Regierungserklärung

Habeck rechnet 2023 mit durchschnittlicher Inflation von sechs Prozent

Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 26. Januar 2023, eine Regierungserklärung vor dem Bundestag abgegeben. Anlass war die erste Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 2023 der Bundesregierung (20/5380) zusammen mit dem Jahresgutachten 2022/23 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (20/4560).

An die Regierungserklärung schloss sich eine rund 70-minütige Aussprache an. Im Anschluss überwiesen die Abgeordneten beide Vorlagen gemeinsam mit einem Antrag der AfD mit dem Titel „Neue Indikatoren des Jahreswirtschaftsberichtes“ (20/5363) an den federführenden Wirtschaftsausschuss.

Minister verteidigt Panzer-Lieferung an die Ukraine

Habeck setzte die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, an den Anfang seiner Regierungserklärung: „Die Entscheidung ist richtig, wichtig und dringend notwendig gewesen, aber kein Grund zum Jubeln.“ Das Töten müsse ein Ende finden, indem die Ukraine den Konflikt zu ihren Bedingungen beende, so Habeck.

Der Krieg habe viele Gewissheiten zerstört und habe auch in Deutschland ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand gefährdet. In 2022 habe Deutschland deshalb einen hohen ökonomischen Preis bezahlt. „Aber diesen Preis nicht zu zahlen, wäre dramatisch viel schlimmer gewesen. Wenn wir diesen Preis nicht zahlen, werden wir eine Schuld auf uns laden“, sagte der Grünenabgeordnete.

„Klimaneutralität als echte Chance begreifen“

Er rief in Erinnerung, dass Fachleute im vergangenen Spätsommer prognostiziert hatten, dass es im schlimmsten Fall zu wirtschaftlichen Einbußen von bis zu minus zwölf Prozent hätte kommen können. „Die Zahlen, die wir nun vorgelegt haben, sind nicht gut, aber bei weitem besser, als wir noch vor wenigen Wochen kalkuliert haben“, so Habeck im Plenum. Das man den Negativtrend habe aufhalten können, sei eine große Gemeinschaftsleistung dieses Landes gewesen. „Deutschland hat gezeigt, was es kann, wenn es will.“

Für das laufende Jahr werde mit einer durchschnittlichen Inflation von sechs Prozent gerechnet. Es müsse also daran gearbeitet werden, nicht nur bei den Energiepreisen die Preisspirale zu brechen. Um das zu erreichen gelte es, die Wettbewerbsfähigkeit bei der Energieversorgung zu erhöhen. Durch die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und mit neuen Produktionsformen könne es gelingen, den Wohlstand im Land zu erneuern. „Wir werden den Wohlstand erneuern, wenn wir Klimaneutralität als echte Chance begreifen“, konstatierte Habeck.

Union wirft Kanzler Zögerlichkeit vor

Jens Spahn (CDU/CSU) bilanzierte, dass die Lage zwar nicht so schlimm sei wie erwartet, „aber weniger schlimm ist immer noch schlimm und noch nicht gut“. Die Unionsfraktion hätte schon vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine vor einer steigenden Inflation gewarnt. Diese einzudämmen sei nun die größte sozialpolitische Aufgabe der Bundesregierung. Die hohe Inflation sei „Raub am kleinen Mann“ und bringe den Wohlstand in Deutschland in Gefahr.

Die Ampelkoalition rühme sich der Bewältigung der Krise, so Spahn, dabei laufe immer alles nach dem gleichen Muster ab: Es gebe Streit, vornehmlich zwischen Grünen und FDP, der Kanzler zögere und zaudere, bis endlich etwas entschieden würde. „Das ist das Muster und das schafft Unsicherheit“, sagte Spahn. „Ja, sie setzen um, aber zu spät und zu wenig.“ Deutschland sei ein Land im Wartezustand. Um das zu ändern müsste sich die Regierung ohne Wenn und Aber zu einer Wachstumspolitik bekennen. „Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts“, schloss der Christdemokrat.

SPD: Wir brauchen jede Menge Fachkräfte

Verena Hubertz (SPD) bilanzierte, dass es dank der „Regierung, die handelt“ im vergangenen Jahr keinen Einbruch, sondern sogar ein leichtes Wachstum gegeben habe. Mit Hilfspaketen und Abwehrschirmen habe man das Jahr, das „war wie kein anderes“, bewältigen können. Nun gehe es darum, nicht stillzustehen, sondern nach vorne zu blicken.

Eine große Herausforderung sei dabei der Fachkräftemandel, jedes Jahr fehlten rund 400.000 Menschen, um offene Stellen zu besetzen: „Wir brauchen jede Menge Kräfte.“ Auf die von der Unionsfraktion geäußerte Kritik am Bürgergeld, das aus deren Sicht nicht genug Anreize für das Arbeiten setze, entgegnete Hubertz: „Das Bürgergeld ist  eine Weiterbildungsmaßnahme für die Wirtschaft.“ Es sei genau das richtige Instrument, um die Menschen für die Arbeit zu qualifizieren. Die Sozialdemokratin verwies des Weiteren auf die Notwendigkeit, Gründungen in Deutschland besser zu fördern. „In diesem Land steckt eine Menge Innovation“, so Hubertz. Diese gelte es zu heben.

AfD: Regierung tut nichts gegen Geldentwertung

Leif-Erik Holm (AfD) dankte dem „Wettergott für den milden Winter“, denn wegen der nicht allzu niedrigen Temperaturen komme man gerade auch durch die Energiekrise. In Richtung des Wirtschaftsministers sagte Holm: „Sie servieren uns die selbe Transformationssoße wie im letzten Jahr, aber was tun Sie gegen die Inflation? Nichts!“ Die Regierung tue nichts gegen die „Geldentwertung“, alles werde teurer und große deutsche Konzerne seien auf dem Abschwung. „Aber von der Panik, die deshalb angebracht wäre, sehe ich hier nichts“, sagte Holm im Plenum.

Es müsse nun endlich etwas passieren, um die Energiepreise zu senken und dafür gesorgt werden, dass die Automobil- und Chemiekonzerne an ihren Standorten gehalten würden. „Wenn die erstmal aus Deutschland raus sind, kommen sie so schnell nicht wieder.“

FDP: Klares Commitment für das Unternehmertum

Reinhard Houben (FDP) blickte ins neue Jahr und forderte, das Tempo, das man beim Ausbau der LNG-Terminals vorgelegt habe, dürfe keine Ausnahme bleiben. Als Reaktion auf die Krise habe man eine neue Energieinfrastruktur aus dem Boden gestampft. „Doch die Fortschrittskoalition würde ihrem Namen nicht gerecht werden, wenn wir hier aufhören würden“, sagte der Liberale. Die Zeiten, in denen es gereicht habe, „Schmalspur zu fahren“, seien vorbei.

Mit Blick auf den gerade in der Diskussion befindlichen „Inflation Reduction Act“ der US-Regierung sagte Houben: „Das Pokern um die Standorte ist in vollem Gange, aber manche am Tisch spielen mit gezinkten Karten.“ Es gelte nun genau darauf zu schauen, wie man den Standort Deutschland sichere und die wirtschaftliche Substanz erhalte, die durch Abwanderung ins Ausland bedroht sei. „Wir brauchen hier ein klares Commitment für das Unternehmertum.“

Linke fordert „staatliche Preisaufsicht für Energie“

Amira Mohamed Ali (Die Linke) bescheinigte dem Jahreswirtschaftsbericht „leider viel Schönfärberei“. Das momentan etwas entspanntere Verhältnis an den Energiemärkten hätten nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun, sondern mit einer gesunkenen Nachfrage. „Wir brauchen endlich eine staatliche Preisaufsicht für Energie“, sagte

Ali. Im Gegensatz zu Houben bezeichnete sie die Investitionen der US-Regierung als Positivbeispiel für proaktives Handeln in der Krise. „Ankündigungen wurden genug ausgesprochen, nun müssen auch Taten folgen“, sagte die Linkenabgeordnete in Richtung des Wirtschaftsministers. Ali zitierte zudem einen Artikel der Zeitung „The Economist“, demzufolge mit einer höheren Sterblichkeit aufgrund niedrigerer Raumtemperaturen zu rechnen sei.

Grüne für „mehr saubere, bezahlbare Energie“

Dr. Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, nüchtern betrachtet seien 1,9 Prozent nur eine Zahl. Aber das es im Krisenjahr 2022 sogar ein kleines Wachstum gegeben habe, sei eine „kleine Sensation“. Sie dankte den Unternehmen und deren Belegschaften: „Diese 1,9 Prozent sind Ihr Erfolg!“ „Im vergangenen Jahr haben wir gelitten, wir waren verunsichert, aber wir kämpften uns durch.“ Detzer rechnete dem Wirtschaftsminister sein Engagement in der Bewältigung der Energiekrise an: „Er wollte nicht nach Katar und fuhr trotzdem. Danke für diese enorme Leistung.“

Der Erfolg dürfe zwar zuversichtlich machen, aber nicht träge. „Wir brauchen mehr saubere, bezahlbare Energie“, forderte die Grünenabgeordnete. Dazu gehöre auch, die Stärkung der nationalen Souveränität, um die Abhängigkeit Deutschlands in Sachen kritischer Rohstoffe zu reduzieren. (emu/26.01.2023)

Jahresgutachten des Sachverständigenrats

Der Sachverständigenrat hatte sein Jahresgutachten mit dem Titel „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“ bereits Mitte November vorgelegt. Es enthält zudem den vierten nationalen Produktivitätsbericht, den der Sachverständigenrat als nationaler Ausschuss für Produktivität für Deutschland erstellt hat.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Frühjahr 2022 und dessen Auswirkungen belasten Privathaushalte und Unternehmen massiv, schreiben die Sachverständigen; zudem werde der konjunkturelle Ausblick deutlich eingetrübt. Weiteren Einfluss auf die wirtschaftliche Situation und Entwicklung hätten die negativen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sowie die andauernden Lieferkettenstörungen. Dies verlangsame im Zusammenspiel mit „spürbaren Fachkräfteengpässen“ die konjunkturelle Erholung.

„Maßnahmen mit europäischen Partnern abstimmen“

Um die Energiekrise solidarisch zu bewältigen, seien „umfangreiche Maßnahmen gegen die Energieknappheit und zielgenaue Entlastungen notwendig“, heißt es weiter. Angesichts der europäischen Dimension der Energiekrise sollten die staatlichen Maßnahmen zur Entlastung und zur Sicherstellung der Energieversorgung eng mit den europäischen Partnerländern abgestimmt werden.

Das Gutachten gibt einen Ausblick auf die mittelfristigen Herausforderungen für Deutschland und Europa und wie diesen begegnet werden könne. So fordern die Sachverständigen, die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion anzugehen, die Fachkräftesicherung durch Weiterbildung und Erwerbsmigration voranzubringen und die internationalen Abhängigkeiten zu reduzieren.

Antrag der AfD

Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag dazu auf, künftig auf die Ausweisung von 32 sozial- und umweltpolitischen Indikatoren im Jahreswirtschaftsbericht zu verzichten, „um die wirtschaftliche Situation unseres Landes und die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung klar darzustellen“.

Die Abgeordneten schlagen vor, „die neuen Indikatoren aus dem Jahreswirtschaftsbericht herauszunehmen und bei Bedarf in einem eigenen Bericht darzustellen“. Voraussetzung hierfür müsse ein Modell sein, das die Wechselwirkung aller Indikatoren berücksichtige und Zielkonflikte vermeide, um „um Fehlinterpretationen zum Nachteil der Wohlfahrtsmessung zu verhindern“, wie es in dem Antrag heißt. (vom/emu/26.01.2023)