Zeit:
Mittwoch, 1. März 2023,
14.30
bis 15.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800
Bereits ein zweites Mal haben insgesamt fünf Sachverständige am Mittwoch, 1. März 2023, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen über die von der Bundesregierung vorgeschlagene Reform des Raumordnungsgesetzes (20/4823) gesprochen. In der Sitzung ging es vor allem um die EU-Notfall-Verordnung vom 22. Dezember 2022, mit der der Ausbau und die Nutzung der Erneuerbaren Energien beschleunigt werden sollen.
Wie bereits bei der Anhörung am 25. Januar 2023 lobten einige Experten das Ziel, die Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Ausbau der Infrastruktur und der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen und zu verschlanken, jedoch gab es auch massive Kritik daran, dass die Anhörung zu kurzfristig einberufen worden sei und dass ein Teil der Sachverständigen die Gesetzesänderungen eher vorliegen gehabt hätten als einzelne Abgeordnete. Diese Kritik kam vor allem von der CDU/CSU-Fraktion.
Wegfall von Doppelprüfungen
Dr. Thorsten Müller, Initiator und Mitgründer der Stiftung Umweltenergierecht, hob lobend hervor, die EU-Notfallverordnung habe das Potential, den Ausbau der Erneuerbaren Energien erheblich zu beschleunigen. In bestimmten Flächen bestimmte Verfahren nicht mehr durchzuführen, wenn bei der Ausweisung der Flächen bereits eine strategische Umweltprüfung stattgefunden habe, sei richtig.
Die EU verfolge damit den Ansatz, einmal geprüfte Verfahren nicht ein zweites oder ein drittes Mal zu überprüfen. Das sei für Wind an Land, Wind auf See, Photovoltaik und den Übertragungsnetzausbau festgestellt worden. Die Regelungen gälten befristet, danach müsse man sehen, ob sich die Verfahren bewährten.
Lob für Artenschutzhilfsprogramme
Thorsten Fritsch, Fachgebietsleiter Umweltrecht beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), beantwortete die Frage der CDU/CSU-Fraktion, wann er den Gesetzentwurf mit den Änderungen bekommen habe, dass ihm die Unterlagen am Dienstagabend zugegangen seien.
Das Neue und das Begrüßenswerte in dem Entwurf sei, dass nun Artenschutzhilfsprogramme dazukommen sollten. Das sei eine Maßnahme, den Artenschutz proaktiv zu gestalten, bisher reagiere man immer nur auf Ereignisse. Ob es sich um ein grundsätzlich neues Vorgehen beim Artenschutz handele, ließe sich nicht sagen. Mit dem Entwurf würden die Verfahren jedoch beschleunigt, gab sich Thorsten Fritsch sicher.
Sachverständiger: EU-Vorgabe zügig ausgestalten
Dieser Ansicht ist auch Wolfram Axthelm, Geschäftsführer beim Bundesverband Windenergie. Die EU-Notfallverordnung werde eine Verfahrensbeschleunigung mit sich bringen, zudem würden Doppelprüfungen entfallen.
Die Koalition solle die EU-Vorgabe nun zügig ausgestalten, auch bei Fragen, die außerhalb der Notfallverordnung lägen. Beim Ausbau der Netze gehe der Koalitionsvorschlag deutlich über das hinaus, was die EU vorschlägt, und das sei auch notwendig, vor allem bei der 110-KV-Ebene.
Kritik an zu wenig Vorbereitungszeit
Dr. Gerd Rojahn, bis Oktober 2015 Referatsleiter im Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz, sah sich außerstande, eine Beurteilung des Regierungsentwurfes abzugeben, er habe die Unterlagen erst am Mittwochmorgen erhalten. Es sei mehr „als anspruchsvoll“, sich solche Entwürfe in aller Kürze anzuschauen. Im Änderungstext für das ROG seien in acht Paragrafen 14 Änderungen vorgesehen, von redaktionellen Änderungen mal ganz abgesehen. Dazu kämen vier weitere Gesetze, die sich mit der EU-Notfallverordnung vom Dezember 2022 beschäftigten.
„Wir haben es nicht mit kleinen, sondern mit sehr gewichtigen Änderungen zu tun, mit denen man sich in der Kürze der Zeit nicht auseinandersetzen kann“, sagte Rojahn. Er habe 25 Jahre lang in der Landes- und Regionalplanung gearbeitet und dort auch regelmäßig Prüfungen für Windenergieanlagen vorgenommen. Dieses Thema sei kompliziert und nicht durch eine Vereinfachung von einzelnen Verfahrensansätzen erreichbar, so sein Fazit.
„Erheblicher Ausbau“ des Verteilnetzes gefordert
Dr. Matthias Dümpelmann, Geschäftsführer der 8KU GmbH, ist anderer Ansicht: „Gut ist, dass an der Beschleunigung der Energiewende gearbeitet wird“, sagte er. Was mehrheitlich zur Erleichterung beim Planungsrecht von den Vorrednern gesagt worden sei, dem könne er sich anschließen. Er verwies noch darauf, dass mit der Änderung nun Flächenareale geschaffen würden, die unter Schutz stünden, auf denen keine Bebauung oder Nutzung stattfinden werde.
Es zeige sich jedoch auch, dass in den vergangenen 15 Jahren viel zu wenig getan worden sei, um das Verteilnetz auszubauen. Es sei gut zu sehen, dass das Verteilnetz nun auch Gegenstand der Vereinfachung werde. Besonders bei Wind an Land und Photovoltaik brauche es einen „erheblichen Ausbau“ des Verteilnetzes. Vor allem im Norden von Bayern stünden bereits heute PV-Anlagen vor Verteilnetzen, die nicht angeschlossen werden könnten.
Regierungsentwurf in der Ausschussfassung
Mit dem im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen geänderten und sachlich erweiterten Gesetzesentwurf der Bundesregierung wird unter anderem die Umsetzung der am 22. Dezember 2022 verabschiedeten EU-Notfallverordnung ((EU) 2022 / 2577) ermöglicht. Grundlage dieser Änderungen waren Ende Januar vom Bundeskabinett beschlossene Formulierungshilfen zur Umsetzung der Verordnung.
Laut Begründung sieht die Verordnung vor, dass Mitgliedstaaten bei Genehmigungsverfahren für Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie und für deren Ausbau erforderlicher Stromnetze unter bestimmten Bedingungen auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine artenschutzrechtliche Prüfung verzichten können, wenn diese in Gebieten errichtet werden, die für diesen Zweck ausgewiesen wurden. Mit den Änderungen werden laut Änderungsantrag die entsprechenden Durchführungsregelungen für die Bereiche Windenergie an Land, Windenergie auf See sowie Offshore-Anbindungsleitungen, Freiflächen-Photovoltaikanlagen und die Stromnetze geschaffen. Die Verordnung und die Durchführungsregelungen sollen für Genehmigungsverfahren gelten, die vor dem 30. Juni 2024 begonnen werden.
Der eigentliche Regierungsentwurf hatte vor allem zum Ziel, das Raumordnungsgesetz und andere Vorschriften zu novellieren. Die Regierung hatte zur Begründung des Entwurfes darauf verwiesen, dass der Ausbau erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie am Land, beschleunigt werden müssen. So sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren unter anderem durch eine Digitalisierung die Beteiligungsverfahren zeitlich gestrafft werden. Auch eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren ist vorgesehen. Zudem sollen Verfahrenserleichterungen in Windenenergiegebieten eingeführt werden. (nki/02.03.2023)