Experten: Biodiversitätsverlust erfordert rasches Handeln
Zeit:
Mittwoch, 25. Januar 2023,
10.30
bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.302
Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. 80 Prozent der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung werden nicht erreichbar sein, wenn das Abrutschen der Biodiversität nicht aufgehalten wird. Darauf hat am Mittwoch, 25. Januar 2023, Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, in einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hingewiesen. Gegenstand der Anhörung waren der globale Schutz der Biodiversität und die Auswirkungen des im Dezember vergangenen Jahres in Montreal beschlossenen neuen Rahmenwerks zum Schutz der biologischen Vielfalt.
„Ökosysteme wieder stabilisieren“
Schenck sagte, die Dimension sei nicht ausreichend erkannt. Die Frage sei nicht, ob wir es können: „Wir müssen es tun, um die Ökosysteme wieder zu stabilisieren, von denen wir abhängen.“ Deutschland wolle bis 2025 1,5 Milliarden Euro zum Erhalt der Biodiversität zur Verfügung stellen, damit sei es Vorreiter, niemand zahle so viel. Aber das seien nur 0,3 Prozent des Bundeshaushalts. Dabei gehe es nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität.
Schenck plädierte für eine Reform der Verausgabung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. In manchen Bereichen sei die Verausgabungsrate sehr schlecht, außerdem gebe es eine administrative Belastung, aber auch gute Ansätze.
Er warb für den Abbau umweltschädlicher Subventionen. In der nationalen Biodiversitätsstrategie müsse der internationale Bereich berücksichtigt werden. Ein Biodiversitätsgesetz wäre aus seiner Sicht eine gute Idee. Ebenso seien Regularien für Wirtschaft und Finanzen erforderlich, weg vom sogenannten Greenwashing, wie man es in den CO2-Zertifikaten sehe.
„Finanzielle Beiträge deutlich erhöhen“
Ähnlich äußerte sich auch Magdalene Trapp, Expertin für Biodiversitätspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Schnelles politisches und wirtschaftliches Handeln sei erforderlich, weniger als drei Prozent der Ökosysteme seien noch intakt. In Montreal sei beschlossen worden, 30 Prozent der degradierten Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen, Nährstoffeinträge und Risiken durch Pestizide um die Hälfte zu reduzieren. Die nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne müssten bis 2024 aktualisiert werden.
Der globale Norden müsse seine finanziellen Beiträge deutlich erhöhen, forderte Trapp. Bis 2025 sollen jährlich 20 Milliarden US-Dollar, bis 2030 30 Milliarden US-Dollar an staatlichen Geldern zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kämen noch Beiträge der Privatwirtschaft.
Trapp empfahl, die Montreal-Beschlüsse als Kompass für die Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen. Deutschland müsse als Vorbild vorangehen und Regelungen für die einzelnen Sektoren, die den Biodiversitätsverlust verursachen, festlegen. Die Expertin nannte hier die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Verkehr, Industrie und Handel sowie den Finanzsektor. Diese Regelungen könnten in ein Biodiversitätsgesetz aufgenommen werden, das international zum Vorbild werden könnte.
„Druck auf die Unternehmen wächst“
Für Professor Jörg Rocholl, Präsident der Europäischen Schule für Management und Technologie Berlin (ESMT), ist entscheidend, dass die Internalisierung externer Effekte gelingt, dass also die negativen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Biodiversität sich im Preis niederschlagen. Wenn die externen Effekte mit einem Preis versehen werden können, müssten die verfügbaren Mittel dafür eingesetzt werden, wobei auch privates Kapital, etwa über Stiftungen, mobilisiert werden könnte.
Der Druck auf die Unternehmen wachse von verschiedenen Seiten, er nehme auch auf dem Arbeits- und Produktmarkt zu. Zentral sei, dass Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eng zusammenarbeiten im Austausch mit Wirtschaft, Politik und der übrigen Gesellschaft.
Da sich die schutzwürdigen Gebiete zumeist im globalen Süden befänden, sollten Mechanismen entwickelt werden, so Rocholl, die im partnerschaftlichen Zusammenwirken dazu führen, dass es nicht zu einem weiteren Verlust der Biodiversität kommt. Zur Klima- und zur Biodiversitätskrise komme noch das Pandemiethema hinzu, ein ökonomisches Problem erster Rangordnung.
„Schmerzhafte Entscheidungen sind zu treffen“
David Niyonsaba, Geschäftsführer der Prime Biodiversity Conservation, einer Naturschutzorganisation in Kigali (Ruanda), wies darauf hin, dass der Schutz der Biodiversität nicht ohne die Regionen vor Ort möglich sei. So könnten auch Tourismuseinnahmen dafür eingesetzt werden. „Wir müssen Entscheidungen treffen, die den Lebensstil bei Kleidung, Transport und Konsum verändern“, sagte Niyonsaba.
Die Kleinbauern müssten überzeugt werden, dass die Abholzung der Wälder nicht fortgesetzt werden könne. „Schmerzhafte Entscheidungen“ seien da zu treffen. Aktivitäten, die die biologische Vielfalt beschädigen, müssten eingestellt werden.
„Privatsektor stärker einbinden“
Der globale Norden sollte nach Ansicht Niyonsabas Dialoge fördern. Die deutsche Regierung könne ihren Einfluss nutzen, um den Privatsektor stärker einzubinden und die Europäische Kommission zu überzeugen, dass im Bereich verfügbarer Ressourcen mehr getan werden müsse.
Die finanziellen Mittel sollten von den Ländern des globalen Nordens bereitgestellt werden, so der Experte. Er sprach sich dafür aus, den Ländern im Süden mehr zu vertrauen, sie hätten auch Fachwissen, das geteilt werden könnte. Projekte und Programme müssten durch Beteiligung der Zivilgesellschaft finanziert und umgesetzt werden.
„Schutzmaßnahmen indigener Bevölkerung überlassen“
Jocelyne S. Sze, PhD-Researcherin in Ökologie und evolutionärer Biologie an der britischen Universität Sheffield, wies darauf hin, dass in manchen Ländern die indigenen Bewohner aus den Schutzgebieten ausgewiesen worden seien, es habe Fälle von Folter und Vergewaltigung durch Ranger gegeben. Sie könnten das Land nicht mehr nutzen. Das führe zu sozialen Ungerechtigkeiten gegenüber den Menschen, die bisher dort die Arten geschützt hätte. Sie hätten keine gesunden Lebensmittel mehr und keinen Zugang zu medizinischen Pflanzen.
Die Schutzgebiete hätten dazu geführt, dass die Bewohner ausgebeutet wurden, dass sie ihre Landrechte nicht mehr wahrnehmen konnten. Sze trat dafür ein, der indigenen Bevölkerung das Recht auf ihr Land zuzugestehen und ihnen die Schutzmaßnahmen selbst zu überlassen. Die lokale Bevölkerung sollte sich selbst regieren können, sagte die Sachverständige. (vom/25.01.2023)