Kritik an schwammigen Zielen der Digitalstrategie
Im Mittelpunkt einer Bundestagsdebatte stand am Donnerstag, 22. September 2022, das Thema Digitalisierung. Den Abgeordneten lagen dazu sowohl die Digitalstrategie (20/3329) als auch die Gigabitstrategie der Bundesregierung (20/2775) vor. Beraten wurde außerdem ein Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Stillstand und unklare Zuständigkeiten in der Digitalpolitik beenden, für eine ambitionierte und koordinierte Digitalstrategie“ (20/3493). Alle drei Vorlagen wurden im Anschluss an die knapp 70-minütige Debatte zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Digitales überwiesen.
Minister kündigt „digitalen Aufbruch“ an
Der Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing (FDP) hat die Ziele der Ampelkoalition für eine Beschleunigung der Digitalisierung und den schnelleren Ausbau von Netzen bekräftigt. Am Ende der Legislaturperiode in 2025 wolle man sich an den in der Digital- und Gigabitstrategie formulierten Zielen messen lassen. Er sei überzeugt, dass die Strategien einen „umfassenden digitalen Aufbruch“ ermöglichten. Dass die Bundesrepublik im Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) auf Platz 13 liege, sei etwas, das Deutschland sich nicht leisten könne, sagte Wissing. Die drei Hebelprojekte in der Digitalstrategie bildeten die Grundlage für die vielen digitalen Anwendungen.
Der erste Hebel liege in den digitalen Identitäten, um datenbasierte Leistungen und Dienste im Netz nutzen zu können, etwa bei Online-Behördengängen, aber auch beim Online-Shopping: „Den Personalausweis beantragen, einen neuen Wohnort mitteilen oder ein neues Unternehmen anmelden“, dies müsse künftig in wenigen Minuten von zu Hause aus erledigt werden können, sagte Wissing. Dazu gehöre auch, dass bis 2025 Personalausweise und Führerscheine digital verfügbar sein sollen. Den zweiten Hebel stellten internationale Standards, die Interoperabilität ermöglichen, kündigte Wissing an. Es sei entscheidend für alle Vorhaben, dass Projekte „technisch offen und rechtlich sicher“ gestaltet würden.
Der dritte Hebel betreffe den Gigabit-Ausbau und eine besser Verfügbarkeit von Daten als „Schlüssel für digitale Innovation“, betonte Wissing. Bis 2026 solle eine flächendeckend gute Versorgung im mobilen Datennetz erreicht sein. Weiter beschleunigt werden müssten die Genehmigungsverfahren mit den Ländern und auch ein digitaler Antrag solle ermöglicht werden, sagte Wissing. Unterstützung bekam er von Maximilian Funke-Kaiser (FDP): „Wir machen jetzt Tempo“, sagte der Liberale. Die Digitalstrategie sei kein reines Sammelsurium an Einzelvorhaben, sondern setze mit den drei Hebelprojekten an den Grundlagen an.
Union fordert mehr Tempo
Teils moderate, teils deutliche Kritik kam von der Opposition. Die CDU/CSU-Abgeordnete Nadine Schön sagte, der Strategie fehle es an Visionen: „Digitalpolitik ist mehr als Gigabit-Ausbau“, sagte Schön. „Die Ziele sind so ambitionslos, dass man sie sofort erreichen kann“, sagte sie mit Blick auf das Ziel, bis 2025 50 Prozent der Haushalte in Deutschland an Glasfaser anzuschließen.
Vieles wolle die Ampel abstrakt verbessern, aber konkrete Aussagen und greifbare Ziele fehlten. „Wie viel mehr Fachkräfte, wie viel mehr Frauen in Digitalberufen sollen es werden?“, fragte Schön. Die Union erwarte, dass in allen Punkten mehr Tempo gewonnen werde und die finanzielle Unterfütterung für die Projekte gesichert werde.
Linke zweifelt an Umsetzung der Ziele
Scharfe Kritik kam von Anke Domscheit-Berg (Linke): Sie habe Zweifel, dass die formulierten Ziele auch umgesetzt würden. Die fehlende Beteiligung der Zivilgesellschaft zeige zudem, welchen Interessen die Strategien dienten: „Auf die Digitalstrategie nahmen 18 Mal Lobbyisten der Wirtschaft Einfluss. Dagegen gab es kein einziges Gespräch mit der digitalen Zivilgesellschaft“, monierte sie.
Sie lud den Minister ein, in die Ost-Prignitz zu kommen, in der „Funklöcher im Wettbewerb miteinander“ stünden und nicht die Diensteanbieter. Mit der Gigabit-Strategie mache sich die Bundesregierung zudem zum „Vertriebsmitarbeiter großer Telekommunikationskonzerne“, sagte sie mit Blick auf die geplanten Digitalmanager, die in den Landkreisen 5G-Vorhaben mit anstoßen sollen.
AfD kritisiert „Kompetenzwirrwarr“ im Digitalrat
Auch Barbara Lenk (AfD) kritisierte die Digitalstrategie: „Die Antwort darauf, was Digitalisierung genau ist, erhält man beim Lesen nicht. Man hat schön klingende Schlagworte, aber dieses Potpourri an Elementen macht noch keine echte Digitalstrategie“, sagte sie.
Positiv sei, dass sich die Koalition am Ende der Legislatur messen lassen wolle. Es gebe allerdings weiter ein Gerangel an Zuständigkeiten und ein echtes Digitalministerium fehle. Bezogen auf den Digitalrat forderte Lenk, das Gremium aufzulösen, um das „Kompetenzwirrwarr“ zu lichten.
SPD plädiert für Digitalbudget
Unterstützung für Wissing kam von Detlef Müller (SPD): Das Parlament habe zwar einige Zeit darauf warten müssen, aber nun läge eine „digitalpolitische Prioritätenliste für diese Legislatur“ vor, die konkrete Wege aufzeige, um Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Es werde damit etwa sichergestellt, dass der neueste Mobilfunkstandard überall, ob Stadt oder Land, bis 2030 verfügbar sein werde.
Müller betonte, mehr Daten müssten für die Entwicklung neuer, effizienter Mobilitätslösungen zur Verfügung stehen. „Wenn wir es mit der Priorisierung der Maßnahmen ernst meinen, braucht es das vereinbarte Digitalbudget“, sagte er und forderte, dies „gemeinsam und schnell“ auf den Weg zu bringen.
Grüne betonen „Vorrang für unterversorgte Gebiete“
Dass dies kommen müsse, damit losgelegt werden könne, betonte auch Maik Außendorf (Bündnis 90/Die Grünen). Mit den beiden Strategien sei man „einen großen Schritt“ vorangekommen – auch mit Blick auf die Themen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität in der Digitalisierung.
Grundlage für die Konzepte seien leistungsfähige Netze: „Was wir brauchen, ist schnelles Internet in jedem Haus und an jeder Milchkanne“, sagte der Digitalpolitiker. Dazu gehörten auch Rufbusse, die per App gerufen werden könnten oder auch automatisierte Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft. Wichtig sei der Vorrang für unterversorgte Gebiete.
Digitalstrategie der Bundesregierung
Leistungsfähige und nachhaltige digitale Infrastrukturen seien eine elementare Grundlage für die Digitalisierung, heißt es in der Unterrichtung zur Digitalstrategie. „Auf Grundlage der gemeinsam mit Ländern, Kommunen und Telekommunikationswirtschaft erarbeiteten Gigabitstrategie sorgen wir für einen schnelleren Ausbau“, schreibt die Bundesregierung. Übergeordnetes Ziel für ein modernes Deutschland sei die flächendeckende energie- und ressourceneffiziente Versorgung mit Glasfaseranschlüssen bis ins Haus und dem neuesten Mobilfunkstandard. Dies solle überall dort geschehen, wo Menschen leben, arbeiten und unterwegs sind – auch in ländlichen Gebieten. Bis 2030 sollen diese Ziele erreicht werden.
Schon 2025 wolle sich die Bundesregierung unter anderem daran messen lassen, ob Genehmigungsverfahren für den Bau von Telekommunikationsinfrastrukturen beschleunigt und digitalisiert wurden, und ob die Nutzung alternativer Verlegetechniken deutlich gestärkt wurde. Bis dahin sollen auch Lücken in der Mobilfunkabdeckung durch die Umsetzung der Mobilfunkförderung geschlossen werden.
Gigabitstrategie der Bundesregierung
Bis zum Jahr 2025 sollen 50 Prozent der Haushalte und Unternehmen in Deutschland über einen Glasfaseranschluss für schnelles Internet verfügen, heißt es in der Gigabitstrategie der Bundesregierung. Im Mobilfunk will die Bundesregierung bis 2026 „unterbrechungsfreie drahtlose Sprach- und Datendienste für alle Endnutzer“ flächendeckend erreichen.
Besonders vorangetrieben werden soll die breitbandige Versorgung und die nutzbare Dienstequalität in ländlichen Räumen. Mindestens entlang von Bundesfernstraßen und im nachgeordneten Straßennetz sowie an allen Schienen- und Wasserwegen solle ein durchgehender, unterbrechungsfreier Zugang gewährleistet werden. Bis Ende 2022 soll ein Meilensteinplan vorliegen, um „weiße Flecken“ zu schließen.
Antrag der Union
Die Unionsfraktion fordert in ihrem Antrag, „das Zuständigkeitschaos in der Digitalpolitik der Bundesregierung“ zu beenden und statt Mehrfach-Federführungen klare Verantwortlichkeiten zu schaffen. Dazu gehöre unter anderem, dass die Regierung bei wichtigen Verhandlungen auf EU-Ebene, wie etwa zur Verordnung für Künstliche Intelligenz. „wieder sprech- und handlungsfähig“ werden müsse, heißt es in dem Antrag.
Weiter fordern die Abgeordneten, ein Digitalministerium zu schaffen, das eine zentrale politische Steuerungsstelle für die Digitalisierung sei. Das Digitalbudget müsse noch mit dem Bundeshaushalt 2023 eingeführt werden und überjährig organisiert sein, heißt es im Antrag weiter. Im Hinblick auf die Infrastruktur müsse die digitale und technologische Souveränität Deutschlands und Europas ausgebaut und Abhängigkeiten strategisch reduziert sowie die Cyberabwehr gestärkt werden. (lbr/hau/irs/22.09.2022)