Förderung politischer Stiftungen erfordert Parlamentsgesetz
Die staatliche Förderung politischer Stiftungen bedarf eines gesonderten Parlamentsgesetzes. Das hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am Mittwoch, 22. Februar 2023, entschieden. Der Bundestag habe durch den Erlass des Haushaltsgesetzes 2019 die Partei Alternative für Deutschland (AfD) „in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb“ verletzt, „soweit dieses die Ausreichung von Globalzuschüssen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit für politische Stiftungen ermöglicht, ohne dass dem ein gesondertes Parteiengesetz zugrunde liegt“ (Aktenzeichen: 2 BvE 3 / 19).
Organstreitverfahren der AfD
Die AfD hatte sich im Organstreitverfahren dagegen gewandt, dass die ihr nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) bislang an der staatlichen Förderung politischer Stiftungen auf Bundesebene in Form von Globalzuschüssen nicht beteiligt wird. Versuche der DES, für die Jahre 2018 bis 2022 staatliche Fördermittel zu erhalten, blieben nach Darstellung des Gerichts erfolglos. Das Organstreitverfahren richtete sich gegen den Deutschen Bundestag und dessen Haushaltsausschuss, die Bundesregierung, das Bundesinnnen- und das Bundesfinanzministerium. Gegenstand war die Frage, ob die AfD dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt ist.
Wie der Zweite Senat ausführt, greift die Nichtberücksichtigung der DES bei der Zuweisung von Globalzuschüssen für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit im Bundeshaushalt 2019 in das Recht der AfD auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gemäß Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes ein, der lautet: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Um diesen Eingriff zu rechtfertigen, bedürfe es eines besonderen Parlamentsgesetzes, an dem es hier fehle, heißt es im Urteil.
Recht auf Chancengleichheit betroffen
Nach Aussage der Karlsruher Richterinnen und Richter gewährleistet der verfassungsrechtliche Status der Parteien das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen. Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes garantiere den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch die Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen.
Unvereinbar damit sei grundsätzlich jede Einwirkung von Staatsorganen zugunsten oder zulasten einzelner am politischen Wettbewerb teilnehmender Parteien, so das Gericht. Demnach sei das Recht auf Chancengleichheit im Fall unmittelbarer Zuweisung staatlicher Finanzmittel an politische Parteien regelmäßig betroffen. Dabei verbiete der Grundsatz strikt formaler Gleichheit „nicht schlechthin jede Differenzierung“. Träger öffentlicher Gewalt dürften die den Parteien gewährten Leistungen bis zu einem von der Sache her gebotenen Mindestmaß nach der Bedeutung der Parteien abstufen.
Rund 660 Millionen Euro für politische Stiftungen
Die Förderung der politischen Stiftungen durch den Bund hat sich den Angaben zufolge im Haushaltsjahr 2019 auf rund 660 Millionen Euro belaufen, von denen die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Hanns-Seidel-Stiftung profitierten. Allein auf die im Etat des Innenministeriums veranschlagten Globalzuschüsse für gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit seien 2019 rund 130 Millionen Euro entfallen. Im Bundeshaushalt 2023 sind dafür 148 Millionen Euro vorgesehen.
„Es wäre realitätsfern, anzunehmen, dass der Einsatz dieser Mittel keine Relevanz für den politischen Wettbewerb entfaltete. Die sechs geförderten Stiftungen können die Globalmittel in ihrem gesamten Tätigkeitsbereich einsetzen und werden dadurch in die Lage versetzt, eine große Zahl an Seminaren, Diskussionsveranstaltungen oder sonstigen Informationsangeboten durchzuführen“, argumentiert das Gericht. Auch wenn der davon ausgehende Einfluss auf die politische Willensbildung im Einzelnen nicht messbar sei, erweiterten die Globalzuschüsse potenziell die Reichweite der von der nahestehenden Partei vertretenen Grundüberzeugungen und Politikkonzepte. Die Erarbeitung neuer oder Fortentwicklung bestehender Positionen werde erleichtert und damit die Stellung der nahestehenden Partei im politischen Wettbewerb verbessert.
„Wettbewerbslage zwischen politischen Parteien verändert“
Aus Sicht Karlsruhes stellt daher die Nichtberücksichtigung der DES bei der Gewährung staatlicher Globalzuschüsse einen Eingriff in das Recht der AfD auf „gleichberechtigte Mitwirkung an der politischen Willensbildung“ dar. Die Partei sei 2019 drittstärkste Fraktion im Bundestag und in allen Landesparlamenten vertreten gewesen, sie habe bei der Europawahl 2019 einen Stimmenanteil von elf Prozent erzielt. Dennoch sei die DES vollständig von der staatlichen Stiftungsfinanzierung ausgeschlossen worden: „Dadurch wurde die bestehende Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien zum Nachteil der Antragstellerin verändert“, so das Gericht.
Wenn sich staatliche Leistungen auf die Stellung und die Handlungsspielräume der Parteien im politischen Wettbewerb auswirken, sei es Sache des Gesetzgebers, unter Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit die Anspruchsvoraussetzungen und Verteilungskriterien solcher Leistungen in einer besonderen gesetzlichen Grundlage zu bestimmen, heißt es im Urteil. Denn bei der Einflussnahme auf die Wettbewerbslage zwischen den Parteien durch staatliche Leistungen handele es sich um eine „für die Ausgestaltung der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes wesentliche Frage“, die der Regelung durch ein eigenes Gesetz bedarf, an der sich die jeweilige Haushaltsgesetzgebung zu orientieren hat. Nur so könne gewährleistet werden, „dass der Schaffung einer solchen Regelung ein Verfahren vorangeht, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten“.
Abgetrenntes Verfahren
Der Bundeshaushalt vermerkt seit 2022 bei den Globalzuschüssen an die politischen Stiftungen: „Globalzuschüsse dürfen nicht gewährt werden, wenn begründete Zweifel an der Verfassungstreue von Organen oder Beschäftigten bestehen. Die Zuschüsse dürfen nur zu verfassungsmäßigen Zwecken verwendet werden. Sie sind nicht zu gewähren oder zurückzufordern soweit politische Stiftungen verfassungsfeindliche Inhalte vermitteln.“
Damit würden verfassungsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen, „die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im bisherigen Verfahren nicht oder nur unzureichend erörtert worden sind“, heißt es von Seiten des Gerichts, das daher entschieden habe, den Antrag der AfD zur Nichtberücksichtigung der DES bei der Vergabe von Globalzuschüssen im Bundeshaushaltsgesetz 2022 vom Verfahren abzutrennen.
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
Dem Gesetzgeber steht laut Gericht bei der Schaffung der erforderlichen gesetzlichen Grundlage ein Gestaltungsspielraum zu. Er müsse jedoch die verfassungsrechtlichen Anforderungen beachten, die sich mit Blick auf die politischen Stiftungen aus den Artikeln 3 und 21 des Grundgesetzes ergeben. Dabei sei es wegen fehlender Veränderung der politischen Wettbewerbslage verfassungsrechtlich unbedenklich, die staatliche Stiftungsförderung auf parteinahe Stiftungen zu beschränken, die eine „dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung“ repräsentieren, und insoweit auf die Wahlbeteiligung und die Wahlergebnisse der ihnen nahestehenden Parteien abzustellen.
Besondere Bedeutung weist das Gericht jedoch dem Grundsatz der Chancengleichheit aus Artikel 21 bei der Bestimmung der Art und der Höhe der Wahlergebnisse zu, die von den nahestehenden Parteien erzielt werden müssen, um den Bestand einer dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmung annehmen zu können. Dabei dürfte es dem Urteil zufolge zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sondern möglicherweise sogar geboten sein, „diejenigen Stiftungen von der staatlichen Förderung auszuschließen, die kurzlebigen, den politischen Willensbildungsprozess allenfalls vorübergehend beeinflussenden Parteien nahestehen“. Zugleich müsse der Gesetzgeber aber der grundgesetzlich garantierten Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses Rechnung zu tragen. (vom/22.02.2023)