Weiterentwicklung der Fachkräfte-Einwanderung im Bundestag beraten
Der Bundestag hat am Donnerstag, 27. April 2023, erstmals einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (20/6500) beraten. Nach der Aussprache überwiesen die Abgeordneten die Vorlage zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Inneres und Heimat.
Faeser: Deutschland ist ein Einwanderungsland
„Deutschland ist ein Einwanderungsland“, betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Beginn der Debatte. Dies lange Zeit zu negieren, sei ein Fehler gewesen, dessen Folgen man nun an allen Ecken und Enden spüre. „Uns fehlen hunderttausende Fachkräfte in den verschiedenen Bereichen“, konstatierte Faeser. Deutschland sei aktuell für ausländische Fachkräfte nicht das Top-Ziel, weil die Gesetzgebung hohe Hürden für qualifizierte Fachkräfte aufbaue. „Das wollen wir ändern“, sagte die Ministerin.
Klassische Einwanderungsländer wie etwa Kanada böten eine Perspektive für die Einbürgerung, was für Fachkräfte attraktiv sei. Zudem müssten sich Fachkräfte in Deutschland wohlfühlen und willkommen fühlen. Dazu gehöre auch das entsprechende gesellschaftliche Klima. Den nötigen Kurswechsel leite die Bundesregierung nun ein. „Damit schaffen wir eines der modernsten Einwanderungsrechte in der Welt“, sagte Faeser.
Union warnt vor „Downgrading“ und Missbrauch
Die Bundesregierung plane, die Anforderungen an die Qualifikation der Zuwanderer zu reduzieren, kritisierte Alexander Throm (CDU/CSU). Das führe aber lediglich zu einer Einwanderung von Minderqualifizierten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) habe die Zahl der offenen Stellen in Deutschland mit 1,8 Millionen beziffert, so der Unionsabgeordnete. 80 Prozent der Stellen benötigten einen Berufsschulabschluss oder ein Hochschulstudium. Nur 20 Prozent der Stellen seien für Ungelernte und Minderqualifizierte geeignet. „Diese 20 Prozent müssen und können wir aus dem Potenzial schöpfen, das schon in Deutschland ist oder uns täglich weiter zugeführt wird“, sagte Throm. Für die 80 Prozent, die die Wirtschaft fordere und die gebraucht würden, biete das Gesetz fast gar nichts.
Auch dem Vergleich mit Kanada konnte Throm nichts abgewinnen. Dort gebe es ein Überangebot an qualifizierten Einwanderern, was zu einer echten Bestenauslese führe. Die Bundesregierung plane hingegen ein Downgrading auf das absolute Minimum und schütze das deutsche Sozialsystem nicht vor Missbrauch.
Grüne: Wir brauchen in allen Bereichen Arbeitskräfte
Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) hielt ihrem Vorredner entgegen, dass eine Willkommenskultur benötigt werde und kein Klima, das Ressentiments schafft. Fachkräfte, die nach Deutschland kommen, hätten einen Arbeitsplatz und zahlten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, womit sie die Sozialsysteme sogar stärken würden, sagte Dröge. Wolle man den Menschen Perspektiven bieten, könne man nicht vom „Verramschen von Pässen“ sprechen. Damit würden Stimmungen gegen Menschen geschürt, „die schon lange hier zu unserem Gemeinwesen beitragen“. Eine solche Kultur sei es, die dann dazu führe, dass sich Fachkräfte eher für andere Länder entscheiden.
Der Wirtschaft, so Dröge weiter, gehe es nicht nur um Fachkräfte. „Wir brauchen in allen Bereichen Arbeitskräfte, die zu uns kommen.“ Das sehe jeder, der mit offenen Augen durch das Land gehe. Das sei das Ergebnis der Unionspolitik der letzten 16 Jahre. „Sie ruinieren den deutschen Wirtschaftsstandort, wenn Sie so weitermachen“, sagte Dröge an die Union gewandt.
AfD: Woanders lebt es sich inzwischen besser
Nach Einschätzung von Gerrit Huy (AfD) wird das Gesetz dazu führen, dass angesichts abgesenkter Hürden „eher gering qualifizierte Migranten zu uns kommen“. Huy sah andere Gründe als ihre Vorrednerin dafür, dass Fachkräfte lieber in andere Länder gehen. „Sie können woanders viel mehr Nettoeinkommen erzielen“, sagte sie. Deutschland hingegen sei laut OECD bei Steuern und Sozialabgaben Vizeweltmeister.
Die schlechter werdende Sicherheitslage in den Städten, das mangelhafte Schulsystem, der Wohnraummangel und hohe Mieten täten ein Übriges. „Woanders lebt es sich inzwischen einfach besser“, sagte die AfD-Abgeordnete. Das merkten auch immer mehr Deutsche, die das Land „in Scharen“ verlassen würden. „Im letzten Jahr allein 185.000.“ Die zu erwartenden minderqualifizierten Einwanderer würden sich langfristig wohl eher im deutschen Sozialsystem zu Hause fühlen, prognostizierte sie.
FDP: Müssen den Standort Deutschland verbessern
Rein aus wirtschaftlicher Perspektive sei Deutschland gezwungen, ein Einwanderungsland zu sein, betonte Dr. Lukas Köhler (FDP). „Wir müssen den Standort Deutschland verbessern“, forderte er. Die Union, so kritisierte der FDP-Abgeordnete, versuche aber immer noch den Anschein zu erwecken, dass allein durch Zuwanderung aus der EU sich das durch den demografischen Wandel ergebende Problem lösen lasse. „Das ist Wahnsinn. Das wird nicht funktionieren“, befand Köhler. Benötigt würden auch Menschen aus dem außereuropäischen Ausland.
Schon längst gebe es keinen reinen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel. „Wir haben überall zu wenig Menschen, die in gut bezahlten Jobs arbeiten können.“ Köhler kündigte an, den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren „noch besser“ zu machen. „Die Attraktivität dieses Landes entscheidet darüber, ob Menschen wirklich zu uns kommen wollen.“
Linke: Gute Arbeitsbedingungen und Löhne als Fundament
Für Susanne Ferschl (Die Linke) müssen gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne für In- und Ausländer gleichermaßen das Fundament der Fachkräfteeinwanderung sein. Es stimme, dass Fachkräfte benötigt würden und der Arbeitsmarkt geöffnet werden müsse.
„Für das Geschrei der Arbeitgeberverbände habe ich aber nur bedingt Verständnis“, sagte Ferschl. Die Situation sei nicht so dramatisch, wie sie gerne dargestellt werde. Lediglich in 26 von 144 Berufsgruppen gebe es tatsächlich einen Mangel. Ansonsten fehlten die Arbeitskräfte vorrangig dort, „wo die Löhne gering und die Arbeitsbedingungen mies sind“. Dieses Gesetz dürfe nun nicht auch noch für Lohn-Dumping missbraucht werden, wie es mit der West-Balkan-Regelung der Fall sei.
Heil warnt vor Fachkräftemangel als Wachstumsbremse
Wenn ab 2025 die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, so sagte Bundearbeitsminister Hubertus Heil (SPD), müssten alle Register zur Arbeits- und Fachkräftesicherung gezogen werden.
„Wenn wir das nicht tun, fehlen uns bis 2035 sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte“, sagte er. Dann werde der Mangel zur Wachstumsbremse. „Das werden wir nicht zulassen“, sagte Heil.
SPD: Union ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort
Dirk Wiese (SDP) kritisierte die Union. „Sie versuchen alles möglich zu machen, um die Zuwanderung in dieses Land zu verhindern.“ Damit sei die Union eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Als Gründe dafür, dass Fachkräfte einen Bogen um Deutschland machten, benannte Wiese die fehlende Willkommenskultur. Laut Studien fehle es ausländischen Fachkräften an sozialer Integration.
Zwei Drittel hätten zudem im Alltag auch Diskriminierungserfahrungen gemacht. Dazu, dass Fachkräfte einen Bogen um Deutschland machten, würden aber auch die Debatten von ganz rechts, aber auch aus der Unionsfraktion beitragen, sagte Wiese.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Regierungsentwurf sieht unter anderem vor, die für die Fachkräfteeinwanderung bestehenden Gehaltsschwellen für Regel- und Engpassberufe spürbar abzusenken. Zudem werde eine niedrige Mindestgehaltsschwelle für Berufsanfänger mit akademischem Abschluss geschaffen. Künftig soll auch international Schutzberechtigten, die ihren Schutzstatus in der EU erhalten haben, eine Blaue Karte EU ausgestellt werden können. Die Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventen, mit dem die dauerhafte Zuwanderung von Hochqualifizierten aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland erleichtert und gefördert werden soll.
Für Inhaber einer Blauen Karte EU sollen Arbeitgeberwechsel vereinfacht und Regelungen zur Mobilität innerhalb der EU geschaffen werden, wenn die Karte in einem anderen EU-Staat ausgestellt wurde. Den Familiennachzug zu Inhabern einer Blauen Karte EU will die Regierung ebenso erleichtern wie die Erlaubnis zum Daueraufenthalt in der Europäischen Union. IT-Spezialisten sollen künftig eine Blaue Karte EU erhalten können, wenn sie zwar keinen Hochschulabschluss haben, aber bestimmte nicht formale Qualifikationen nachweisen können.
Erleichterungen für Studierende
Darüber hinaus will die Regierung die Aufnahme eines Studiums in Deutschland attraktiver machen. Die Sicherung des Lebensunterhalts soll durch erweiterte Möglichkeiten zur Nebenbeschäftigung bei Studienaufhalten erleichtert werden, um Studierende aus dem Ausland zu gewinnen, die ein erhebliches Potenzial als künftige akademische Fachkräfte mitbringen. Die Regierung will ferner einige Verbote von Nebentätigkeiten, vor allem beim Sprachkursbesuch, aufheben.
Durch die Einführung einer neuen Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft soll es für vorqualifizierte Nicht-EU-Angehörige attraktiver werden, einen in Deutschland anerkannten Abschluss zu erlangen. Das Anerkennungsverfahren soll erst im Inland begonnen und zügig durchgeführt werden können. Im Gegenzug soll eine Fachkraft bereits vom ersten Tag an in Deutschland eine existenzsichernde Beschäftigung aufnehmen können.
Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems
Für Personen mit ausländischem, mindestens zweijährigem Berufsabschluss oder einem Hochschulabschluss will die Regierung zur Arbeitssuche eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems einführen. Auswahlkriterien sollen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug sein. Die Chancenkarte biete Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung, heißt es im Gesetzentwurf.
Der Wechsel in Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Bildungszwecken werde gewährleistet, um neue Potenziale geeigneter Arbeitnehmer für den deutschen Arbeitsmarkt zu erschließen, denen bislang die Arbeitsplatzsuche nicht möglich war. Deutlich abgesenkt werden sollen die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel zur Suche eines Ausbildungsplatzes. Ausländische Auszubildende und Studierende sollen ihren Aufenthalt fortsetzen können, wenn sie die Voraussetzungen für eine qualifizierte Beschäftigung schon vor Abschluss der Ausbildung oder des Studiums in Deutschland erfüllen. Die Möglichkeit, schneller eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten, soll die Attraktivität für einwandernde Fachkräfte weiter erhöhen. (hau/vom/27.04.2023)