Bundeskanzler Scholz: Wir müssen uns unterhaken
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung der ganzen Gesellschaft aufgerufen, um die aktuellen Herausforderungen durch Ukraine-Krieg, Preissteigerungen und Energieknappheit zu bewältigen: „Wir müssen uns unterhaken“, sagte Scholz am Mittwoch, 6. Juli 2022, in der Regierungsbefragung des Bundestages. Gemeint ist damit die von ihm ins Leben gerufene „Konzertierte Aktion“ unter Beteiligung der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, des Staates, der Bundesbank und des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Der Bundeskanzler sagte mit Blick auf die erste Sitzung der Konzertierten Aktion am 4. Juli, es sei ein guter Schritt, an diese wichtige Tradition der Sozialpartnerschaft anzuknüpfen; aus ihr heraus werde die Bundesregierung die nächsten Schritte entwickeln. Er erinnerte an die bisherigen Entlastungspakete der Regierung im Umfang von 30 Milliarden Euro, räumte aber ein, dass dies nicht ausreichen werde. Das „Unterhaken“ sei der Weg, den die Konzertierte Aktion jetzt beschreite.
Kampf gegen die Armut
Der Abgeordneten Janine Wissler (Die Linke), die mit 16,6 Prozent der Bevölkerung oder 13,8 Millionen Menschen einen neuen Höchstwert bei der Armut in Deutschland diagnostiziert hatte, entgegnete Scholz erneut mit den von der Regierung bereits auf den Weg gebrachten Entlastungen. Zudem kündigte er zwei weitere Großreformen der Koalition an, die Einführung eines Bürgergeldes, das das bisherige Hartz-IV-System ablösen soll, und die Einführung einer Kinder-Grundsicherung: „Das Thema bewegt uns, wir sind dran“, sagte der Kanzler.
Auf die Nachfrage Wisslers, was er mit „Unterhaken“ genau meine, ergänzte Scholz, es gehe mit der Konzertierten Aktion darum, Bürgerinnen und Bürgern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu helfen, nicht um Tarifverhandlungen. Scholz erinnerte darüber hinaus an die bereits beschlossene Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro pro Stunde ab Oktober.
Auf die Frage der SPD-Abgeordneten Rasha Nasr kündigte der Kanzler an, dass es weitere Treffen der Konzertierten Aktion geben werde, das nächste im September: „Der Korporatismus, die Sozialpartnerschaft gehört zu den starken Traditionen unseres Landes. Sie hat auch dazu beigetragen, dass es bei uns besser zugeht als in vielen anderen Ländern.“
Ausgleich für die „kalte Progression“
Der FDP-Abgeordnete Christoph Meyer erkundigte sich nach einem Ausgleich der sogenannten „kalten Progression“ im Einkommensteuertarif, die dazu führen kann, dass Lohnerhöhungen durch eine höhere Besteuerung wettgemacht werden.
Scholz sagte, die Regierung habe gezeigt, dass sie die Bürgerinnen und Bürger nicht allein lassen wolle. Sie habe sich fest vorgenommen, eine Verständigung mit den Sozialpartnern zu erreichen. Es solle nicht „jeden Morgen“ ein neuer Vorschlag gemacht werden, sondern die Konzertierte Aktion solle Vorschläge erarbeiten. „Es wird ein gemeinsames Handeln der Regierung geben – schnell, zügig, zeitnah“, versprach Scholz.
Befristeter Weiterbetrieb von Atomkraftwerken
Die Energiepolitik der Regierung machte die CSU-Abgeordnete Dr. Anja Weisgerber zum Thema. Sie wollte wissen, warum die Regierung die Biomasse ausbremse und die drei noch aktiven Atomkraftwerke nicht befristet weiterlaufen lassen wolle.
Die Atomkraftwerke liefen dieses Jahr noch weiter, damit im Sommer auf Gas verzichtet werden könne, sagte Scholz. Was an weiterer Energie gebraucht werde, könne dadurch jedoch nicht ersetzt werden. Die Fachleute in den Ministerien seien im Hinblick auf eine befristet längere Laufzeit zu anderen Erkenntnissen gekommen.
Kanzler setzt auf die Sozialpartnerschaft
Der AfD-Abgeordnete Klaus Stöber bezeichnete die Energiepolitik der Bundesregierung als gescheitert. Sie wolle Putin schaden, habe aber dem deutschen Volk geschadet.
Der Kanzler räumte ein, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht genug Rücklagen für die Energierechnungen hätten, betonte aber, der Wegfall der EEG-Umlage und die damit verbundene Reduzierung der Stromrechnung werde vielen nützen. Scholz setzt nach eigenen Worten auf die Vorschläge der Konzertierten Aktion: „Die Sozialpartnerschaft wird uns stark machen.“
Personalnot an Flughäfen
Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) ging auf die Personalnot an Flughäfen und generell auf den Fachkräftemangel ein.
Nach den Worten des Kanzlers sind viele, die aufgrund der Pandemie ihre Arbeitsplätze aufgeben mussten, nicht mehr an ihre alten Arbeitsplätze zurückgekehrt. Deshalb hole man jetzt aus dem Ausland Arbeitskräfte zu Tariflöhnen herein. Eines der großen Modernisierungsvorhaben dieser Regierung sei es, dass Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland einfacher wird, dass der Arbeitsmarkt sich entspannt und mehr Leute Beschäftigung finden.
Gegen queerfeindliche Hasskriminalität
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) dankte Scholz für dessen Botschaft zum Christopher-Street-Day. Zugleich fordert er, es müsse mehr getan werden gegen queerfeindliche Hasskriminalität. Die Innenministerkonferenz der Länder habe die Bundesregierung einstimmig gebeten, ein unabhängiges Expertengremium einzurichten, das Handlungsempfehlungen vorlegen solle.
Scholz erwiderte, die Regierung werde alles tun, um Hasskriminalität zu bekämpfen, sie solle strafrechtlich auch schärfer verfolgt werden.
Sicherheitsgarantien für die Ukraine
Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) fragte nach den Sicherheitsgarantien für die Ukraine, über die beim G-7-Gipfel in Elmau gesprochen worden sei. Das werde unter den führenden westlichen Industriestaaten (G7) besprochen, der Rahmen sei beschrieben, sagte der Kanzler. Hoch wirksame Sanktionen könnten immer eingesetzt werden, wenn Vereinbarungen verletzt würden.
Wadephuls Fraktionskollege Jürgen Hardt wollte wissen, wer auf der Bremse stehe, um die Lieferung von „Marder“-Schützenpanzern und „Fuchs“-Transportpanzern in die Ukraine zu verhindern. Die Rüstungsindustrie wäre zur Lieferung bereit. Scholz sagte, es gebe eine gemeinsame Führungsentscheidung mit den Verbündeten, keine Alleingänge zu unternehmen. (vom/06.07.2022)