Geschichte

Victoria von Schweden: Müssen gemeinsam Ver­antwortung übernehmen

Kronprinzessin Victoria von Schweden hat dazu aufgerufen, angesichts der Krisen in der Welt gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Man dürfe niemals die Schrecken von Krieg und Tyrannei vergessen, sagte die schwedische Thronfolgerin in ihrer Gedenkrede während der zentralen Gedenkveranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag am Sonntag, 19. November 2023. Es sei wichtig, „unsere Kinder und Jugendlichen“ daran zu erinnern, dass aus den schwierigsten Erfahrungen die Kraft zur Veränderung erwachsen kann. Dies sei eine Zeit wichtiger Entscheidungen, eine Zeit der Prüfungen, aber auch eine Zeit der Chancen.

Blick in den vollen Plenarsaal

Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts (erste Reihe von links), Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kronprinzessin Victoria, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz, Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius während der Gedenkveranstaltung (© © Foto: DBT/Uwe Zucchi)

Die Gedenkstunde unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas stand im Zeichen der deutsch-schwedischen Beziehungen und des Zusammenhalts in Europa. An der Gedenkstunde nahmen neben Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier, der das Totengedenken sprach, auch Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Stephan Harbarth und die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Dr. Eva Högl teil.

Wir stehen noch enger zusammen als früher“

Es sei eine Zeit, so Victoria, da „unsere Völker und Regierungen“ gemeinsam handeln, um dem unkrainischen Volk zu helfen, sich gegen die russische Aggression zu wehren. Sie sei überzeugt, „dass unsere Bemühungen Früchte tragen werden“. Es sei eine Quelle der Hoffnung, dass die Völker und Regierungen im demokratischen Europa in einer schweren Zeit zusammenhalten. Die deutsche Erfahrung zeige, dass es möglich sei, selbst die dunkelste Vergangenheit zu überwinden.

Eine Frau steht am Rednerpult im Plenarsaal. Vor ihr sitzen Männer und Frauen im Halbkreis. Hinter ihr befinden sich fünf Kreuze.

Kronprinzessin Victoria spricht in ihrer Rede im Plenarsaal über die deutsche Vergangenheit und die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union. (© © Foto: DBT/Uwe Zucchi)

Deutschland sei heute ein Land, auf das die Schweden blicken, wenn es um die gemeinsame Aufgabe gehe, ein Europa des Friedens und der Freiheit zu errichten. „Unsere Länder sind in einer Wertegemeinschaft vereint, in unserem Verständnis von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, in unserem europäischen und internationalen Engagement, und wir stehen heute noch enger zusammen als früher“, sagte die Gedenkrednerin.

Zeitenwende auch in Schweden

Auch Schweden erlebe gerade eine Zeitenwende, und mit seinem Beitritt zur Nato die größte sicherheitspolitische Veränderung seit den napoleonischen Kriegen. Europa komme jetzt zusammen, um sich den Herausforderungen zu stellen, vor denen der Kontinent stehe.

Gleichzeitig müssten die großen Fragen der Zukunft angegangen werden wie Umwelt- und Klimaschutz sowie die Möglichkeiten und Risiken neuer Technologien. Das werde außergewöhnliche Anstrengungen erfordern. Sie sei überzeugt, so Victoria, dass diese Anstrengungen unternommen werden und dass die schwedisch-deutsche Zusammenarbeit in dieser neuen Ära noch weiter ausgebaut wird.

„Heute sind wir zu unserem Glück vereint“

Die Kronprinzessin hatte zunächst die gemeinsame tausendjährige schwedisch-deutsche Geschichte skizziert und an den Dreißigjährigen Krieg und die napoleonische Zeit erinnert, als schwedische Truppen auf deutschem Boden unterwegs waren. Danach sei Schwedens Zeit als Großmacht vorbei gewesen mit der Folge von mehr als 200 Jahren Frieden und einem eigenen Wirtschaftswunder.

Der Zweite Weltkrieg habe Schweden veranlasst, sich von einem Großteil seines deutschen Erbes zu distanzieren. Doch seit die demokratische und wiedervereinte Bundesrepublik zu einem Stabilitätsanker der Europäischen Union geworden sei, seien wieder enge Beziehungen zwischen beiden Ländern entstanden: „Heute sind wir zu unserem Glück vereint.“

Daraus könne man unter anderem die Lehre ziehen, wie wichtig der freie Fluss von Kultur und Ideen sei. Kaum jemand wisse mehr über die Zerbrechlichkeit einer Zivilisation als das deutsche Volk, sagte Victoria. Frieden und Freiheit seien ein Gut, „das zerbrechlicher ist als wir denken und für das sich jeder von uns einsetzen muss“.

„Eisige Stimmung in der Welt“

Die Stimmung in der Welt ist nach den Worten der Kronprinzessin so eisig wie seit Langem nicht mehr. Die russische Invasion in der Ukraine bedrohe den Frieden auf dem gesamten Kontinent, erschüttere die Grundfesten der Weltordnung und verursache unermessliches menschliches Leid. Dieser Krieg erinnere an die dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte.

Hinzu komme die Entwicklung im Nahen Osten mit den „schrecklichen Angriffen“ der Hamas auf israelische Zivilisten. Man sehe entsetzliche Bilder aus Gaza mit großem menschlichen Leid. Israel habe das Recht, sich in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu verteidigen. Der Schutz aller Zivilisten, in Israel wie in Gaza, müsse garantiert und das humanitäre Völkerrecht zu jeder Zeit und unter allen Umständen respektiert werden.

Schneiderhan: Die Trauer hat kein Verfallsdatum

Ein älterer Mann steht am Rednerpult im Plenarsaal.

Wolfgang Schneiderhahn eröffnet mit seiner Rede die zentrale Gedenkveranstaltung und spricht über den Krieg in der Ukraine, den Nahost-Konflikt und über die 80 Millionen Opfer im Zweiten Weltkrieg. (© © Foto: DBT/Uwe Zucchi)

Auch der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, General a. D. Wolfgang Schneiderhan, ging eingangs auf diese beiden Kriege ein. Fassungslos stehe man vor dem Terror der Hamas gegenüber den Bürgern Israels, fassungslos auch vor dem erneut aufkommenden Antisemitismus „in unserer Gesellschaft und unserem Land“.

Der Zweite Weltkrieg habe 80 Millionen Opfer gefordert, hinzu kämen die physisch und psychisch Verletzten, die nach dem Krieg vor den Trümmern ihrer Existenz standen. „Wir gedenken all dieser Opfer, trauern mit ihren Angehörigen. Diese Trauer hat kein Verfallsdatum“, sagte Schneiderhan. Man könne keinen Schlussstrich ziehen.

Europäische Integration und Versöhnung mit den Nachbarn

Der Volksbund-Präsident erinnerte an die folgende europäische Integration und an die Bereitschaft der Nachbarn zur Versöhnung. 1965 hätten die polnischen Bischöfe ihre deutschen Glaubensbrüder nach Polen eingeladen, die Franzosen hätten „uns die Hand gereicht“. In diesem Jahr habe man 60 Jahre Elysée-Vertrag der deutsch-französischen Freundschaft gefeiert. Dies habe zur Voraussetzung gehabt, dass man sich zur eigenen Geschichte und zur eigenen Schuld bekannte.

In Schweden, das nicht direkt in den Zweiten Weltkrieg einbezogen war, seien 470 deutsche Kriegstote auf drei Friedhöfen begraben, so Schneiderhan. Auch aus dem Ersten Weltkrieg gebe es einige Gräber in Schweden. Noch immer würden in Osteuropa sterbliche Überreste deutscher Soldaten geborgen und umgebettet.

70 Jahre Jugendarbeit an Kriegsgräberstätten

Eine junge Frau steht am Rednerpult im Plenarsaal und hält eine Rede.

Lovida Widenmeyer, Klaus Knoll, Kateryna Khrapak und Yacine Diallo Gaujot (von links) berichten über eigene Erfahrungen in der Jugendarbeit an Kriegsgräberstätten. (© © Foto: DBT/Uwe Zucchi)

Die Lesung „70 Jahre Jugendarbeit an Kriegsgräberstätten“ gestalteten die Französin Yacine Diallo Gaujot (31), die Ukrainerin Kateryna Khrapak (18), die Schwedin Lovisa Widenmeyer (21) und Klaus Knoll (57), Leiter der Jugendbegegnung „Jugendlager Federsee“ des Volksbundes.

Yacine Diallo Gaujot schilderte am Beispiel ihrer Familiengeschichte aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, wie der Krieg auf das Leben von Menschen wirkt. Kateryna Khrapak berichtete über den Krieg in ihrer Heimat und über die Bedeutung des internationalen Dialogs. Lovisa Widenmeyer (21) sprach über Fürsorge und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Klaus Knoll blickte zurück auf über 70 Jahre Jugendarbeit des Volksbundes und sein Engagement.

Musikalischer Rahmen

Die Gedenkstunde wurde musikalisch umrahmt vom Jugendchor des Goethe-Gymnasiums Schwerin und dem Musikkorps der Bundeswehr unter Leitung von Oberstabsfeldwebel Matthias Reißner. Auf das Totengedenken folgten die Gedenkminute, die Totensignale „Zapfenstreich des Heeres“, vorgetragen von Musikhauptfeldwebel Peter Göthe vom Musikkorps des schwedischen Heeres, und „Der gute Kamerad“, vorgetragen von Stabsfeldwebel Akio Ogawa-Müller vom Musikkorps der Bundeswehr.

Die Gedenkstunde endete mit der Europahymne und der Nationalhymne. (vom/19.11.2023)