Abgesetzt: Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahl des EU-Parlaments

Reformpläne zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments sind das Thema einer Debatte im Bundestag. (© picture alliance / Bildagentur-online/Ohde)
Von der Tagesordnung des Bundestages am Donnerstag, 16. März 2023, abgesetzt wurde die Beratung über einen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegten Antrag (20/5990) zu der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. Mai 2022 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die allgemeine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie zur Aufhebung des Beschlusses (76 / 787 / EGKS, EWG, Euratom) des Rates und des diesem Beschluss beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (2020 / 2220(INL) – 2022 / 0902(APP)). Die Koalitionsfraktionen wollten von der Möglichkeit einer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Gebrauch machen, die im Anschluss der Aussprache zu Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden sollte. Auch die Debatte über einen Antrag der AfD-Fraktion zu dem Thema wurde abgesetzt (20/6005).
Antrag der Koalitionsfraktionen
Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FPD fordern die Bundesregierung in einem Antrag (20/5990) auf, bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene im Rat den Vorschlag des Europäischen Parlaments für eine Reform der Europawahlen zu unterstützen. Auch wenn die Fraktionen in Einzelfragen noch politischen und juristischen Klärungsbedarf sähen, etwa bei der grundsätzlich vorgesehenen Geschlechterparität oder bei der Ausgestaltung eines gemeinsamen europäischen Wahltages, würden sie die Vorschläge des Parlaments vom 3. Mai 2022 grundsätzlich begrüßen, schreiben die Abgeordneten. Positiv sei, dass viele Neuerungen die EU-weite Dimension der Wahl zum Europäischen Parlament deutlich stärken würden, „insbesondere die Schaffung eines unionsweiten Wahlkreises, in dem an der Spitze der Listen Kandidaten jeder politischen Gruppierung für das Amt der/des EU-Kommissionspräsidentin/en stehen“.
Die Initiative des Europäischen Parlaments beinhalte eine weitreichende Neuerung der rechtlichen Grundlagen für die Wahl zum Europäischen Parlament, betonen die Abgeordneten. Sie bedeute „eine vollständige Ablösung des aus dem Jahr 1976 stammenden und zuletzt 2002 geänderten Direktwahlaktes durch eine Verordnung“. Die Implikationen dieses beabsichtigten Wechsels der Rechtsaktform seien im weiteren Verfahren zu prüfen.
Reformpläne auf EU-Ebene
Aktuelle Reformpläne auf EU-Ebene sehen unter anderem die Schaffung eines Wahlverfahrens mit dem Ziel vor, einen europäischen öffentlichen Raum zu gestalten, indem gemeinsame Mindeststandards und Gesetzesänderungen im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament 2024 vorgeschlagen werden sollen. Im Sinne der Transparenz und um die demokratische Rechenschaftspflicht des Parlaments zu verbessern, soll die europäische Dimension der Wahl gestärkt werden, insbesondere durch eine Umwandlung der Wahl zum Europäischen Parlament in eine einzige europäische Wahl, vor allem mit einem unionsweiten Wahlkreis, im Gegensatz zu der Ansammlung von 27 separaten nationalen Wahlen, wie die Europawahl derzeit organisiert wird.
Auch sollen europäische politischen Parteien, Wählervereinigungen und andere europäische Wahleinheiten einen höheren Stellenwert bei der Europawahl eingeräumt bekommen, dass sie für die Wähler deutlich sichtbarer sind und dass sie eine angemessene Unterstützung und Finanzierung erhalten sollten, damit sie ihre Rolle erfüllen können. Außerdem sollen die europäischen Wähler die Möglichkeit erhalten, ihren bevorzugten Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu wählen, und dass in allen Mitgliedstaaten Spitzenkandidaten im Rahmen von unionsweiten Listen kandidieren können sollten, die von einer europäischen politischen Partei, einer europäischen Wählervereinigung oder einer anderen europäischen Wahleinheit, die ein gemeinsames Wahlprogramm vorlegt, nominiert werden.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion sieht hingegen die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente durch den Verordnungsvorschlag des Europäischen Parlaments verletzt und fordert die Bundesregierung daher in einem Antrag (20/6005) auf, dies „gegenüber dem verbliebenen Präsidium des Europäischen Parlaments zu thematisieren“. Außerdem soll sie dem Bundestag schildern, welche Auswirkungen sie durch die „wiederholte Missachtung der nationalen Parlamente“ auf den Vorschlag erwartet.
In der Anlage zu der am 3. Mai 2022 verabschiedeten legislativen Entschließung habe das Europäische Parlament einen Verordnungsvorschlag bekanntgemacht, der den bisherigen rechtlichen Rahmen „durch qualitativ neue, weitgreifende Regelungen zu ersetzen sucht“, schreiben die Abgeordneten. Gleichzeitig habe das EP offenbar versucht, den nationalen Parlamenten ihre Mitwirkungsrechte in der Causa vorzuenthalten, indem es mit Blick auf die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes beziehungsweise der Subsidiaritätsfrist „Verwirrung gestreut hat“.
Der Verordnungsvorschlag tangiere zahlreiche wesentliche Belange der Mitgliedstaaten, daher dürften die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechend gelten, betont die AfD-Fraktion. Die Verfahrensweise des Europäischen Parlaments sei „inakzeptabel“. Sie zeuge von einem verzerrten Verständnis des Integrationsprozesses und der Rolle der nationalen Parlamente. (joh/eis/15.03.2023)