Grundgesetzänderung für ein „Sondervermögen Bundeswehr“
Hundert Milliarden Euro will die Koalition neben dem regulären Verteidigungshaushalt bereitstellen, hauptsächlich um Ausrüstung für die Bundeswehr zu beschaffen. Für dieses sogenannte Sondervermögen soll die Schuldenbremse des Grundgesetzes nicht gelten. Allerdings fehlt der Koalition die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat, um das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (20/1409) nebst Grundgesetzänderung (20/1410) am Mittwoch, 27. April 2022, warben die drei Regierungsfraktionen deshalb um die Stimmen der CDU/CSU-Opposition. Diese allerdings verlangte Änderungen. Darüber wird nun im Haushaltsausschuss verhandelt werden, in den das Plenum die beiden Gesetzentwürfe überwiesen hat, aber auch auf der Ebene von Fraktionsführungen und Regierung.
Finanzminister Lindner umwirbt Unionsabgeordnete
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte mit Nachdruck die Notwendigkeit, schnell auf die dramatisch veränderten Sicherheitslage in Europa zu reagieren. „Man muss kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“, sagte er, „und deshalb muss die Bundeswehr ertüchtigt werden“. Er wisse, dass dies viele, wenn nicht alle Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion ebenso sähen. Deshalb könne er sich nicht vorstellen, dass nur ein Teil von ihnen der angestrebten Grundgesetzänderung zustimmen werde.
Lindner spielte damit auf Überlegungen an, die Union könne nur so viele Ja-Stimmen abgeben, wie den Koalitionsfraktionen zu einer eigenen Zwei-Drittel-Mehrheit fehlen, was im Fall von Abweichlern auf ein Scheitern hinausliefe. Linder stellte die anstehende „Richtungsentscheidung“ in einen „historischen Zusammenhang mit dem Nato-Doppelbeschluss“. Diesen hatte unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt (SPD) die damals oppositionelle CDU/CSU-Fraktion mitgetragen, während er in Schmidts eigener SPD-Fraktion umstritten war.
CDU/CSU: Ankündigung des Kanzlers nicht umgesetzt
Tatsächlich unterstützte Alexander Dobrindt (CDU/CSU) ein Sondervermögen von über hundert Milliarden Euro, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner „Zeitenwende“-Regierungserklärung am 27. Februar angekündigt habe. Allerdings, wandte er ein, würden in den vorliegenden Gesetzentwürfen „wesentliche Punkte der Ankündigung des Bundeskanzlers nicht umgesetzt“. Denn dieser habe hundert Milliarden für „Rüstungsvorhaben“ der Bundeswehr angekündigt „und für nichts anderes“. Der vorliegende Formulierungsvorschlag für das Grundgesetz lasse aber auch viele andere Verwendungen zu.
Zudem habe Scholz angekündigt, zusätzlich im regulären Verteidigungshaushalt das Zwei-Prozent-Ziel der Nato überzuerfüllen. Das aber sei in der Haushaltsplanung des Finanzministers „schlichtweg nicht berücksichtigt“. Und schließlich vermisste der Vorsitzende der CSU-Gruppe in der Unionsfraktion einen Tilgungsplan für das schuldenfinanzierte Sondervermögen. Dobrindt gab bekannt, dass weitere Gespräche mit Regierung und Koalition in dieser Sache vereinbart seien, ob es aber zu einer Einigung komme, sei offen.
Verteidigungsministerin Lambrecht begründet Gesetzentwurf
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) begründete die offenere Formulierung im Gesetzentwurf mit den vielfältigen Herausforderungen, nachdem Russlands Präsident Waldimir Putin „die Friedensordnung in Europa zertrümmert“ habe. Die hundert Milliarden würden nicht allein für große Rüstungsprojekte benötigt, sondern beispielsweise auch für persönliche Schutzausrüstung der Soldaten.
Zudem fehle alleine Munition für zwanzig Milliarden Euro. Ausdrücklich lobte Lambrecht die Ernsthaftigkeit, mit der die Unions-Opposition mit der Regierung über Waffenhilfe für die Ukraine gesprochen habe, und mahnte diese Ernsthaftigkeit nun auch für die Entscheidung über das Sondervermögen an.
Außenministerin Baerbock verweist auf die Bündnisfähigkeit
Ergänzend verwies Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) darauf, dass die aus dem Sondervermögen zu finanzierenden Aufgaben nicht nur durch die eigene Verteidigungsfähigkeit, sondern auch durch die Bündnisfähigkeit definiert würden.
„Unsere Bündnispartner haben es uns erst ermöglicht, in den letzten Jahrzehnten hier in Frieden aufzuwachsen“, nun schauten „viele Hauptstädte in Europa und darüber hinaus“ auf Deutschland. Neben Aufgaben im Rahmen der Nato und der Europäischen Union müsse Deutschland zudem auch seiner „Verantwortung in den Vereinten Nationen gerecht werden können“. Auch dazu solle das Sondervermögen dienen.
AfD unterstützt das Ziel, nicht den Weg
Die AfD-Fraktion unterstützt nach den Worten ihres Abgeordneten Peter Boehringer (AfD) ausdrücklich das Ziel, das die Koalition verfolgt. Den Weg über das Sondervermögen allerdings nannte Boehringer haushalts- und verfassungsrechtlich bedenklich. Die Verfassung werde missbraucht, indem ein konkreter Haushaltsbetrag in sie hineingeschrieben werde.
Das Verfahren erinnere ihn an das Septennats-System, mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck vor 130 Jahren den Wehretat für mehrere Jahre festgeschrieben und damit der parlamentarischen Kontrolle entzogen habe. In ähnlicher Weise solle nun die parlamentarische Kontrolle zwar nicht abgeschafft, aber doch eingeschränkt werden. Nach Boehringers Ansicht gehören die hundert Milliarden regulär in den Kernhaushalt eingestellt. Die Mehrheit dafür sei im Bundestag gesichert. Die gewählte Konstruktion diene ausschließlich der Umgehung der Schuldenbremse.
Linke allein gegen höhere Verteidigungsausgaben
Ausdrücklich gegen eine Aufstockung der Mittel für die Bundeswehr stellte sich allein die Fraktion „Die Linke“. „Die Konsequenz, die die Bundesregierung aus diesem schrecklichen Krieg zieht, ist absolut falsch“, erklärte ihre Abgeordnete Amira Mohamed Ali (Die Linke).
Noch nie in der Geschichte der Menschheit habe Wettrüsten Frieden und Sicherheit gebracht. Bereits heute gäben die Nato-Staaten das Siebzehnfache von Russland für Rüstung aus, aber „das hat Putin nicht abgeschreckt“. Wenn die Bundeswehr nicht einsatzfähig sei, so nicht wegen zu wenig Geld, „sondern wegen schlechten Managements“.
„Einigung schwieriger gemacht“
Eine Schärfe kam in die in weiten Teilen sachliche Debatte, als Achim Post (SPD) der Union vorhielt: „Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen: Staatstheater oder Staatsräson?“
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) reagierte darauf mit den Worten: „Da sind wir ja fast schon bei vaterlandslosen Gesellen.“ Die Union lasse sich aber nicht unter Druck setzen. Ihre Gesprächsbereitschaft bestehe fort, „auch wenn die heutige Debatte eine Einigung schwieriger gemacht hat“.
Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit soll gestärkt werden
Mit dem Gesetzentwurf (20/1410) soll der Artikel 87a des Grundgesetzes geändert werden, wofür im Bundestag und im Bundesrat jeweils Zweidrittelmehrheiten erforderlich sind. Der Gesetzentwurf (20/1409) dient der Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (Bundeswehrsondervermögensgesetz). Die Mittel des Sondervermögens sollen laut Entwurf des Bundeswehrsondervermögensgesetzes an den Zweck „Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ gebunden sein und „der Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen, dienen“ (Paragraf 2). Der Entwurf sieht vor, dass ab dem Jahr 2023 der Wirtschaftsplan des Sondervermögens mit dem Haushaltsgesetz festgestellt wird. Der Wirtschaftsplan für 2022 soll dem Gesetz demnach als Anlage beigefügt werden. Verträge für Vorhaben des Sondervermögens, die ein Volumen von 25 Millionen Euro überschreiten, müssen laut Entwurf dem Haushaltsausschuss des Bundestages zur Billigung vorgelegt werden. Die Tilgung der aufgenommenen Kredite soll nach vollständiger Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen innerhalb eines „angemessenen Zeitraums“ erfolgen. „Die Modalitäten der Rückführung werden spätestens im Jahr nach der vollständigen Inanspruchnahme der Kreditermächtigung gesetzlich geregelt“, heißt es in dem Entwurf in Paragraf 8 Absatz 2 weiter.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Errichtung eines solchen Sondervermögens und dessen Verankerung im Grundgesetz in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 27. Februar 2022, drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, angekündigt. Ziel ist es, die „Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ der Bundeswehr zu stärken. Vor allem sollen mehrjährige, komplexe Ausrüstungsvorhaben damit finanziert werden. Um die Ausgaben dieses geplanten Sondervermögens zu decken, soll das Bundesfinanzministerium ermächtigt werden, Kredite bis zur Höhe von 100 Milliarden Euro aufzunehmen. (st/scr/27.04.2022)