Zeit:
Mittwoch, 9. November 2022,
14
bis 15.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Gesundheitsexperten fordern grundlegende Änderungen am Entwurf für das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem Gesetzentwurf (20/3876) kritisierten Fachverbände unter anderem die geplanten Vorgaben für die Einführung eines Personalbemessungsinstruments. Die Fachleute äußerten sich am Mittwoch, 9. November 2022, in der Anhörung sowie in schriftlichen Stellungnahmen. Auf der Tagesordnung des Ausschusses stand zudem ein Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Versorgungssicherheit von Intensivpatienten verbessern, Intensivpflege in Deutschland stärken und zukunftssicher machen“ (20/2586).
Die Novelle sieht ein neues Instrument zur Personalbemessung vor. Als Grundlage dient die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem Deutschen Pflegerat (DPR) und der Gewerkschaft Verdi entwickelte Pflegepersonalregelung PPR 2.0, die in drei Stufen eingeführt werden soll, um auf den Stationen eine Idealbesetzung zu erreichen. Ab 1. Januar 2023 ist eine Erprobungsphase geplant, um die PPR 2.0 in der Praxis zu testen. Vorgesehen ist der Test auf Normalstationen und in der Pädiatrie. Auf dieser Basis sollen den Krankenhäusern in einer Rechtsverordnung Vorgaben für die Personalbemessung gemacht werden. Ab 2025 soll die Personalbemessung dann verbindlich sein und sanktioniert werden können. Für die Qualität der Patientenversorgung und die Arbeitssituation der Pflegekräfte in den Krankenhäusern sei eine angemessene Personalausstattung essenziell, heißt es in der Vorlage.
„Eine Vielzahl von Unklarheiten“
Der Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Michael Simon kritisierte, der Entwurf enthalte eine Vielzahl von Unklarheiten, Formulierungsmängeln und sachlogischen Inkonsistenzen und sollte grundlegend neu gefasst werden. Der Gesetzentwurf sehe an keiner Stelle vor, dass Gegenstand der Rechtsverordnung die Einführung der PPR 2.0 zu sein habe. Es werde somit offengelassen, welches Konzept erprobt werden solle.
Auch erstaune die geplante Erprobung des Konzepts PPR 2.0, die schon 2020 mit gutem Ergebnis stattgefunden habe. Es seien insofern Zweifel angebracht, ob das Bundesgesundheitsministerium die PPR 2.0 überhaupt einführen wolle. Simon warnte außerdem, die Krankenhäuser hätten nach der jetzigen Planung womöglich zu wenig Zeit, um die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung der neuen Rechtsvorschriften zu treffen.
„Täuschungsmanöver gegenüber den Pflegekräften“
Ähnlich skeptisch äußerte sich der Deutsche Pflegerat, der vor einem Täuschungsmanöver gegenüber den Pflegekräften warnte. Es sei irritierend, dass die flächendeckende Einführung der PPR 2.0 im aktuellen Entwurf infrage gestellt werde. Wenn es der Wille der Bundesregierung sei, die PPR 2.0 einzuführen, müsse dies auch so formuliert werden. Es gehe darum, bundesweit eine Pflegepersonalbemessung in sämtlichen Bereichen eines Krankenhauses zu etablieren, die eine echte Transparenz über die Bedarfslage herstelle und die Erfüllung dieser Bedarfslage zum Ziel habe. Der DPR sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf und forderte Klarstellungen im Gesetzentwurf.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) äußerte sich ablehnend zur Personalbemessung in Anlehnung an die PPR 2.0. Der im Gesetzentwurf verfolgte PPR 2.0-Ansatz könne die Ziele einer vollständigen, einheitlichen und digitalen Pflegepersonalbemessung auf Grundlage von Diagnosen und Leistungen nicht erfüllen. Für eine gute Krankenpflege müsse es in jedem Krankenhaus und auf jeder Station genügend Pflegefachkräfte, Pflegehilfskräfte und Akademiker geben, um eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Pflege am Krankenbett zu gewährleisten, erklärte der GKV-Spitzenverband. Dies werde jedoch anhand der PPR 2.0 nicht abgebildet, da hier lediglich „Köpfe gezählt“ und diese nicht nach Qualifikation differenziert würden.
Schnellere Einführung der Personalbemessung
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) stellte zusammen mit anderen auf Kinder spezialisierten Gesundheitsverbänden die Ernsthaftigkeit des Gesetzes in Bezug auf die Einführung der PPR 2.0 und Kinder-PPR 2.0 in Frage. Das geplante Vetorecht des Bundesfinanzministeriums sowie die Ausnahmeregelung für Kliniken mit Individualvereinbarungen vermittelten den Eindruck, als ginge es den beteiligten Ministerien nicht um den Pflegepersonalaufbau in den Krankenhäusern. Die Einführung der Kinder-PPR 2.0 mache auch nur Sinn, wenn sie bundeseinheitlich angewendet werde, es also keine Befreiungsmöglichkeit per Gesetz gebe, und sie einschließlich der Kinder-Intensivmedizin umgesetzt werde, erklärte der Verband.
Andere Sachverständige äußerten sich in der Anhörung ähnlich skeptisch bezüglich dieser beiden Regelungen. Ein DKG-Sprecher nannte das geplante Einvernehmen mit dem Finanzministerium überraschend und äußerte die Sorge, der Personalbedarf könnte am Ende nicht vollständig refinanziert werden. Wenn ein objektiver Maßstab wieder infrage gestellt würde, wäre das hochproblematisch und widersprüchlich. Mehrere Sachverständige forderten in der Anhörung überdies eine schnellere Einführung der Personalbemessung und verwiesen auf die hohe Arbeitsbelastung der Pflegekräfte. Bernhard Krautz von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern warnte, die Kollegen könnten nicht noch drei Jahre warten bis zur Einführung der Neuregelung. Die PPR 2.0 müsse schnellstmöglich als Interimslösung eingeführt werden. Krautz wandte sich zudem gegen Sanktionen für Krankenhäuser, wenn die ermittelten Pflegestellen nicht besetzt werden. Es sei unsachgemäß, Krankenhäuser zu bestrafen, wenn Stellen durch einen Fachkräftemangel nicht besetzt werden könnten. Er brachte stattdessen eine Belohnung ins Spiel, wenn die Stellenbesetzung gelinge.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert eine Stärkung der Intensivpflege und damit mehr Versorgungssicherheit für die Patienten. Die Arbeitsbedingungen für Intensivpflegekräfte müssen schnell verbessert werden, um einen Exodus vieler Intensivstationen zu verhindern und die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten, heißt es im Antrag der Fraktion.
Darin schlagen die Abgeordneten unter anderem vor, die Handlungsautonomie der Intensivpflegekräfte weiterzuentwickeln, die Förderung neuer Intensivbetten verpflichtend an die Ausbildung einer Intensivfachpflegekraft zu koppeln und eine verbindliche Dienstplangestaltung mit Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten umzusetzen. (pk/09.11.2022)