Scharfe Kontroverse über die Migrationspolitik
Im Bundestag ist es am Donnerstag, 13. Oktober 2022, zu einer scharfen Kontroverse über die Migrationspolitik der Bundesregierung gekommen. Während die CDU/CSU-Fraktion einen „migrationspolitischen Sonderweg“ der Bundesregierung beklagte, verteidigten Vertreter der Koalition die Vorhaben der „Ampel“ in diesem Bereich. Der Debatte lag ein Antrag der Unions-Fraktion (20/3933) zugrunde, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, „alle Migrationspläne im Koalitionsvertrag aufzugeben, die Anreize zu verstärkter illegaler Einreise auslösen Können“. Es sei absehbar, dass die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen „in der Summe zu einer dauerhaften Zunahme von illegaler Migration in den nächsten Jahren führen werden“, heißt es der Vorlage, die zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen wurde. Die Federführung übernimmt der Ausschuss für Inneres und Heimat.
CDU/CSU: Irreguläre Asylmigration steigt stetig an
Andrea Lindholz (CDU/CSU) sagte, die irreguläre Asylmigration steige seit Wochen stetig an. Die Länder und Kommunen warnten seit Monaten vor Überlastung, doch die Bundesregierung zögere und zaudere. Es reiche nicht aus, wenn der Bund zusätzlich 4.000 Wohnplätze bereitstellen wolle.
Auch reichten Ankündigungen allein nicht aus, wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die irreguläre Migration begrenzen wolle. Faeser verlängere zu Recht die Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich, doch mache es keinen Sinn, dass sie solche Kontrollen an der deutsch-tschechischen Grenze ausschließe, über die aktuell die meisten illegalen Einreisen erfolgten, kritisierte Lindholz, die zugleich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufforderte, „das Thema Migration endlich zur Chefsache zu machen“.
SPD: Das Recht auf Asyl gilt
Hakan Demir (SPD) entgegnete, Deutschland habe mit dem Grundgesetz, dem Asylrecht und internationalen Verträgen das Versprechen gegeben habe, „dass das Recht auf Asyl gilt“. Dieses Versprechen sei auch dann einzuhalten, wenn sich die Umstände geändert haben.
Zugleich kritisierte er mit Verweis auf die Aufnahme afghanischer Ortskräfte, dass sich die Union in ihrem Antrag gegen die Fortführung von Aufnahmeprogrammen ausspreche. Auch wende sich die Union gegen Vorhaben der Koalition, die „angeblich Anreize zu verstärkter illegalen Einreise auslösen können“. Hätte die Union mit diesen „Pull-Faktoren“ recht, wären nicht vier Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei geblieben und auch mehr ukrainische Flüchtlinge direkt nach Deutschland gekommen.
AfD kritisiert Union für zurückliegende Regierungszeit
Dr. Bernd Baumann (AfD) warf der Union vor, in ihrer zurückliegenden Regierungszeit effektive Grenzkontrollen verabscheut zu haben, die sie jetzt in ihrem Antrag fordere. Auch verlange die CDU/CSU in der Vorlage, eine angekündigte Rückführungsoffensive in die Tat umzusetzen, nachdem sie zuvor „16 Jahre an der Macht“ nennenswerte Abschiebungen verhindert habe.
Wie man Migrationspolitik in Europa besser machen könne, zeigten Länder wie Dänemark, wo Asylverfahren künftig vom Ausland aus betrieben werden müssten. Dazu schließe der dänische Staat Abkommen mit Nachbarstaaten der Herkunftsländer, und bei „echten Asylgründen“ würden die Betroffenen „geschützt und versorgt im heimatlichen Kulturkreis“.
Grüne: Flüchtlinge nicht gegeneinander ausspielen
Julian Pahlke (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, die Union stelle den „unveräußerlichen Schutz von Menschen auf der Flucht“ zur Debatte und spiele Flüchtlinge gegeneinander aus. Sie unterteile sie „in gute und schlechte Geflüchtete“, doch kenne das Recht auf einen Asylantrag „kein Gut und kein Schlecht“, sondern nur das Individuum.
Auch suggeriere die Union „mit der Konstruktion einer illegalen Einreise“, dass es legale Flucht- und Migrationswege gebe. Diese gebe es aber quasi nicht. Auch versuche die Union mit dem „Gerede vom Pull-Faktor“ lediglich, die Flucht eines Menschen als illegitim darzustellen. „Den Pull-Faktor gibt es nicht“, betonte Pahlke. Kein Mensch verlasse seine Heimat „wegen ein bisschen Sozialhilfe“.
Linke lehnt „Zwei-Klassen-Flüchtlingspolitik“ ab
Gökay Akbulut (Die Linke) hielt der CDU/CSU-Fraktion vor, wieder „am rechten Rand“ fischen zu wollen. Die Behauptung, das deutsche Sozialsystem sei ein Pull-Faktor, sei nachweislich falsch und „geradezu grotesk angesichts der zahlreichen schrecklichen Kriege, die Menschen zur Flucht zwingen“.
Auch spreche die Union in ihrem Antrag einerseits von ukrainischen Geflüchteten, denen ihre volle Solidarität gelte, und auf der anderen Seite von Personen, die einen Asylantrag stellen. Diese „Zwei-Klassen-Flüchtlingspolitik“ lehne ihre Fraktion ab, betonte Akbulut. Zugleich forderte sie die Bundesregierung auf, die Kommunen in viel größerem Umfang bei der Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge zu unterstützen als derzeit.
FDP: Wege zu regulärer und legaler Migration öffnen
Stephan Thomae (FDP) sagte, die Koalition verfolge keinen Sonderweg, sondern sinnvolle und nützliche Vorhaben. So wolle sie insbesondere statt irregulärer Migration Wege zu regulärer und legaler Migration eröffnen. Schließlich brauche Deutschland auch auf dem Arbeitsmarkt Menschen, die zum Gelingen der Gesellschaft beitragen.
Dazu schaffe die Koalition „die Chancen-Karte“ und verbessere die „Blue Card, damit nicht nur Menschen mit hoher Qualifikation, mit akademischer Ausbildung nach Deutschland kommen können, sondern auch ganz einfache Arbeitskräfte“. Dann sei auch zu fragen, wer noch viel Geld an Schlepper zahlen und sein Leben riskieren werde, „wenn es einen ganz einfachen, legalen Weg gibt, in Deutschland zu arbeiten“.
Antrag der Union
In ihrem Antrag schreibt die Fraktion, dass Deutschland in diesem Jahr neben den Fluchtbewegungen aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder einen deutlichen Anstieg der Asylmigration erlebe. Jenseits der rund eine Million ukrainischen Kriegsflüchtlingen seien bis Ende August dieses Jahres mehr als 115.000 Personen über die deutschen Grenzen gekommen, um einen Asylantrag zu stellen. Dies sei ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum.
In besonderem Maße werde derzeit wieder die Balkanroute genutzt, „um – ausgehend von der Türkei und Serbien – illegal nach Deutschland zu gelangen“, heißt es in der Vorlage weiter. Dabei spiele offenbar auch die Entscheidung des EU-Beitrittskandidaten Serbien eine Rolle, Staatsangehörigen aus deutlich mehr Staaten die visafreie Einreise zu ermöglichen, als die EU es vorsehe. In vielen Fällen reisten die Migranten dann weiter über die Slowakei und Tschechien nach Sachsen und Bayern ein.
CDU/CSU kritisiert „migrationspolitischen Sonderweg“
Weiter führt die Fraktion aus, dass die Kapazitäten von Ländern und Kommunen insbesondere auch durch die Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen vielfach erschöpft seien. Damit die Aufnahmekapazitäten den tatsächlich Schutzbedürftigen zugutekommen und um die Akzeptanz der Bevölkerung für das Asylsystem zu bewahren, seien „Maßnahmen zur Reduzierung der illegalen Migration und zur Verbesserung bei der Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer dringend geboten“. Mittlerweile sähen „nahezu alle EU-Mitgliedstaaten diese Notwendigkeit“ und richteten ihre Asylpolitik nach ihr aus.
Dagegen gehe die Bundesregierung „einen migrationspolitischen Sonderweg in Europa“, kritisieren die Abgeordneten. Mit mehreren Migrationspaketen wolle die Koalition insbesondere Ausreisepflichtigen den Verbleib in Deutschland erleichtern und verstärke dadurch bestehende Anreize.
Ressortübergreifender Flüchtlingsgipfel
Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, „alle Migrationspläne im Koalitionsvertrag aufzugeben, die Anreize zu verstärkter illegaler Einreise auslösen können“. Auch soll sie nach dem Willen der Fraktion Ländern und Kommunen mit einem ressortübergreifenden Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt „rasche und vor allem umfassende Hilfe im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“ zukommen lassen. Zudem soll die Bundesregierung laut Vorlage Grenzkontrollen an der deutsch-tschechischen Grenze vorbereiten.
Des Weiteren dringt die Fraktion darauf, außenpolitisch Druck auf Staaten auszuüben, „die durch ihre Politik illegale Migration nach Europa und insbesondere Deutschland befördern, mit dem Ziel, diese Praxis zu unterbinden“. Dabei spiele Serbien als EU-Beitrittskandidat eine besondere Rolle. Ferner soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge unter anderem die „angekündigte Rückführungsoffensive“ in die Tat umsetzen sowie auf die Länder einwirken, der 2019 vom Bundestag beschlossenen Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien sowie Georgien als sichere Herkunftsländer zuzustimmen. (sto/eis/13.10.2022)