Debatte zur Gleichstellung akademischer und beruflicher Bildung
In Zeiten des Fachkräftemangels müssen mehr Menschen für die berufliche Bildung gewonnen werden. Darin waren sich die Fraktionen bei einer Aussprache zur „Akademischen und beruflichen Bildung“ am Donnerstag, 11. Mai 2023, einig. Weniger Einigkeit herrschte bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden solle. Grundlage der Plenardebatte war ein entsprechender Antrag der AfD-Fraktion (20/6611), den die Abgeordneten im Anschluss in den federführenden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen.
AfD fordert „deutlich stärkere finanzielle Anreize“
Seit Jahrzehnte werde es immer unattraktiver, ein eigenes Handwerksunternehmen zu gründen, sagte Tino Chrupalla (AfD). Besonders für kleine und mittelständige Unternehmen habe die Situation sich verschlechtert. „Wer soll in dieser Situation noch Interesse haben, einen Handwerksberuf zu erlernen und selbstständig zu sein“, fragte Chrupalla in die Runde. Durch jedes Unternehmen, das schließen müsse, verliere die Bundesrepublik Wissen und Tradition.
Bereits in der Schule müssten Schüler wieder für das Handwerk begeistert werden – beispielsweise durch den Werksunterricht. Mit Blick auf die Handwerksausbildung forderte Chrupalla „deutlich stärkere finanzielle Anreize“. Derzeit sei die Meisterausbildung „reines Privatvergnügen“.
SPD will „Brücken“ zwischen den Bereichen bauen
Anders als der Antrag suggeriere, dürfe akademische und berufliche Bildung „nicht gegeneinander ausgespielt werden“, mahnte die SPD-Abgeordnete Dr. Wiebke Esdar. Es gehe vielmehr darum, „Brücken“ zwischen den Bereichen zu bauen und diese miteinander zu verzahnen. Außerdem betonte Esdar, dass die berufliche Bildung nicht unter der akademischen Bildung leide. Stellen würden vielmehr nicht besetzt werden, weil für die Menschen die Löhne, Arbeitsbedingungen oder Perspektiven in einem Berufsfeld nicht stimmten.
Einen „Knackpunkt“ für die Stärkung der beruflichen Bildung sieht Esdar darin, junge Menschen, die „eben keine Hochschulreife haben“, in eine Ausbildung zu bekommen. Dort sei der „Unterstützungsbedarf“ am größten. Zusätzlich habe es im Jahr 2020 rund zwei Millionen junge Menschen gegeben, die weder einer Ausbildung noch einem Beruf nachgingen. Hier müsse die Politik ansetzen.
Union: Zwei Seiten derselben Medaille
Die Meisterausbildung spiele eine „zentrale Rolle für die Zukunft des Landes“, sagte Stephan Albani (CDU/CSU). Da akademische und berufliche Bildung „zwei Seiten derselben Medaille“ seien, müsse die Gleichwertigkeit der Abschlüsse rechtlich verankert werden. Albani forderte hierfür die Überarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens.
Außerdem sollten Unternehmen, Schulen und Berufsschulen durch sogenannte berufliche Campi besser miteinander vernetzt werden und so den Übergang von Schulen zu Berufsschulen für Auszubildende erleichtern. Den Antrag kritisierte Albani dafür, dass sich die beiden Forderungen der AfD inhaltlich widersprechen würden. Auf der einen Seite eine Meisterprämie zu fordern, um so die Kosten für die Teilnehmenden zu minimieren, und gleichzeitig kostenlose Meisterlehrgänge zu fordern, sei unsinnig.
Grüne: Brauchen mehr Durchlässigkeit im System
Grünenabgeordnete Nina Stahr sagte, dass es mit Blick auf künftige Herausforderungen wie der Energie- und Wärmewende beides brauche – Master und Meister. Beide Gruppen verdienten „die gleiche gesellschaftliche Anerkennung“. Um die berufliche Bildung attraktiver zu machen, brauche es dringend gesetzliche Regelungen zur Vergleichbarkeit von Ausbildung und Studium.
Das System müsse insgesamt durchlässiger werden, damit einem Menschen auch im späteren Leben noch alle Türen offen stehen, unabhängig davon, ob er studiert oder eine Ausbildung absolviert habe: „Das Einschlagen des einen Ausbildungsweges darf keine Festlegung für das gesamte Leben sein“, sagte Stahr. Auch müsse mehr für die berufliche Bildung geworben werden, forderte Stahr. Die Exzellenzinitiative berufliche Bildung etwa gehe an Gymnasien, um dort früh eine Berufsorientierung anzubieten.
Linke: Keine Hetze gegen akademische Bildung
Für Nicole Gohlke (Die Linke) macht die AfD in ihrem Antrag zwei entscheidende Fehler. Zum einen kritisierte Gohlke die „dauernden Seitenhiebe auf die akademische Bildung“. Es sei eine falsche Annahme, dass eine „Akademisierung“ die Schuld am Fachkräftemangel trage. Vielmehr liege das Problem darin, dass junge Menschen mit Haupt- und Realschullabschluss keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hätten.
Zum anderen lasse der Antrag laut Gohlke „die Interessen und Lebenslagen der jungen Menschen“ außen vor, die man für eine berufliche Bildung gewinnen müsse. Die AfD interessiere sich nicht dafür, warum junge Menschen nicht in der beruflichen Bildung landeten, warf sie der Fraktion vor. Um die berufliche Bildung attraktiver zu machen, müssten sich die Rahmenbedingungen vieler Berufe ändern: Fairere Löhne, höhere Ausbildungsgehälter, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Mitbestimmung in Betrieben seien dafür notwendig.
FDP: Länder haben klare Verantwortung
Neben dem Bund hätten auch die Länder eine klare Verantwortung im Bereich der beruflichen Bildung, der sie sich nicht entziehen dürften, sagte Friedhelm Boginski (FDP). Es müssten mehr Berufsschullehrkräfte ausgebildet werden und die Länder müssten „die Modernisierung und Digitalisierung der Berufsschulen mit einem Sonderprogramm angehen“.
Das wichtigste Vorhaben der Bundesregierung zur Stärkung der beruflichen Bildung sei die geplante „Grundsatznovellierung des Aufstiegsbafögs“, sagte Boginski. Mehr als 190.000 junge Menschen würden Zuschüsse zur Finanzierung von Lehrgängen und dem Lebensunterhalt bekommen. Außerdem sollten dadurch rund 700 Fortbildungen gefördert werden – „nicht nur Meisterfortbildungskurse“, ergänzte er.
Antrag der AfD
Fortbildungen für den Meisterabschluss sollen künftig kostenfrei sein. Dies solle die Bundesregierung durch einen entsprechenden Gesetzentwurf regeln, fordert die AfD-Fraktion in ihrem Antrag. Außerdem solle eine Meisterprämie nach niedersächsischem Vorbild eingeführt werden. Wer in Niedersachsen seine Meisterprüfung bestehe, könne seit dem 14. Mai 2018 eine Einmalzahlung in Höhe von 4.000 Euro beantragen.
Nach Auffassung der Fraktion ist eine kostenfreie Meisterfortbildung wichtig, um „einen öffentlichkeitswirksamen positiven Akzent zu Gunsten der Beruflichen Bildung“ zu setzen und jungen Menschen den Zugang zur beruflichen Meisterfortbildung zu erleichtern. (hau/des/11.05.2023)