Kontroverse Debatte um Inflationsausgleich
Ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der die Bürger von den Folgen der derzeit hohen Geldentwertung entlasten soll, ist bei der Opposition auf teils heftige Kritik gestoßen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen je nach Fraktion. Der von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegte Gesetzentwurf zum Ausgleich der Inflation durch einen „fairen“ Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Inflationsausgleichsgesetz – InflAusG, 20/3496) wurde am Donnerstag, 22. September 2022, erstmals im Plenum debattiert. Mitberaten wurde ein Gesetzentwurf der Koalition zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz (20/3530). Beide Vorlagen wurden zur weiteren federführenden Beratung an den Finanzausschuss überwiesen.
Vorgesehen ist unter anderem eine Erhöhung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer sowie als Maßnahme gegen die sogenannte kalte Progression eine Erhöhung der Tarifeckwerte, ab denen jeweils ein höherer Steuersatz fällig wird. Nicht verändert werden soll der Eckwert der sogenannten Reichensteuer. Steigen soll auch das Kindergeld, der Kinderfreibetrag und der Unterhaltshöchstbetrag. Die Umsatzsteuer auf Gas soll befristet bis 31. März 2024 von derzeit 19 Prozent auf sieben Prozent gesenkt werden.
Lindner: Stabilität des Landes bedroht
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nannte bei der Einbringung des Gesetzentwurfs die „galoppierenden Preise“ eine „Bedrohung für Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilität unseres Landes“. Daher sei es „die erste Priorität der Bundesregierung, diese Inflation zu bekämpfen“. Niemand werde dabei alleingelassen.
Lindner verwies auf bereits beschlossene Maßnahmen für Sozialleistungsempfänger, die anstehende Wohngeldreform sowie Entlastungen für Betriebe, an denen die Regierung „unter Hochdruck“ arbeite. Beim jetzt vorgelegten Inflationsausgleichsgesetz gehe es um die „Menschen in der Mitte der Gesellschaft“, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, aber ebenfalls unter der Inflation leiden und nicht zusätzlich durch steigende Steuersätze belastet werden sollen.
Das Inflationsausgleichsgesetz sorge auch dafür, dass die Kaufkraft in der Mitte erhalten bleibt und eigentlich stabile Branchen wie Dienstleistungen und der Handel nicht zusätzlich destabilisiert werden, betonte Lindner. Er appellierte an die Länder, die Änderungen an Steuergesetzen im Bundesrat zustimmen müssen, dies auch zu tun. Denn es könne nicht sein, dass der Staat, seien es Bund oder Länder, von der Inflation profitiert.
CDU/CSU übt Kritik trotz Zustimmung
Die Redner von CDU und CSU kündigten ihre Zustimmung zu dem Gesetz an. Die Anpassung der Tarifstufen sei „eine Selbstverständlichkeit“, wie Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) feststellte, und „überfällig“, wie Johannes Steiniger ergänzte, da sie seine Fraktion seit langem fordere. Steiniger gratulierte Lindner und der FDP, dass sie dieses Gesetz durchgesetzt hätten, obwohl es nicht im Koalitionsvertrag sehe und SPD sowie Grüne „eigentlich“ die kalte Progression wollten. Middelberg kritisierte, dass die Tarifanpassung erst im nächsten Jahr gelten soll und damit inflationsbedingte Mehreinnahmen in diesem Jahr beim Staat verblieben.
An der geplanten Umsatzsteuersenkung auf Erdgas kritisierte Alois Rainer (CDU/CSU), dass kleine und mittlere Unternehmen „wieder vollständig vergessen“ worden seien. Da die Umsatzsteuer für sie ein durchlaufender Posten sei, profitierten sie nicht von der Senkung, würden aber von der geplanten Gasumlage voll belastet.
SPD verweist auf Vielzahl von Maßnahmen
Frauke Heiligenstadt (SPD) verwies darauf, dass die jetzt eingebrachten Maßnahmen zusammen mit den schon beschlossenen und den geplanten wie Wohngeldreform und Bürgergeld „die umfangreichsten Entlastungen seit Bestehen der Bundesrepublik“ seien. Ihr Fraktionskollege Michael Schrodi kündigte zudem an: „Wir werden die Energiepreise senken.“
Angesichts der Kritik der Union verwies Schrodi außerdem darauf, dass der Kinderfreibetrag rückwirkend für das laufende Jahr erhöht werden solle und der Grundfreibetrag für 2022 bereits rückwirkend erhöht worden sei. Am meisten von der Inflation getroffen seien allerdings Menschen mit geringen Einkommen, und die würden am besten mit direkten Zuschüssen erreicht.
AfD: Staat ist größter Profiteur
Schon den Titel des Gesetzentwurf nannte Kay Gottschalk (AfD) eine „glatte Lüge“: „Er wird nicht im Entferntesten die Inflation ausgleichen.“ Schon seit Januar 2022 galoppiere die Inflation, ein Ausgleich sei aber erst für 2023 vorgesehen. Auch die Erhöhung des Grundfreibetrags 2022 gleiche „bei weitem nicht“ die Inflation aus. Die AfD fordere seit Jahren den „Tarif auf Rädern“, sagte Gottschalk, also die automatische Anpassung an die Inflation.
Klaus Stöber (AfD) warf der Koalition vor, nicht die Ursachen, sondern die Symptome der Krise zu bekämpfen. Ursachen seien „Ihre desolate Energiepolitik“ sowie „die vollkommen gescheiterte Sanktionspolitik gegen Russland“. Stöber verband dies mit der Versicherung, dass für ihn Putin kein Demokrat und der russische Überfall auf die Ukraine völkerrechtswidrig sei.
Grüne: Jetzt viel Geld in die Hand nehmen
Mit dem Hinweis, dass der Ausgleich der kalten Progression vor allem Reiche entlaste und deshalb ein falsches Instrument sei, überraschte Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen). Die Maßnahme sei aber Teil eines Pakets, und dieses sei ein gutes, „das wir jetzt gemeinsam tragen können“.
Audresch verwies aber vor allem auf noch ausstehende Maßnahmen zur Stärkung von Unternehmen sowie sozialer Infrastruktur wie Krankenhäusern, die angesichts der Energiepreise drohten, Schaden zu leiden. Für all das müsse man jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Wobei seine Fraktionskollegin Katharina Beck ergänzte: „Diese Krise ist so groß, wir können nicht alles abfedern.“
Linke: Das ist völlig irre und bizarr
In normalen Zeiten sei eine Anpassung der Steuersätze an die Inflation „Pflichtprogramm“, stellte Christian Görke (Die Linke) fest, „aber das sind keine normalen Zeiten“. Der vorgelegte Gesetzentwurf „passt nicht in unsere Zeit“, in der der Staat Geld brauche, um die Folgen der Krise zu bewältigen.
An der geplanten Steuersenkung auf Gas kritisierte Görke, dass diese die Belastung durch die Gasumlage nicht ausgleiche. Vor allem laufe die Mehrwertsteuersenkung an den Firmen vorbei. Damit lande die Gasumlage über die Preis bei den Verbrauchern und löse „neue Preisschocks“ aus. Was die Regierung hier mache, sei „völlig irre und bizarr“.
FDP: Gleichen zusätzliche Belastungen aus
Für die FDP-Fraktion verwies Markus Herbrand darauf, dass die Ampelkoalition schon 32 Milliarden Euro Entlastung in zwei Paketen geliefert habe. Diese seien vor allem sozial Schwachen zugute gekommen. „Jetzt gleichen wir zusätzliche Belastungen aus“, und zwar für die Mitte der Gesellschaft.
Herbrand hob hervor, dass erstmals bei einer Inflationsanpassung der Steuertarife auf einen „Ausgleich bei der sogenannten Reichensteuer“ verzichtet werde. Er bezeichnete dies als „Gerechtigkeitskomponente“. (pst/22.09.2022)
Gesetzentwurf zum Ausgleich der Inflation
Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen durch verschiedene steuerliche Maßnahmen wie die Anhebung des Grundfreibetrages und des Kinderfreibetrages sowie durch ein höheres Kindergeld die Belastungen durch die Inflation reduzieren. Ihr Gesetzentwurf sieht die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages von derzeit 10.347 Euro auf 10.632 Euro im kommenden Jahr vor. 2024 soll der Grundfreibetrag weiter auf 10.932 Euro steigen. Mit der Anhebung des in den Einkommensteuertarif integrierten Grundfreibetrags werde die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Steuerpflichtige ab 2023 gewährleistet, heißt es in dem Entwurf.
Die Anhebung und die Verschiebung der übrigen Tarifeckwerte nach rechts führt nach Angaben der Fraktionen zu einem Ausgleich der Effekte der kalten Progression im Verlauf des Einkommensteuertarifs. Nicht verschoben wird der Eckwert der sogenannten Reichensteuer. Durch die Maßnahmen werde sichergestellt, dass trotz steigender Inflation Lohnsteigerungen und Entlastungen auch tatsächlich bei den Bürgern ankommen würden. Besonders für kleinere und mittlere Einkommen sollten Lohnsteigerungen nicht durch eine progressionsbedingt höhere Einkommensbesteuerung gemindert werden.
Mehr Kindergeld und höherer Kinderfreibetrag
Die steuerlichen Mindereinnahmen durch die in dem Gesetz enthaltenen Maßnahmen werden im nächsten Jahr auf 12,21 Milliarden Euro veranschlagt und im Jahr 2024 auf 17,95 Milliarden Euro. Davon entfallen auf den Bund im nächsten Jahr rund 5,3 Milliarden Euro und im Jahr 2024 rund 7,8 Milliarden Euro. Ebenfalls im nächsten Jahr erhöht werden soll das Kindergeld für das erste, zweite und dritte Kind auf einheitlich 237 Euro pro Monat. Diese Erhöhung in einem Schritt soll für die Jahre 2023 und 2024 gelten. Somit steigt das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 18 Euro und für das dritte Kind um zwölf Euro monatlich.
Rückwirkend zum 1. Januar 2022 erfolgt eine Erhöhung des Kinderfreibetrages derzeit 8.388 Euro um 160 Euro auf dann 8.548 Euro. Auch der Unterhaltshöchstbetrag für das Jahr 2022 wird nachträglich von 9.984 Euro auf 10.347 Euro angehoben. Im Jahr 2023 sollte der Kinderfreibetrag (inklusive Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) um 140 Euro auf 8.688 Euro angehoben werden. Im Jahr 2024 ist eine weitere Erhöhung um 228 Euro auf insgesamt 8.916 Euro vorgesehen.
Gesetzentwurf zur Umsatzsteuersenkung
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Umsatzsteuer auf die Lieferung von Gas zeitlich befristet von derzeit 19 Prozent auf sieben Prozent abgesenkt wird. Die Senkung der Umsatzsteuer ist im Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 31. März 2024 vorgesehen. Wie die Fraktionen schreiben, entspricht der Zeitraum der Absenkung der Umsatzsteuer vom 1. Oktober 2022 bis zum 31. März 2024 dem Zeitraum, in dem auch die Gasbeschaffungsumlage erhoben wird.
Damit den Kunden keine zusätzlichen Belastungen aus der obligatorischen Erhebung der Umsatzsteuer auf die Gasbeschaffungsumlage entstehen, soll jetzt die Umsatzsteuer auf den Gasbezug insgesamt gesenkt werden. Denn die steigenden Energiepreise seien bereits jetzt eine große Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger. Die Bestrebungen, Deutschland schnellstmöglich unabhängig von russischem Erdgas zu machen, könnten diese Entwicklung verstärken. Auch die Umlage zur Finanzierung der Ersatzbeschaffungskosten der von ausbleibenden russischen Lieferungen betroffenen Gasimporteure werde weitere Preisanstiege nach sich ziehen.
Von den Unternehmen erwarten die Koalitionsfraktionen, dass sie die Senkung der Umsatzsteuer in vollem Umfang an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Mindereinnahmen durch die Umsatzsteuersenkung werden bis zum Jahre 2024 auf insgesamt 11,265 Milliarden Euro veranschlagt. (hle/hau/eis/22.09.2022)