Zeit:
Montag, 3. Juli 2023,
16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2 600
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Modernisierung des Pass-, des Ausweis- und des ausländerrechtlichen Dokumentenwesens“ (20/6519) sowie die dazu vorgelegten Änderungs- und Entschließungsanträge der Koalitionsfraktionen sind bei einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag, 3. Juli 2023, auf ein geteiltes Echo gestoßen. Datenschützer warnten vor der Entstehung von Schattendatenbanken, während unter anderem von Seiten der Bundesdruckerei der Wille zur Vereinfachung und Modernisierung begrüßt wurde.
Gesetzentwurf und Entschließungsantrag
Der Regierungsentwurf sieht vor, dass statt des Dokumententyps „Kinderreisepass“ künftig ein elektronischer Reisepass mit der längeren Gültigkeitsdauer sowie der Nutzungsmöglichkeit für weltweite Reisen beantragt werden kann. Zudem soll durch die Einführung eines neuen Passversagungsgrundes Kindesmissbrauch im Ausland verhindert werden.
In einem Entschließungsantrag verlangen die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP das Datenschutzcockpit nach Umsetzung der bereits bestehenden Anforderungen aus dem Registermodernisierungsgesetz als zentrales Transparenz- und Steuerungswerkzeug für Bürgerinnen und Bürger zu etablieren. Außerdem wird ein Passversagung bei Teilnahme an ausländischen Veranstaltungen, deren Inhalte im Widerspruch zu den Grundsätzen der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes stehen, gefordert. Eine weitere Entschließung thematisiert die Eintragung des Doktorgrades sowie Eintragungsfähigkeit von ausländischen akademischen Graden in hoheitlichen Ausweisdokumenten. Weitere Änderungsvorschläge betreffen das Bundesverfassungsschutzgesetz und das Aufenthaltsgesetz.
Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung
Jürgen Müller, Stellvertreter des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, übte Kritik an der geplanten Regelung, wonach Daten, die Behören im Rahmen einer Identitätsprüfung aus dem Chip ausgelesen haben, medienbruchfrei in anderen Datenverarbeitungssystemen weiterverarbeitet können, „sofern sie dazu durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes berechtigt sind“. Diese Regelung entspräche nicht den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Es müsse ausgeschlossen werden, dass Schattendatenbanken entstehen, „in denen Daten aus Identitätsfeststellungen ohne klare Zweckbindung für möglicherweise erst in der Zukunft erforderliche weitere Datenverarbeitungen gespeichert werden“, forderte Müller.
Auch Kai Dittmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sah die Gefahr von Schattendatenbanken mit sensiblen biometrischen Daten. Dies könne zu einem ganz anderen Gefühl der Überwachung in der Bevölkerung führen. Sehr kritisch stehe er auch der Entschließung zu Passversagungsgründen gegenüber. Eine Anknüpfung an die inhaltliche Ausrichtung einer Versammlung oder einen undefinierten Extremismusbegriff sei unzulässig. Entsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch schon 2009 entschieden.
Verarbeitung biometrischer Daten
Kirsten Bock von der Stiftung Datenschutz wandte sich gegen einen automatisierten Lichtbildabruf für öffentliche Stellen. Die Verarbeitung biometrischer Daten stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der betroffenen Person dar. Daher müssten erhebliche öffentliche Interessen erfüllt sein, um einen solchen Zugriff zu rechtfertigen und besonders hohe technische Anforderungen an die Sicherheit der Übermittlung gestellt werden, sagte sie.
Stefan Hofschen von der Bundesdruckerei GmbH begrüßte die geplante Neuregelung. Es gebe damit eine Reihe von Vereinfachungs- und Verbesserungsansätzen, die den Bürgerservice verbessern sollen. Die Abschaffung des Kinderreisepasses führe zu einer Vereinheitlichung der Prozesse, „und auch dazu, dass die Bürger weniger oft in die Behörde müssen“. Gut sei auch, dass die Voraussetzungen für den Direktversand von Personaldokumenten geschaffen würden.
Direktversand von Dokumenten
„Gut gemein, ist nicht immer gut gemacht“, befand Simon Japs vom Deutschen Städtetag. Problematisch beim Versand der Ausweisdokumente sei beispielsweise, dass dieser an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sei, insbesondere an die Vorlage eines gültigen Ausweisdokumentes und an die Zustellung ausschließlich an die Meldeanschrift. Dies schränke den in Frage kommenden Personenkreis erheblich ein und lasse auf eine geringe Nutzungsquote schließen, sagte er. Weitere Probleme seien durch die vorgesehene persönliche Zustellung zu befürchten.
Joost Raue vom Amt für öffentliche Ordnung in Stuttgart begrüßte zwar den Wegfall des einjährigen Kinderreisepasses. Das angenommene Entlastungspotenzial sei jedoch unrealistisch, befand er. Gerade Kinder in den ersten Lebensjahren veränderten ihr Erscheinungsbild in kurzen Zeiträumen. Ein für sechs Jahre gültiger Pass werde daher im Regelfall vor dem Ende seiner Gültigkeitsdauer ungültig werden.
Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag begrüßte die Option des Direktversandes von Dokumenten. Auf diese Weise könnten sowohl die Bürger wie auch die derzeit außergewöhnlich hoch belasteten Ausländerbehörden entlastet werden. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die prinzipiell entlastende Wirkung des Direktversandes „nicht durch neue bürokratische Erschwernisse konterkariert wird“.
Rechtsunsicherheit über die Gültigkeit
Die Gesetzesbegründung geht bei der Abschaffung von Kinderreisepässen aus Sicht von Prof. Meinhard Schröder von der Universität Passau in mindestens zwei Punkten von falschen Voraussetzungen aus und verschleiere damit einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Ein- und Ausreisefreiheit sowie in die europäischen Freizügigkeitsrechte. Sie erhöhe zudem die Rechtsunsicherheit über die Gültigkeit von Kinderpässen, sagte Schröder. Es werde übersehen, dass die Gültigkeit eines Passes nicht nur durch das Verfalldatum begrenzt ist, sondern auch endet, wenn dieser „eine einwandfreie Feststellung der Identität des Passinhabers nicht zulässt“.
Mit Blick auf die Registermodernisierung sagte Prof. Christoph Sorge von der Universität des Saarlandes, es bestehe eine nicht nur geringe Wahrscheinlichkeit, „dass die Verwendung der Steuer-ID als allgemeines Personenkennzeichen durch das Bundesverfassungsgericht untersagt werden wird“. Die Registermodernisierung voranzutreiben, werde sicherlich zu Effizienzgewinnen beitragen, so Sorge. Eine verfassungskonforme, datenschutzgerechte Lösung auf dem Stand der Technik sollte seiner Ansicht nach aber Priorität genießen.
Prävention von Sexualstraftaten
Kriminalrätin Linda Söllenböhmer vom Bundeskriminalamt (BKA) sieht die Änderung des Passgesetzes zur Prävention von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen als „immanent wichtig“ an.
„Wir haben die Pflicht, die schwächsten Menschen in unserer Gesellschaft – die Kinder – insbesondere auch diejenigen, die keinen Schutz durch Familie und Staat im Ausland aufgrund vielfältiger Ursachen erfahren, vor deutschen Staatsangehörigen, die mit dem alleinigen Ziel des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen ins Ausland reisen, zu schützen“, sagte sie und sprach sich für eine Erweiterung des Paragrafen 7 (Passversagen) im Passgesetz aus.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Statt des Dokumententyps „Kinderreisepass“ soll künftig ein elektronischer Reisepass mit der längeren Gültigkeitsdauer sowie der Nutzungsmöglichkeit für weltweite Reisen beantragt werden können, schreibt die Regierung. „In begründeten Einzelfällen kommt – bei Anerkennung im Reisezielland – auch die Beantragung eines vorläufigen Reisepasses in Betracht, welcher in der Regel sofort ausgestellt werden kann“, heißt es in der Vorlage.
Zudem soll laut Bundesregierung durch die Einführung eines neuen Passversagungsgrundes Kindesmissbrauch im Ausland verhindert werden. Im Hinblick auf die beabsichtigte Schaffung der Möglichkeit, Pässe, Personalausweise, elektronische Aufenthaltstitel und eID-Karten auf Wunsch der antragstellenden Person auch im Inland an diese zu versenden, sollen den Angaben zufolge die erforderlichen Verordnungsermächtigungen geschaffen werden. Ferner sieht der Gesetzentwurf unter anderem vor, das Mindestalter für die Nutzung eines elektronischen Identitätsnachweises auf 13 Jahre zu reduzieren.
Wie die Bundesregierung ausführt, besteht der Nutzen des Gesetzentwurfs darin, Verwaltungsabläufe zu modernisieren und durch angepasste Verfahren den Aufwand für die Pass-, Ausweis- und Ausländerbehörden sowie die Bürgerinnen und Bürger zu reduzieren. Darüber hinaus werde die Sicherheit und Integrität der Daten in Pässen, Personalausweisen und elektronischen Aufenthaltstiteln gesichert und somit das Vertrauen in diese Dokumente aufrechterhalten. (hau/sto/03.07.2023)