freiheit finden.
Antrag der Union
In Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur deutschen Vorratsdatenspeicherung fordert die Unionsfraktion eine anlasslose, sechsmonatige Speicherung von IP-Adressen „zur Verfolgung der Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Kinderpornographie“. In ihrem Antrag verlangt sie von der Bundesregierung, unverzüglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der den vom Europäischen Gerichtshof eingeräumten „gesetzgeberischen Spielraum“ zur Speicherung von IP-Adressen umsetzt.
In dem Entwurf muss laut Fraktion eine „praxistaugliche Regelung zur Speicherung von Portnummern“ enthalten sein, „damit digitale Tatortspuren dem Verursacher sicher zugeordnet werden können“. Mit dem Entwurf solle zudem ein „geeignetes, hohes Datenschutzniveau und gleichzeitig sichere und schnelle Abrufverfahren“ eingeführt werden, „einschließlich einer Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzuge“, führt die Fraktion aus.
„IP-Adresse ist häufig die einzige Spur“
Zur Begründung führen die Unionsabgeordneten an, dass bei der Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie im Internet die IP-Adresse häufig die einzige Spur zum Täter sei. „Nur mit Hilfe dieser Identifikation, die einem Computer oder anderen Endgeräten beim Surfen vom Provider zugewiesen wird – vergleichbar einem temporären digitalen Autokennzeichen – lassen sich die Täter ermitteln“, erläutert die Union. Da es keine Speicherpflicht gibt, seien „zu oft“ Daten nicht mehr vorhanden, „wenn Ermittlungsbehörden erste Hinweise auf Missbrauchstaten erhalten“. Dann könne nicht weiter ermittelt werden. „Dieser Zustand ist unerträglich und muss sich ändern“, fordern die Abgeordneten.
Das bislang von der Koalition vorgeschlagene „Quick Freeze“-Verfahren sieht die Union mit Verweis auf die „einhellige Einschätzung der Ermittlungsbehörden“ als untauglich an. „Denn: Daten, die nicht mehr vorhanden sind, können nicht eingefroren werden“, heißt es im Antrag. Entsprechend begrüßt die Fraktion, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Möglichkeiten aus dem EuGH-Urteil nutzen wolle. (mwo/scr/irs/vom/29.09.2022)