Zeit:
Montag, 27. März 2023,
14.30
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200
Grundsätzlich positiv bewerten Fachleute den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung“ (Demokratiefördergesetz - DFördG, 20/5823), sehen aber Verbesserungsbedarf, wie eine Anhörung des Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montag, 27. März 2023, zeigte.
Kritik an der Zielrichtung des Entwurfs
Christopher Gohl vom Weltethos-Institut in Tübingen unterstützte zwar den Entwurf, sah aber dennoch „viele Baustellen“. So bemängelte er, dass das Ehrenamt dort nicht verankert sei. Des Weiteren findet Gohl das „Leitbild der wehrhaften Demokratie“ unangemessen, weil es zu sehr auf sicherheitspolitische Aspekte abhebe. Entscheidend sei hingegen die Frage, wie die liberale Demokratie den Herausforderungen des Klimawandels begegne. „Wir müssen zwar auch den Extremismus bekämpfen“, aber Demokratieförderung dürfe sich nicht darin erschöpfen. Wichtig sei, dass das Gesetz kein „Instrument der Erziehung von Bürgerinnen und Bürgern“ bis weit in die Mitte der Gesellschaft werde. Es solle eine breite Debatte darüber geführt werden, welches „Leitbild von Demokratie“ gefördert werden solle.
Der Juraprofessor Ralf Halfmann stellte die Frage, ob ein solches Gesetz überhaupt nötig sei. „Befremdlich“ sei, dass laut Entwurf der Staat eigene Maßnahmen ergreifen wolle, der Bund hier also auch an sich selbst denke. Der Staat dürfe private Bildungsträger nicht verdrängen oder deren Projekte an sich ziehen. Halfmann sieht hier einen Konflikt mit dem Subsidiaritätsprinzip. Aus dem Gesetzentwurf gehe außerdem nicht hervor, ob der „weltanschauliche Pluralismus“ wirklich gewahrt werden könne. Das Erfordernis der demokratischen Ausrichtung geförderter Träger und Projekte sei im Entwurf zu wenig konkretisiert.
Regelung der Finanzierung
Für Heiko Klare vom Bundesverband Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus stellt dagegen der Entwurf ein „sehr wichtiges Signal“ dar „für alle, die die Demokratie schützen wollen“ und sich zivilgesellschaftlich engagierten. Die langjährige Erfahrung aber zeige, dass die Akteure professionelle Unterstützung bräuchten. Diese erfordere allerdings auch eine ausreichende Finanzierung, die im Gesetz verankert werden müsse. Darüber hinaus hält Klare es für wichtig, Beteiligungsrechte der Projektträger im Gesetz zu regeln.
Robert Kusche vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt verwies darauf, dass solche Taten auf weit verbreiteten Ausgrenzungsideologien beruhten. Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) würden pro Jahr 248.000 Menschen „rassistisch körperlich angegriffen“. Die Opferberatung müsse daher gestärkt und die Förderung bedarfsgerecht ausgestaltet werden. Die Förderinstrumente seien aber auf dem Stand von 2014 stehengeblieben. Das müsse sich dringend ändern. Der Extremismusbegriff, den der Entwurf enthalte, sei zu vage. Kusche plädierte dafür, stattdessen von einer „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ zu sprechen, deren Opfer Schutz verdienten.
Transparenz der Auswahlkriterien
Der Psychologe und Islamismusexperte Ahmad Mansour begrüßte ebenfalls die Gesetzesinitiative. Träger und Projekte benötigten eine langfristige Finanzierung für ihre Planungssicherheit. Der Experte meldete aber auch Kritik an und verlangte Transparenz der Auswahlkriterien. Die Chance auf Förderung dürfe nicht von der „Ideologie“ eines Projektes oder dessen Nähe zu Regierenden abhängen. In dem Zusammenhang kritisierte er die bisherige Praxis der Förderung, von der in Einzelfällen auch Vertreter des politischen Islam profitiert hätten. Mansour betonte, dass fundamentalistische Radikalisierung nicht ausschließlich auf Diskriminierungserfahrungen zurückgehe, sondern ebenso Auswuchs eines eigenen ideologischen Weltbildes sein können.
Timo Reinfrank von der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD) sowie der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) lobte den Entwurf, weil er auf „dauerhafte Demokratieförderung“ und „weg von der Befristung“ auf höchstens zwei Förderperioden ziele. Reinfrank forderte zudem, eine „institutionalisierte Form der Beteiligung“ von Projektträgern im Gesetz festzuschreiben. „Es gibt derzeit einen Krieg gegen die Demokratie“, sagte der Passauer Politikwissenschaftler Lars Rensmann. Er beklagte eine „verbreitete Abkehr vom demokratischen Verfassungsstaat“. Hier müsse der Staat reagieren, um freiheitsgefährdende Ideologien zu bekämpfen. Er begrüße deshalb ein Gesetz, dass neue und verstärkt Maßnahmen fördere, um die Demokratie zu verteidigen.
Die Politikwissenschaftlerin Andrea Szukala, Uni Augsburg, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) begrüßte, dass die gesellschaftlich getragene Bildungsarbeit auf „stabile Grundlagen“ gestellt werde. Sie sieht jedoch auch Klärungsbedarf, insbesondere was den Begriff der Politischen Bildung angehe und die Abgrenzung von Extremismus-Prävention. Präventionsarbeit müsse sich von politischer Bildungsarbeit deutlich unterscheiden. In der vorliegenden Fassung berge der Gesetzentwurf die Gefahr, die Politische Bildung zu schwächen.
Regelungskompetenz Bund vs. Länder
Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V. kritisierte den Entwurf scharf: „Eine jahrelang einseitige und schlechte Praxis wird hier zum Gesetz“. Toprak warnte vor der Gefahr, auch Organisationen oder Projekte zu finanzieren, die eine „Täter-Opfer-Umkehr“ betrieben. Er persönlich habe die meisten Rassismus-Erfahrungen mit „türkischen Nationalisten“ gemacht.
Der Verfassungsjurist Tim Wihl äußerte Zweifel an der Regelungskompetenz des Bundes: Extremismusprävention sei Ländersache. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag bewertete den Entwurf positiv, wies aber daraufhin, dass die Vernetzung der Akteure vor Ort unabdingbar sei. Hier bestehe „Nachbesserungsbedarf“. Die Vernetzung der Träger auf lokaler Ebene müsse als Förderkriterium in das Gesetz aufgenommen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Ziel des Gesetzes ist es laut Bundesregierung „die Demokratie in Deutschland als Gesellschaftsform und Grundlage des Zusammenlebens zu schützen, weiter zu gestalten und für aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu stärken“. Die Gestaltung und Förderung der Demokratie sowie die Achtung von Recht und Rechtsstaatlichkeit sei aber nicht allein staatliche Aufgabe, sondern ein gemeinsames Anliegen des Staates und einer lebendigen, demokratischen Zivilgesellschaft, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Zur Stärkung der Demokratie, zur politischen Bildung, zur Prävention jeglicher Form von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie zur Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und Teilhabe wolle der Bund zukünftig auf Grundlage eines ausdrücklichen gesetzlichen Auftrags bundeseigene Maßnahmen durchführen sowie Maßnahmen Dritter fördern, „sofern sie von überregionaler Bedeutung sind und in erheblichem Bundesinteresse liegen“.
Die gesetzliche Verankerung gewährleiste die notwendige Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und die damit verbundene nachhaltige Absicherung der Maßnahmen im Bereich der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung.
Planungssicherheit für Bund und Zivilgesellschaft
Damit einher gehe ein Zuwachs an Planungssicherheit für den Bund und die Zivilgesellschaft, schreibt die Bundesregierung. Der Zuwachs an Planungssicherheit ermögliche es, mit dem Gesetz einen wirkungsvollen Beitrag zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements im Bereich der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention, politischen Bildung sowie der Vermittlung rechtstaatlicher, demokratischer und freiheitlicher Werte und des „Empowerments“ zu leisten. Damit trage das Gesetz dazu bei, der Entstehung demokratiefeindlicher Phänomene und extremistischer Tendenzen frühzeitig entgegenzuwirken, Radikalisierungsprozesse rechtzeitig zu unterbrechen und umzukehren sowie „wichtige Beratungsleistungen“ in diesem Themenfeld weiter auszubauen.
Des Weiteren werde durch eine längerfristige Förderung von Maßnahmen gewährleistet, dass zivilgesellschaftliche Akteure „bereits bewährte Strukturen“ nicht nur aufrechterhalten, sondern vor allem auch weiterentwickeln werden können, „um den sich teils wandelnden gesellschaftlichen Herausforderungen Rechnung tragen zu können“. (hri/hau/27.03.2023)