Kontroverse um Nationale Sicherheitsstrategie
Über die im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP niedergelegte Absicht, eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen, hat der Bundestag am Freitag, 31. März 2023, debattiert. Anlass war ein Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Deutschland braucht eine Nationale Sicherheitsstrategie“ (20/6182), der nach der ersten Beratung an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen wurde.
CDU/CSU an Regierung: Raufen Sie sich zusammen!
Die CDU/CSU-Fraktion bezieht sich in ihrem Antrag auf die Koalitionsvereinbarung von Ende 2021, in der es heißt: „Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen.“ Sie fordert die Bundesregierung auf, diese Strategie nun schnell vorzulegen. Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) kritisierte, das Verfahren zu deren Erarbeitung sei „völlig verkorkst“ und von Ressort-Egoismus bestimmt. Damit spielte er insbesondere darauf an, dass sich die Koalition nach Differenzen, ob ein neu zu schaffender Nationaler Sicherheitsrat beim Kanzleramt oder beim Auswärtigen Amt angesiedelt werden sollte, entschieden hat, auf ein solches Gremium zu verzichten.
Wadephul nannte es angesichts der aktuellen Lage „sicherheits- und außenpolitisch verheerend für dieses Land“, dass es noch immer keine Nationale Sicherheitsstrategie gibt. Das heiße auch: „keine Afrika-Strategie, keine China-Strategie, keine neue Konzeption der Bundeswehr, kein neues Fähigkeitsprofil“. Eindringlich appellierte er mit Blick auf die Regierungsbank: „Raufen Sie sich zusammen!“
SPD: Vorlage in wenigen Wochen
SPD-Abgeordnete begründeten die Verzögerung damit, dass mit dem „Überfall Putins auf die Ukraine“, wie Rebecca Schamber sagte, „in vielen Bereichen neue Realitäten entstanden“ seien. Auf diese aber hätten Regierung und Parlament schnell reagiert. Jeden Tag träfen sie sicherheitspolitische Entscheidungen.
Dr. Nils Schmid (SPD) gab bekannt, dass sich die Nationale Sicherheitsstrategie in der Ressortabstimmung befinde und „in wenigen Wochen“ vorgelegt werde. Dann werde sie auch umgehend im Bundestag beraten.
Grüne verweisen auf Versäumnisse der Union
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) beantwortete das Drängen der Union nach der Nationalen Sicherheitsstrategie mit der Frage, warum sie es „sechzehn Jahre nicht auf die Reihe bekommen hat“. Trittin verwies auf die unter Unionsregierungen gewachsene Abhängigkeit von russischem Gas. „Das war sicherheitspolitisch verheerend, und das ist Ihre Verantwortung.“
Trittin verwies aber auch darauf, dass in der Vergangenheit viele die sicherheitspolitische Lage Deutschlands falsch eingeschätzt hätten, auch er selbst. Deshalb bekannte er sich zu einer Stärkung der Bundeswehr. Allerdings sei Wehrhaftigkeit alleine noch keine Sicherheitsstrategie. Deutschland müsse sich auch „resilient gegen wirtschaftliche Machtprojektionen machen“, und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sei ebenfalls eine Frage der Sicherheit.
Linke sieht China-Frage als Kern des Streits
Als „Kern des Streits“ in der Regierung um die Nationale Sicherheitsstrategie bezeichnete es Dr. Gregor Gysi (Die Linke), dass Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) eine scharfe Verurteilung Chinas wolle, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber eine „nicht ganz so harte“.
Kritik übte Gysi an der geplanten Aufrüstung der Bundeswehr und der Begründung, dass man sich vor einem Angriff Russlands schützen müsste. Finnland und Schweden wollten erklärtermaßen in die Nato, weil Russland sie dann nicht mehr angreifen werde. Deutschland aber sei schon in der Nato und damit, wie Gysi folgerte, bereits sicher vor einem russischen Angriff.
AfD: Haben mehrfach Nationalen Sicherheitsrat gefordert
Nach Ansicht von Joachim Wundrak (AfD) war es ein „großer Fehler“, die Federführung zur Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie ins Auswärtige Amt zu geben. Sie hätte ins Kanzleramt gehört, befand Wundrak. Die AfD habe bereits in ihrem Wahlprogramm 2017 eine Nationale Sicherheitsstrategie gefordert.
Anträge der Fraktion, einen Nationalen Sicherheitsrat mit einem Nationalen Sicherheitsberater an der Spitze einzurichten, hätten die anderen Fraktionen mehrfach abgelehnt, führte Wundrak aus. Ohne ein solches Gremium aber werde auch eine Nationale Sicherheitsstrategie „lediglich ein weiteres Stück Papier bleiben“.
FDP will weiter Nationalen Sicherheitsrat
Deutlich unzufrieden mit der Weigerung der Koalitionspartner, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten, zeigte man sich in der FDP-Fraktion. „Eine Nationale Sicherheitsstrategie ohne einen Nationalen Sicherheitsrat wäre eine vertane Chance“, sagte Dr. Ann-Veruschka Jurisch.
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) bedauerte zudem, dass der Prozess zur Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie „etwas zu lange dauert“. Das aber hindere die Regierung nicht, eine „stringente Außenpolitik zu verfolgen“. Er verwies auf das Bundeswehr-Sondervermögen, die schnelle Umstellung der Gasversorgung und Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. „Das ist eine so fundamentale Umkehr der bisherigen Politik dieses Landes“, sagte Lambsdorff, „dass es definitiv eine Zeitenwende ist“.
Fehlende Einbindung der Länder bemängelt
Dass kein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet werden soll, bedauerte auch Andrea Lindholz (CDU/CSU). Ein solcher „wäre das institutionelle Herzstück dieser Strategie“, sagte sie. Er wäre der Ort, an dem die Strategie weiterentwickelt und operativ umgesetzt wird.
Lindholz bedauerte im Übrigen, dass die Länder, die für die Gefahrenabwehr im Inland zuständig sind, nicht in die Erarbeitung der Strategie einbezogen werden. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU), der als Vertreter des Bundesrates das Wort ergriff, verwies auf eine einstimmig beschlossene Forderung der Innenministerkonferenz, die Länder einzubinden.
Antrag der Union
Die Unionsfraktion drängt die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vereinbarte Nationale Sicherheitsstrategie auf den Weg zu bringen. Der Kanzler habe im Rahmen der von ihm postulierten „Zeitenwende“ eine deutsche Führungsrolle in Europa beansprucht, schreiben die Abgeordneten. „In Europa tobt der größte Landkrieg seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Der russische Angriffskrieg stellt einen Epochenbruch dar.“ Zudem setzten revisionistische und autokratische Staaten die regelbasierte internationale Ordnung unter Druck und versuchten, die globalen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Deutschland habe darauf weder eine strategische Antwort gefunden noch seinen außen- und sicherheitspolitischen Werkzeugkasten an diese neuen Realitäten angepasst, kritisieren die Abgeordneten.
Sie fordern die Bundesregierung unter anderem auf, „im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie eine Standortbestimmung Deutschlands in Europa und der Welt vorzunehmen, seine Interessen ebenso wie seine Werte als Grundlage für die Politik zu definieren, sowie das Verhältnis zu China, zu Russland und zu anderen Akteuren zu beschreiben, welche die internationale regelbasierte Ordnung infrage stellen“. Weitere Forderungen zielen auf die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates beim Bundeskanzleramt und auf eine jährliche parlamentarische Grundsatzdebatte zur Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands im Bundestag. Außerdem solle sich die Bundesregierung zum Nato-Ziel, zwei Prozent des Nationaleinkommens für Verteidigung aufzuwenden, „als Untergrenze notwendiger Verteidigungsausgaben“ bekennen und diese Trendwende auch in der Aufstellung des Bundeshaushaltes abbilden. (pst/ahe/31.03.2023)