Zeit:
Mittwoch, 21. Februar 2024,
9.30
bis 11.15 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal Anhörungssaal 3.101
Lange Bearbeitungsdauern bei der Erteilung von Einreisevisa für ausländische Wissenschaftler sowie Studentinnen und Studenten behindern massiv die wichtige Internationalisierung von Wissenschaft und Hochschulbildung. Darauf machten mehrere Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, 21. Februar 2024, aufmerksam.
„Kein gutes Zeugnis im Ausland“
Dr. Enno Aufderheide (Alexander von Humboldt-Stiftung Bonn), wies auf die wachsende Bedeutung der internationalen Forschungskooperation hin. Dabei gehe es auch um die Gewinnung von internationalen Fachkräften. „Große Sorgen“ bereite derzeit die schleppende Erteilung von Visa an Akademiker aus Drittstaaten. Ein weiteres Problem sei, dass in den regelmäßig vorgenommenen Umfragen bei Wissenschaftlern nach einem Aufenthalt in Deutschland ein Rückgang der Willkommenskultur festgestellt werde. „Dagegen müssen wir dringend etwas tun“, appellierte Aufderheide.
Zur schleppenden Visa-Erteilung sagte Prof. Dr. Marc-Philippe Weller (Universität Heidelberg): „Hier klemmt es im Moment. Das ist kein gutes Zeugnis für die Bundesrepublik im Ausland.“ Wenn internationale Studierende nicht rechtzeitig einreisen könnten, verpassten sie den Beginn des Studiums und hätten auch mehr Probleme bei der Wohnungssuche. Der Wohnheimbau für internationale Studierende müsse intensiviert werden, verlangte Weller.
„Erhebliche Hürden und Engpässe“
Prof. Dr. Angela Ittel-Polatschek (Hochschulrektorenkonferenz) sagte, für die Internationalisierung seien weitere Anstrengungen notwendig. So müsse mehr für die Sprachkompetenz ausländischer Studierender getan werden. Das sei ein wichtiger Aspekt für ein erfolgreiches Studium. Zu den weiteren Maßnahmen zählte Ittel-Polatschek unter anderem die Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Flexibilisierungen des Hochschulzugangs in allen Bundesländern.
Wie schon Aufderheide sprach sie von „erheblichen Hürden und Engpässen“ im Bereich der Visa-Vergabe. Die in der Rektorenkonferenz zusammengeschlossenen Hochschulen würden schon seit langem mit ihrer Initiative weltoffene Hochschulen gegen Fremdenfeindlichkeit, für Aufgeschlossenheit und Weltoffenheit eintreten „und reagieren damit auf rassistisch motivierte verbale und physische Gewalt, die auch internationale Studierende, Forschende und Mitarbeitende an Hochschulen betraf und betrifft“.
Langfristige Finanzierungsperspektiven gefordert
Prof. Dr. Beate Kampmann (Charite Centre for Global Health, Charité – Universitätsmedizin Berlin) erklärte, stabile Kooperationen seien von beiderseitigem Interesse: „Sie führen nicht nur zum Aufbau von wissenschaftlicher Expertise und hochwertigen Forschungsplattformen in den Partnerländern, sondern sie ermöglichen den deutschen Forschungseinrichtungen auch Zugänge zu zusätzlichen Forschungspartnern und Ressourcen.“ Allen Beteiligten würden dadurch neue Perspektiven und Problemlösungen eröffnet.
Dabei müsse das Prinzip der Partnerschaft auf Augenhöhe gelten. Notwendig seien langfristige Finanzierungsperspektiven, um das Risiko eines Zerfalls von Strukturen zu verhindern.
Schutzprogramme für verfolgte Forscher
Von den 40.000 Studentinnen und Studenten an ihrer Universität komme jeder fünfte aus dem Ausland, sagte Prof. Dr. Katrin Kinzelbach (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg). Auch sie bestätigte die Probleme mit der Visa-Erteilung. In einem freien und weltoffenen Wissenschaftsstandort sei nicht nur die Wissenschaft als Prozess, sondern auch die Universität als Institution ohne Internationalisierung überhaupt nicht denkbar, sagte sie.
Doch sei die Lage komplexer geworden. Wissenschaftsfreiheit sei insbesondere in autokratischen Ländern bedroht. „Vor dem Hintergrund einer laufenden Autokratisierungswelle und rückläufiger Wissenschaftsfreiheit ist es richtig, dass Deutschland Schutzprogramme für verfolgte Forschende finanziert“, lobte Kinzelbach. Gerade die Lage in China bedeute eine große Herausforderung, „denn der Grundsatz von autonomen Universitäten gilt dort nicht“.
Auf entsprechende Fragen aus der AfD-Fraktion erklärte Dr. Kai Sicks (Deutscher Akademischer Austauschdienst e. V. Bonn), er sehe keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Zuvor hatte er darauf hingewiesen, dass die internationale Hochschulbildung dabei helfe, „die Fachkräfte von morgen auszubilden, die wir alle suchen“.
Antrag der Koalition
Grundlage der Anhörung waren Vorlagen der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (20/9312), der CDU/CSU (20/9308), der AfD (20/6991) sowie zwei Unterrichtungen der Bundesregierung (20/45, 20/9880).
Die Koalitionsfraktionen fordern in ihrem Antrag eine interessen- und wertegeleitete Internationalisierung von Wissenschaft und Hochschulbildung. So solle die Internationalisierung von Hochschulbildung und Forschung strategisch weiterentwickelt werden, da sie der Förderung und Pflege von außenpolitischen Beziehungen und der Bewältigung globaler Herausforderungen dienten. Außerdem sei die Arbeit des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) , der Alexander vom Humboldt-Stiftung (AvH) sowie der Goethe-Institute weiter zu fördern. Gefordert wird außerdem, die Visa-Vergabe an den deutschen Botschaften und Konsulaten für Studentinnen und Studenten sowie Akademikerinnen und Akademiker aus Drittstaaten zu entbürokratisieren und zu beschleunigen. Auch sollen beschleunigt hochqualifizierte Bewerbungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geprüft werden.
Der Antrag fordert zudem, im Dialog mit den Bundesländern darauf hinzuwirken, weiterhin „Willkommensinfrastrukturen“ an Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen zu fördern und auszubauen, sowie durch gute Arbeitsbedingungen im akademischen Bereich die Attraktivität des deutschen Wirtschaftsstandortes für ausländische Fachkräfte zu steigern. Beispielsweise könnte in Deutschland eine neue Akademie als Anlaufstelle für international verfolgte und bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etabliert werden, schlagen die Antragsteller vor.
Zur Stärkung der Wissenschaftsfreiheit und Resilienz sollen Wissenschafts- und Forschungskooperationen künftig noch stärker an Menschenrechten, akademischer Selbstbestimmung, Demokratie und „Deutschlands strategischen Interessen“ ausgerichtet werden. Auch eine vertiefte europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Forschung fordern die Antragsteller.
Antrag der Union
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem unter anderem auf, geeignete Rahmenbedingungen zur Fortführung des Bundeskanzler-Stipendiums für Nachwuchsführungskräfte der AvH zu schaffen. Zudem solle die Bundesregierung Klarheit darüber geben, ob und wie die institutionelle Förderung des DAAD und der AvH zukünftig aussehen werde.
Laut Antragsteller plant die Regierungskoalition die Haushalte des DAAD und der AvH im kommenden Jahr zu kürzen. Dadurch würde die Regierungskoalition das internationale Engagement deutscher Wissenschaftsorganisationen „zurückfahren“, schreibt die Unionsfraktion.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem Antrag, der Abwanderung hochqualifizierter deutscher Wissenschaftler entgegenzusteuern. Dazu müssten eine amtliche Statistik zur Erforschung und Entwicklung der Abwanderungsabsichten und die tatsächliche Abwanderung hochqualifizierter deutscher Wissenschaftler erhoben und Förderprogramme und Initiativen entwickelt werden, die speziell darauf ausgerichtet sind, ausgewanderte deutsche Forscher, die im Bereich der MINT-Disziplinen tätig sind, für eine Rückkehr nach Deutschland zu gewinnen, schreiben die Abgeordneten in dem Antrag.
Bildungsbericht zu internationalen Kooperationen
Die Bundesregierung hat in den Jahren 2019 und 2020 nach eigenen Angaben europäische und internationale Kooperationen in den Bereichen Bildung, Forschung und Wissenschaft strategisch weiterentwickelt. Die Mittel zur Förderung der internationalen Kooperation seien in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Für das Jahr 2020 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) rund 1,283 Milliarden Euro bereitgestellt. Dies geht aus dem als Unterrichtung vorgelegten „Bericht der Bundesregierung zur internationalen Kooperation in Bildung, Wissenschaft und Forschung 2019-2020“ hervor.
Die Pandemie habe den Forschungs- und Bildungsbereich vor neue Herausforderungen gestellt, aber auch Chancen eröffnet. Aufgrund der Reise- und Kontaktbeschränkungen seien keine direkten Kontakte möglich gewesen. Dies habe „insbesondere negative Auswirkungen auf Erweiterung und Neuaufbau von forschungswichtigen Netzwerken“ gehabt. Auf der anderen Seite habe insbesondere die internationale Kooperation bei der Impfstoffentwicklung gezeigt, „dass Bildung, Forschung und Innovation ein wichtiger Schlüssel zur Bewältigung globaler Krisen und Herausforderungen sind“.
Schwerpunkt EU-Ratspräsidentschaft
Schwerpunkt des Berichts ist die EU-Ratspräsidentschaft. Zentrales Thema der deutschen Ratspräsidentschaft im Bereich Bildung war es laut Bericht, durch Bildung und Forschung Europa „widerstandsfähiger, souveräner und nachhaltiger“ zu machen. Mit der Ministerkonferenz zum Europäischen Forschungsraum im Oktober 2020 rückte die Freiheit der Forschung in den Fokus. Die Unterzeichnung der „Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit“ aller EU-Mitgliedsstaaten setze ein klares Bekenntnis zum Schutz der Freiheit der Forschung im Europäischen Raum und hebe dieses als Element einer internationalen Zusammenarbeit hervor.
Auch eine „Neujustierung der europäischen Berufsbildungszusammenarbeit“ war laut Bericht ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Maßnahmen wie mehr Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung haben die Mitgliedstaaten mit der „Osnabrücker Erklärung zur beruflichen Bildung“ beschlossen. Alle zwei Jahre berichtet die Bundesregierung über die Entwicklungen der europäischen und internationalen Kooperationen im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung. Dies ist der dritte Bericht. Er wurde vom Bundeskabinett im November 2020 beschlossen.
Bericht zu internationalen Kooperationen
In dem von der Bundesregierung vorgelegten Bericht zur internationalen Kooperation in Bildung, Wissenschaft und Forschung für die Jahre 2021 bis 2022 heißt es, dass weltweite Herausforderungen wie der Klimawandel, die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine eine Anpassung „bei der Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit der deutschen Wissenschaftsakteure“ erforderten, wie aus der Unterrichtung hervorgeht. Zugleich böten Wissenschaft und Forschung Chancen zur Bewältigung der weltweiten Herausforderungen. Bezüglich der internationalen Zusammenarbeit mit China schreibt die Bundesregierung, dass die Volksrepublik gleichzeitig wichtiger Partner sowie „systemischer Rivale“ der Bundesrepublik sei. Die Bundesrepublik ergreife in der Zusammenarbeit mit China daher Maßnahmen, um das Risiko für eine schädliche Nutzung von Forschungsergebnissen zu minimieren.
Ferner setze sich Deutschland dafür ein, ukrainischen Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten sowie Forscherinnen und Forschern bestmögliche Bildungs- und Berufsperspektiven zu bieten. Insgesamt seien die Mittel des Bundes zur Förderung der internationalen Kooperation in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. So habe allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2022 rund 1,3 Milliarden Euro für Programme der Forschung und Entwicklung bereitgestellt.
Das Auswärtige Amt habe im Berichtszeitraum 2021 bis 2022 Mittel in Höhe von rund 494 Millionen Euro für international ausgerichtete Fördermaßnahmen im Bereich der universitären und beruflichen Bildung vergeben. Für die Vernetzung auf europäischer Ebene habe der Bund im Rahmen von europäischen Partnerschaften im vergangenen Jahr insgesamt rund 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. (hle/emu/cha/des/21.02.2024)