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Johann Wadephul: In der Unterstützung für die Ukrai­ne nicht nachlassen

Symbolbild: Johann Wadephul steht am Rednerpult im Plenarsaal

Johann David Wadephul, Vorsitzender der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato (Nato PV) (© DBT/ Marc-Steffen Unger)

„Wir dürfen jetzt nicht nachlassen in unserer Unterstützung für die Ukraine, denn die nächste Phase des Krieges zwischen der Ukraine und Russland, in den Wintermonaten, wird eine große Herausforderung“, sagt Dr. Johann David Wadephul, Vorsitzender der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato (Nato PV), die vom 18. bis 21. November 2022 in Madrid zusammenkam. „Unsere Hilfe wird hoch geschätzt.“ Mit den verabschiedeten Resolutionen hätten die Nato-Parlamentarier ein klares politisches Signal an Russland gesendet. Weitere Zeichen der Stärke seien: Truppenentsendungen an die Ostflanke, die neue Aufmerksamkeit für den Krieg im Cyberspace sowie das Wachstum des Bündnisses auf 32 Mitgliedsstaaten. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Wadephul, wie beurteilen die Parlamentarier die fortgesetzten Bemühungen der Regierungen der Mitgliedstaaten, der Ukraine militärisch zu helfen?

Wir Nato PV Parlamentarier sind uns einig, dass wir der Ukraine auch weiterhin geschlossen zur Seite stehen werden. Das gilt sowohl für die politische, die wirtschaftliche als auch die militärische Unterstützung der Ukraine. Die ukrainischen Erfolge in Cherson und Charkiw haben gezeigt, dass die Ukrainer exzellent mit den von den Mitgliedsstaaten gelieferten Waffensystemen umgehen können. Das liegt auch an der umfangreichen Ausbildung ukrainischer Soldaten in den Nato-Staaten. Uns ist aber auch klar, dass wir bei der militärischen Unterstützung einen langen Atem beweisen und als Mitgliedsstaaten an einem gemeinsamen Strang ziehen müssen. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen in unserer Unterstützung, denn die nächste Phase des Krieges in den kommenden Wintermonaten wird eine große Herausforderung. Jetzt gilt es, die Ukrainer mit dem notwendigen Militärgerät auszustatten, beispielsweise im Bereich der Luftabwehr und – diese persönliche Meinung sei mir gestattet – aus meiner Sicht auch mit Kampf- und Schützenpanzern. 

Welches Echo erfährt die deutsche Hilfe?

Im Gespräch mit der ukrainischen Delegation erfuhren wir von unseren ukrainischen Partnern großen Dank für die Solidarität, die Deutschland gegenüber der Ukraine und ihrem Kampf gegen die russische Aggression zeigt. Unsere Hilfe wird hochgeschätzt. Das gilt für die technische Unterstützung zur Reparatur des Stromnetzes, für die Lieferung von Notstromgeneratoren und insbesondere für die Lieferung von Waffen. Die Berichte der ukrainischen Delegation über die gezielten russischen Luftangriffe auf die kritische Infrastruktur im ganzen Land, über die Zerstörungen und die Verbrechen waren erschütternd. Darum ist es notwendig, die Ukrainer fortgesetzt mit Waffen auszustatten, sowie verstärkt mit technischen Hilfsmitteln zur Wiederherstellung der Infrastruktur.   

Haben die Parlamentarier zu einer gemeinsamen Haltung für eine Verfestigung der Nato-Ostflanke gefunden? Im Vorfeld gab es Diskussionen über die Haltung der Versammlung zur Nato-Russland-Grundakte. Nun hat die Versammlung die Akte gegen die Stimme Deutschlands als null und nichtig bezeichnet. Was bedeutet das jetzt?

Die gesamte Parlamentarierversammlung ist sich vollkommen einig, dass Russland die derzeit größte Gefahr für das Bündnis darstellt und mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine die Prinzipien der Nato-Russland-Grundakte gebrochen hat. Die deutsche Position war und ist, die Grundakte nicht von westlicher Seite her aufzukündigen, da dies gegebenenfalls das russische Narrativ befördern würde. Trotzdem ist auch klar, dass Russland vertragsbrüchig ist. Die Diskussion in der Parlamentarierversammlung war sehr engagiert und durchaus kontrovers. Andere Delegationen wollten ein härteres Zeichen als die deutsche Delegation senden. Sie haben sich im demokratischen Verfahren der Ausschussarbeit mehrheitlich durchgesetzt. Was die praktische Stärkung der Ostflanke angeht, gab es wieder Einigkeit. Hier haben viele Staaten mit Truppenentsendungen früh reagiert und die Verteidigungsfähigkeit der baltischen Staaten, Polens, der Slowakei und Rumäniens gestärkt. Allen voran auch Deutschland.

Die Versammlung hat die Errichtung eines Sondertribunals für die in der Ukraine begangenen Verbrechen gefordert, Deutschland war gegen eine solche Einrichtung, da damit der bereits bestehende internationale Strafgerichtshof geschwächt wird. Können Sie die Entscheidung nachvollziehen?

Es besteht Einigkeit, dass die von Russland in der Ukraine begangenen Verbrechen verfolgt und das Regime von Präsident Putin für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zur Verantwortung gezogen werden müssen. Dasselbe gilt für die Forderung, dass sich Russland am Wiederaufbau mittels Reparationen oder Kompensationen zu beteiligen hat. Unsere Botschaft ist darum klar: Russland darf nicht straffrei aus dem von ihm selbst herbeigeführten Krieg hervorgehen. Zur Frage, in welchem Format diese juristische Aufarbeitung stattfinden soll, gibt es unterschiedliche Meinungen. Nach deutscher Auffassung wäre der internationale Strafgerichtshof in Den Haag als bereits bestehendes Instrument mit seiner umfassenden Erfahrung in der juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen dafür ein geeigneter Ort. 

Der Ausschuss für Verteidigung und Sicherheit hat eine Resolution über Abschreckung und Verteidigungsinitiativen angenommen. Was sind darin die wichtigsten Punkte?

Mit der angenommenen Resolution im Ausschuss für Verteidigung und Sicherheit senden wir mehrere Botschaften. Zum einen setzen wir damit ein klares Zeichen, die im Sommer auf dem Nato-Gipfel in Madrid getroffenen Beschlüsse zur Anpassung der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit rasch umzusetzen und weiter voranzubringen. Damit richten wir das Bündnis gezielt auf die zunehmend komplexer werdende internationale Sicherheitslage aus. Zweitens haben wir angesichts des zunehmenden globalen Systemwettbewerbs mit autoritären Regimen unterstrichen, dass die Stärke und Attraktivität der Nato in ihrem Bekenntnis zu demokratischen Werten und Institutionen beruht. Im neuen Strategischen Konzept wird dies nochmals deutlich betont. Die dritte Botschaft ist das fortgesetzte Bekenntnis, der Ukraine auch weiterhin bei ihrer Selbstverteidigung gegen den russischen Angriffskrieg beiseite zustehen. Die Resolution macht nochmals deutlich, dass Russlands Angriff eine unmittelbare und direkte Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität des euroatlantischen Raums darstellt, gegen die wir uns mittels fortgesetzter glaubhafter Abschreckung zur Wehr setzen müssen.

Die deutsche hat sich am Rand der Tagung mit der französischen Delegation getroffen. Was haben Sie da besprochen? Gibt es neue Impulse für gemeinsame Rüstungsvorhaben beider Länder?

Frankreich ist einer der engsten und wichtigsten Partner Deutschlands. Im kommenden Jahr feiern wir gemeinsam das 60. Jubiläum des Elysée-Vertrags. Das ist schon etwas Besonderes! Es war uns daher wichtig zu besprechen, wie wir diese Bande der Freundschaft und engen Kooperation weiterentwickeln wollen. Gerade jetzt, wo sich Europa neuen Herausforderungen für die eigene Sicherheit stellen muss. Sicherheit in Europa bedeutet auch, dass wir die Zusammenarbeit in den Bereichen Rüstung und Beschaffung weiter ausbauen wollen. Darum haben wir unter anderem die Fortsetzung des Projektes Future Combat Air System (FCAS) besprochen, aber auch Fragen zur Zukunft einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportkontrolle.

Was bedeutet die Nato-Nordosterweiterung um Finnland und Schweden für das Bündnis?

Diese Frage war unser zentraler Punkt: In dieser Phase des Beitrittsverfahrens wollte die deutsche Delegation ein politisches Signal setzen. Das ist gelungen. Denn das Beitrittsgesuch Finnlands und Schwedens zeigt zweierlei. Einerseits, wie sehr das aggressive und völkerrechtswidrige Verhalten Russlands als eine Bedrohung wahrgenommen wird, so dass selbst Staaten wie  Schweden und Finnland ihre jahrzehntelange beziehungsweise sogar jahrhundertelange Neutralität aufgeben wollen. Zum anderen unterstreicht das Gesuch die ungeheure Attraktivität und Anziehungskraft der Nato. Sie gilt zu Recht als der Sicherheitsgarant im transatlantischen Raum. Unser Entschließungsentwurf, den wir im Politischen Ausschuss verabschiedet haben, unterstreicht jetzt, dass der Beitritt beider Länder ein maßgeblicher Zugewinn an Sicherheit und Stärke für die Staaten und für das Bündnis selbst darstellt. Mit Finnland und Schweden treten zwei gut ausgebildete, gut ausgerüstete und äußerst schlagkräftige Streitkräfte bei. Und zugleich bedeutet der Beitritt eine Stärkung der Nordost- und der arktischen Flanke der Nato. All das ist ein maßgeblicher Gewinn für das Bündnis. Zugleich wächst mit dem Beitritt Finnlands aber auch die Nato-Militärgrenze zu Russland um mehrere hundert Kilometer, die wir künftig absichern müssen. Angesichts der Herausforderungen, die Russlands Angriffskrieg für die europäische und transatlantische Sicherheit darstellt, wäre es folglich ein wichtiges Signal, wenn der nächste Nato-Gipfel im Jahr 2023 schon mit insgesamt 32 Mitgliedsstaaten stattfindet, das heißt mit Finnland und Schweden als Vollmitgliedern.

Wann kann die Nato ihre beiden neuen Mitglieder endlich begrüßen? Wo hakt es noch?

Der Ratifizierungsprozess ist bislang noch nicht durch alle Mitgliedsstaaten abgeschlossen. Die Türkei und Ungarn stehen bis dato noch aus. Darum haben wir in Gesprächen in Madrid erfolgreich dafür geworben, dass der Ratifizierungsprozess ohne weitere Verzögerungen in allen Mitgliedsstaaten zeitnah abgeschlossen wird. Das Signal sollte in Budapest und Ankara gehört werden.

Der Ausschuss für Demokratie und Sicherheit hat eine Resolution zur Stärkung der Cyber Resilienz der Gesellschaften der Mitgliedstaaten angenommen. Was sind dabei die wichtigsten Punkte und was für einen Verteidigungsbeitrag leistet auf diesem Gebiet die Nato?

Putins Angriff auf die europäische Sicherheitsarchitektur geschieht nicht nur auf den Schlachtfeldern in der Ukraine, sondern zunehmend auch, vermeintlich unsichtbar, im Cyberspace. Cyberangriffe auf militärische und zivile Ziele als Teil einer hybriden Kriegsführung gehören inzwischen zur sicherheitspolitischen Realität, auf die wir uns entsprechend einstellen müssen. Der Bereich Cyber ist heute für die Nato genauso ein Operationsfeld, wie Land, Wasser, Luft oder Weltraum. Die Resolution hat genau das nochmals sehr deutlich hervorgehoben und unterstreicht, dass der Beistand nach Artikel 5 auch im Falle eines umfangreichen Cyberangriffs auf ein Nato-Mitglied ausgerufen werden kann. Die Prinzipien der Verteidigung und der Abschreckung, die das Rückgrat unserer transatlantischen Sicherheit darstellen, gelten damit auch für den digitalen Raum.

(ll/24.11.2022)

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