Migrationspolitik der Ampelkoalition bleibt heftig umstritten
Die Migrationspolitik der Ampelkoalition bleibt im Bundestag weiter heftig umstritten. Während Union und AfD am Donnerstag, 30. November 2023, im Parlament bei der ersten Lesung des von der Bundesregierung vorgelegten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ die darin vorgesehenen Maßnahmen zur Erleichterung von Abschiebungen als unzureichend kritisierten, beklagte Die Linke eine massive Verschärfung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Vorlage dagegen als das „umfangreichste Gesetz zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen von Rückführungen, das eine Bundesregierung jemals vorgelegt“ habe.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Nach dem Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Rückführung“ (20/9463) soll die Fortdauer und die Anordnung von Abschiebungshaft künftig unabhängig von etwaigen Asylantragstellungen möglich sein, auch bei Folgeanträgen. Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote werden laut Vorlage als eigenständiger Haftgrund außerhalb der Fluchtgefahr im Rahmen der Sicherungshaft geregelt; zudem ist ein behördliches Beschwerderecht für den Fall der Ablehnung des Abschiebungshaftantrags vorgesehen. Zugleich sieht der Gesetzentwurf vor, die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern, um effektiver als bisher ein Untertauchen des Abzuschiebenden zu verhindern. Zudem sollen die Behörden auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer des abzuschiebenden Ausländers in einer Gemeinschaftsunterkunft betreten können.
Vorgesehen ist ferner, dass Widerspruch und Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Wohnsitzauflagen und räumliche Beschränkungen sollen ebenfalls künftig von Gesetzes wegen sofort vollziehbar sein. Daneben enthält die Vorlage weitere Maßnahmen zur erleichterten Identitätsfeststellung und zur erleichterten Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Für den Bereich der Organisierten Kriminalität soll ein Ausweisungstatbestand geschaffen werden, der an die Angehörigkeit zu Strukturen der Organisierten Kriminalität anknüpft und unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung ausgestaltet ist. Erleichtert werden soll zudem die Ausweisung von Schleusern. Darüber hinaus sind unter anderem Maßnahmen zur Entlastung der Ausländerbehörden vorgesehen. So sollen etwa Aufenthaltserlaubnisse für subsidiär Schutzberechtigte künftig mit einer Gültigkeitsdauer von drei Jahren statt mit einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr erteilt werden.
Ministerin: Es braucht klare Regeln
Faeser betonte in der Debatte, dass es klare Regeln brauche, damit Deutschland ein „solidarisches Land“ sein könne. Dazu gehöre, dass Menschen ohne Bleiberecht das Land „schnell und zuverlässig“ auch wieder verlassen müssen. Schon jetzt sei die Zahl der Abschiebungen im laufenden Jahr um 27 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Eigentlich sei es eine Selbstverständlichkeit, dass Ausreisepflichtige Deutschland verlassen müssen, doch gebe es in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten, dies umzusetzen. Der Bund müsse einen rechtlichen Rahmen schaffen, der den Ländern einen möglichst effektiven Vollzug der Rückführungen ermöglicht. Daher sei die Bundesregierung bei dem Gesetzentwurf umfassend auf die Vorstellungen der Länder und Kommunen eingegangen.
Die vorgesehenen Maßnahmen seien notwendig, um irreguläre Migration wirksam zu begrenzen, aber auch, um das individuelle Grundrecht auf Asyl zu schützen, fügte die Ressortchefin hinzu. Dieses Recht wolle man bewahren und Menschen, die ein Recht auf Asyl in Deutschland haben, gut in die Gesellschaft integrieren. Dafür solle Asylsuchenden und Geduldeten ein früherer und leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden. „Frühestens nach drei und spätestens sechs Monaten in Deutschland soll es nun möglich sein, eine Arbeit aufzunehmen“, sagte die Ministerin. Auch Geduldete sollten künftig im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis bekommen, denn Arbeit sei der entscheidende Faktor für Integration„.
CDU/CSU: Deutschland ist in einer Migrationskrise
Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) beklagte, mit voraussichtlich deutlich mehr als 300.000 Asylantragsstellern im laufenden Jahr befinde sich Deutschland in einer “akuten Migrationskrise„. Deren Dimension werde der Regierungsentwurf trotz einiger richtigen Maßnahmen nicht gerecht. Zudem würden diese richtigen Maßnahmen durch die migrationspolitischen Entscheidungen der Koalition der vergangenen zwei Jahre konterkariert, die auf mehr Zuwanderung und mehr Anreize zur irregulären Migration zielten.
Parallel zum Rückführungsgesetz habe die Bundesregierung nun auch noch die Ausweitung der Beschäftigungsduldung beschlossen. Dies trage dazu bei, dass die irreguläre Migration nach Deutschland hoch bleiben werde, kritisierte Hoppenstedt. Zugleich forderte er, freiwillige Aufnahmeprogramme zu stoppen und den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten auszusetzen. Auch müssten Algerien, Marokko, Tunesien und Indien zu asylrechtlich sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.
Grüne monieren Eingriffe in Grundrechte
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, der Regierungsentwurf sehe Eingriffe in “elementare Grundrechte„ vor. Dazu zählten das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Privatsphäre. Diese Eingriffe träfen nicht nur schwere Straftäter, sondern Schutzsuchende und Geduldete insgesamt, darunter größtenteils Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Ihre Fraktion werde deshalb in den Beratungen genau prüfen, ob diese Grundrechtseingriffe gerechtfertigt seien. Die allermeisten Ausreisepflichtigen hätten aus vielfältigen Gründen eine Duldung, etwa weil sie nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Ihnen müssten Chancen geboten werden. Solchen “konstruktiven Lösungen„ widme sich ein Teil des Gesetzespaketes. So werde die Beschäftigungsduldung verbessert und dafür gesorgt, dass Geduldete schneller arbeiten dürfen.
AfD fordert lückenlosen Grenzschutz
Bernd Baumann (AfD) beklagte, Deutschland wirke “wie ein gigantischer Magnet auf bald alle Fremden dieser Erde„. Dagegen enthalte der Gesetzentwurf nur “winzigste Mikroveränderungen„, weil die Regierungskoalition nicht wirklich abschieben wolle. Zu einer echten Asylreform sei sie unfähig. Nur die AfD habe den “wirklichen Willen„ zu Abschiebungen. Auch brauche man einen lückenlosen Grenzschutz mit einer sofortigen Zurückweisung aller illegalen Migranten an den Grenzen.
Benötigt würden zudem Zentren außerhalb Europas, in denen überprüft werde, ob Schutzgründe vorliegen. “Die große Masse der Migranten, bei denen das nicht der Fall ist, kommt dann nicht länger über unsere Grenzen„, sagte Baumann. Für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge müssten Schutzzonen außerhalb Europas die Lösung sein, möglichst in der Nähe ihrer Heimat.
FDP sieht Wende in der Asylpolitik
Stephan Thomae (FDP) betonte, Abschiebungen seien die notwendige und konsequente Vollendung einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung. Wenn ein Asylantrag abgelehnt worden sei, müsse die Ausreise des Antragstellers folgen. Komme dieser dem nicht nach, müsse der Staat irgendwann seine Entscheidung umsetzen.
Abschiebungen seien dazu die aufwendigste und mühsamste Form, aber notwendig. Damit sie künftig leichter möglich seien, sehe der Gesetzentwurf mehr als 40 Einzelmaßnahmen vor. Dies zeige, dass die Drohung, die Abschiebung auch zu vollstrecken, “jetzt schärfer gestellt wird„. Indem die Ampelkoalition reguläre Einwanderung in den Arbeitsmarkt erleichtere, aber irreguläre Migration begrenze und erschwere, sorge sie für eine “Wende in der Asylpolitik„.
Linke: Gesetzentwurf wird keine Kommune entlasten
Clara Bünger (Die Linke) kritisierte, die Koalition habe sich offensichtlich “dem gesellschaftlichen Druck von rechts unterworfen„. Sie identifiziere Geflüchtete als Problem der Kommunen und präsentiere als Lösung, dass Abschiebungen erleichtert werden sollten. Der Gesetzentwurf werde indes keine Kommune entlasten, “aber Geflüchtete noch mehr entrechten und ihre Lebensumstände noch weiter verschlechtern„.
So solle das Recht auf Freiheit eingeschränkt und Abschiebehaft massiv ausgeweitet werden, um Flüchtlinge leichter abschieben zu können. Dabei hätten Asylsuchende “nichts verbrochen, sondern nur einen Asylantrag gestellt„. Die vorgeschlagenen Verschärfungen führten nicht dazu, dass wesentlich mehr Menschen abgeschoben werden, würden aber “Hunderttausenden Geflüchteten das Leben zur Hölle machen„.
SPD: Die Maßnahmen sind notwendig
Dirk Wiese (SPD) entgegnete, die mit dem Gesetzentwurf geplanten Maßnahmen seien notwendig. Es gebe einfach Menschen, die nach Deutschland kämen und keine Bleibeperspektive haben, sich aber “nicht an die Spielregeln halten„. Deshalb sei es wichtig zu schauen, wo es Hindernisse gebe, die zu einem Scheitern von Abschiebungen führten. Die Ausweitung des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage sei “eine Härte„, aber richtig. Dies gelte auch für die Möglichkeit, bei Abschiebungen auch andere Räume in einer Gemeinschaftsunterkunft betreten zu können.
Genauso sei es richtig, Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern zu erleichtern und zugleich die Bekämpfung der Schleuserkriminalität zu verschärfen. Ebenso wichtig wie das Gesetzespaket sei es für eine stärkere Steuerung der Migration, dass die Bundesregierung einen Schwerpunkt auf mehr Migrationsabkommen mit Ländern lege, die momentan die Rücknahme von Menschen verweigern. (sto/30.11.2023)