Parlament

Schraps: Ostsee-Anrainer haben schnell auf russischen Angriffskrieg reagiert

Porträtaufnahmen von Johannes Schraps, MdB in einem schwarzen Sakko

Johannes Schraps (SPD), Vize-Präsident der Ostseeparlamentarierkonferenz (© DBT/Thomas Trutschel)

In deutlichem Gegensatz zu den Grundwerten der Ostseeparlamentarierkonferenz steht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, sagt Johannes Schraps (SPD), Vize-Präsident der Ostseeparlamentarierkonferenz (Baltic Sea Parliamentary Conference, BSPC), die vom 27. bis 29. August 2023 zu Ihrer 32. Jahrestagung im Deutschen Bundestag zusammengekommen ist. Daher habe man als eine der ersten Organisationen Russland bereits wenige Tage nach dessen Angriff ausgeschlossen. Zu den weiteren Reaktionen auf die russische Aggression gehöre die Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer demokratischen Gesellschaften und die Bekämpfung der Cyberkriminalität. Im Interview spricht Schraps darüber, wie sich der Ostseeraum nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und die Konferenz nach dem Ausscheiden Russlands verändert haben, zieht eine Bilanz der Präsidentschaft des Deutschen Bundestages der zurückliegenden 14 Monate sowie der Jahrestagung. Das Interview im Wortlaut: 

Herr Schraps, der Deutsche Bundestag und die Ostsee: Da stellt nicht jeder automatisch eine Verbindung her. Was für Aufgaben stellen sich dem deutschen Parlament im Rahmen der BSPC? 

Die BSPC ist die Plattform für parlamentarische Zusammenarbeit im Ostseeraum. Als Ostsee-Anrainer ist Deutschland seit Etablierung der BSPC 1991 mit dabei. Neben dem Bundestag als  nationalem Parlament sind auch die Länderparlamente von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sowie die Bürgerschaften von Hamburg und Bremen dabei. Das ermöglicht den Austausch zu gemeinsamen Problemstellungen über Ebenen hinweg, zumal auch interparlamentarische Gremien wie die Baltische Versammlung oder der Nordische Rat Teil der BSPC sind. So entsteht eine starke gemeinsame Stimme zu grenzüberschreitenden Themen, die alle Ostseeanrainer gleichermaßen betreffen.

In den zurückliegenden Monaten hatte der Deutsche Bundestag die Präsidentschaft inne. Was für eine Bilanz ziehen Sie?

Es ist uns gelungen, gemeinsam sehr schnell und sehr konsequent auf die geopolitischen Entwicklungen mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu reagieren. Als eine der ersten internationalen Institutionen haben wir die russischen Parlamente zwei Tage nach Beginn des Einmarschs in die Ukraine aus der BSPC ausgeschlossen. Auch deshalb lag einer der Schwerpunkte während der Präsidentschaft des Bundestages auf der Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer demokratischen Gesellschaften. Sowohl hinsichtlich digitaler Resilienz als auch mit Blick auf das Thema Energiesicherheit. Eine weitere Priorität lag auf dem Umgang mit gefährlichen Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee, die insbesondere nach Ende des zweiten Weltkriegs dort versenkt wurden. Hier brauchen wir zeitnahe Lösungen, damit die Altlasten nicht zu einer noch größeren Gefahr für Mensch und Umwelt werden. Und auch Klimaschutz und der Erhalt der biologischen Vielfalt waren auf der Tagesordnung. Hier wurde der Abschlussbericht der dreijährigen Arbeitsgruppe vorgestellt und konkrete Empfehlungen an unsere Regierungen in der Abschlusserklärung verankert. 

Was ist bei dem Thema der gesellschaftlichen Resilienz der Auftrag der Parlamentarier an die Regierungen? 

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die Maßnahmen zum Schutz demokratischer Prozesse und Institutionen vor Cyber-Bedrohungen verbessern und auch die Forschungs- und Innovationskapazitäten im Bereich der digitalen Resilienz ausbauen. Wir müssen das Vertrauen in demokratische Strukturen und Werte stärken, Hassrede im Netz entgegentreten, und gleichzeitig Medien- und Meinungsfreiheit fördern. Das ist immer ein Balanceakt, aber entscheidend für die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie. In der Entschließung machen wir deutlich, dass diese Herausforderungen untrennbar mit dem aggressiven Verhalten Russlands verbunden sind. Denn das russische Regime führt nicht nur einen brutalen Krieg mit konventionellen Waffen gegen die Ukraine, sondern auch einen Informationskrieg gegen die demokratischen Gesellschaften in Europa. Cyberkriminalität zu bekämpfen muss stärker im Fokus unseres Regierungshandelns liegen. 

Inwieweit hat der russische Krieg gegen die Ukraine, die Abkehr Russlands von gemeinsamen Werten, den Ostseeraum geopolitisiert? Wie gehen die Anrainer-Parlamente damit um?

Natürlich spielen Sicherheitsaspekte seither eine deutlich größere Rolle. Es wurde schmerzlich klar, dass es nicht selbstverständlich ist, auf einem friedlichen Kontinent zu leben. Bis letztes Jahr hatte auch Russland die Möglichkeit, sich friedlich mit den anderen Ostseeanrainer auszutauschen. Das imperialistischen Verhalten Russlands steht jedoch im deutlichen Gegensatz zu den Grundwerten der Ostseeparlamentarierkonferenz. Deshalb haben wir es von unserer Partnerschaft ausgeschlossen. Die Debatten in den Gremien der Ostsee-Kooperation haben sich merklich verändert. Auch kontroverse Themen werden deutlich offener als zuvor unter den demokratischen Ostsee-Anrainern diskutiert. Es wird in jedem Fall sehr deutlich, dass große Chancen in einer noch engeren Zusammenarbeit demokratischer Staaten im Ostsee-Raum liegen.

Wird den genuinen Meeres-Themen, also der Erhaltung des Ökosystems Meer und der biologischen Vielfalt, sowie der Räumung von Weltkriegsmunition, weiterhin genug Aufmerksamkeit geschenkt?

Ich würde sagen: Definitv. Gerade bei Themen wie dem Erhalt der Biodiversität finden sich in der Abschluss-Resolution der diesjährigen Konferenz wieder sehr konkrete und praktische Forderungen. Beispielsweise auch für ein deutlich nachhaltiges Fischereimanagement zum Erhalt der biologischen Vielfalt auch im offenen Meer. Etwas, wofür sich beispielsweise auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke in ihrer Rede auf der Konferenz stark gemacht hat. Gemeinsam mit Bundestagskollegin Anna Kassautzki (SPD), in der BSPC als Berichterstatterin für Munitionsaltlasten zuständig, sorge ich dafür, dass dieses Thema in Deutschland und international auf der Tagesordnung bleibt. Durch die wiederholte Thematisierung in den vergangenen Jahren sind erste Erfolge zu erkennen. So hat die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag mit 100 Millionen Euro erstmals konkrete Haushaltsmittel für die Bergung zur Verfügung gestellt. Ein erster Schritt, um dieses drängende Problem rechtzeitig zu lösen.

Die Jahrestagung hat eine gemeinsame Entschließung angenommen. Was sind darin für Sie die wichtigsten Punkte? 

Zu allen Kernthemen der diesjährigen Konferenz und zu den Prioritäten der Präsidentschaft der Deutschen Bundestag finden sich konkrete Forderungen in der Abschlusserklärung, die von den Delegationsleitungen nun an die jeweiligen Regierungen übermittelt werden. Insbesondere zu den Ergebnissen der dreijährigen Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Klimawandels und zum Erhalt der Biodiversität finden sich umfangreiche Punkte in der Resolution. Ich würde mir wünschen, dass viele Regierungen die Best Practice-Beispiele aus anderen Ländern ebenfalls in Betracht ziehen. Die neu eingesetzte zweijährige Arbeitsgruppe wird sich mit den Themen Energiesicherheit und -unabhängigkeit, Resilienz und Konnektivität auseinandersetzen. Damit widmet sich die BSPC dem wichtigen Thema der Interkonnektivität und Widerstandsfähigkeit der Energie-, Verkehrs- und Digitalnetze. Die Unsicherheit im letzten Jahr hat deutlich gezeigt, dass wir hier auf eine noch engere Zusammenarbeit mit verlässlichen demokratischen Partnern setzen müssen. Für ausgesprochen wichtig halte ich auch die Forderung, nach dem Abbruch des Formats im Jahr 2014 wieder zu regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs im Ostseeraum zurückzukommen. Nach dem ersten Treffen der Außenministerinnen und Außenminister nach elf Jahren im Juni in Wismar, an dem ich für die parlamentarische Ebene ebenfalls teilnehmen durfte, wäre dies auch das wichtige Signal, dass Treffen auf höchster Ebene nicht von einer russischen Teilnahme abhängen.

Im Vorfeld der Konferenz findet seit einigen Jahren ein Jugendforum, das Baltic Sea Parliamentary Youth Forum (BSPYF), mit jungen Leuten aus allen Mitgliedstaaten, statt. Wie konnten sich die 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Berlin einbringen und was für einen Auftrag haben sie an die Politik formuliert?

Es war eine Freude, die erste BSPC-Jahrestagung zu leiten, bei der das BSPYF und die Jahrestagung des BSPC kombiniert und in voller Präsenz stattfinden konnten. Die jungen Teilnehmer führten an den beiden Tagen vor der Konferenz intensive und fokussierte Debatten und durften ihre Ergebnisse dann den Abgeordneten bei der Parlamentarier-Konferenz vorstellen. Es war faszinierend, den Jugendlichen dabei zuzusehen und ganz sicher eine Bereicherung für die Debatten der Konferenz. Thematisch war das Jugendforum eng mit den Themen der BSPC-Jahrestagung verknüpft und am Thema Demokratieresilienz orientiert. Die jungen Delegierten fordern, dass wir mehr gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Hassrede im Internet tun. Insbesondre als Sozialdemokrat bin ich froh, dass sie bei ihren Forderungen an die Parlamentarier auch einen Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit als Voraussetzung für die Stärkung unserer Demokratie legen. (ll/03.09.2023)

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