Parlament

Sondervermögen – die Haushalte neben dem Haushalt

Symbolbild: Ein gelbes, zerkratztes Hinweisschild mit der Aufschrift Sondervermögen vor dem Berliner Reichstagsgebäude an einem sonnigen Tag.

Der Bundestag berät über ein „Sondervermögen Bundeswehr“, um die Truppe einmalig mit 100 Milliarden Euro auszustatten. (© picture alliance / sulupress.de| Torsten Sukrow)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in seiner Regierungserklärung von Sonntag, 27. Februar 2022, vor dem Bundestag angekündigt, dass er ein „Sondervermögen Bundeswehr“ schaffen will. Es soll einmalig mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden, um die „Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ der Bundeswehr zu stärken. Um die Ausgaben dieses geplanten Sondervermögens zu decken, soll das Bundesfinanzministerium ermächtigt werden, Kredite bis zur Höhe von 100 Milliarden Euro aufzunehmen. Über zwei dazu von der Bundesregierung vorgelegte Entwürfe zum Bundeswehrsondervermögensgesetz (20/1409) und zur Änderung des Grundgesetzes (20/1410) berät der Bundestag erstmals am Mittwoch, 27. April 2022. 

Das Sondervermögen soll im Grundgesetz verankert werden. Für die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit benötigt die Ampelkoalition auch Stimmen aus der Opposition. Der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz hat die Zustimmung seiner Fraktion am 23. März 2022 unter anderem davon abhängig gemacht, dass die Ausgaben des Sondervermögens Investitionen in die Bundeswehr sein müssen – „für nichts anderes, nur für die Bundeswehr“.

Nebenhaushalte für Umbruch- und Krisenzeiten

Die Einrichtung solcher „Sondervermögen“ ist für die Haushaltspolitik von Bund und Ländern nicht ungewöhnlich. Sie werden auch Nebenhaushalte oder Schattenhaushalte genannt, das Statistische Bundesamt spricht in seiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von „Extrahaushalten“.

In der historischen Perspektive fällt auf, dass Sondervermögen bevorzugt in Umbruch- und Krisenzeiten errichtet werden, zum Wiederaufbau nach dem Krieg (Lastenausgleichsfonds 1952, ERP-Sondervermögen 1953), nach der deutschen Wiedervereinigung (Fonds Deutsche Einheit 1990, Erblastentilgungsfonds 1995), nach der Finanzmarktkrise (Finanzmarktstabilisierungsfonds 2008, Investitions- und Tilgungsfonds 2009) sowie zu Beginn der Corona-Pandemie (Wirtschaftsstabilisierungsfonds 2020).

Abgesonderte Teile des Bundesvermögens

Diese Sondervermögen sind nach einer Definition der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages „abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes bestimmt sind und deshalb von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden“. Sondervermögen erfordern eine eigenständige Wirtschafts- und Rechnungsführung, sie stellen eine Ausnahme vom Verfassungsgrundsatz der Haushaltseinheit dar und dürfen nur auf einer gesetzlichen Grundlage errichtet werden.

Im Grundgesetz tauchen die Sondervermögen im Artikel 110 auf. Darin heißt es: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen; bei Bundesbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden. Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen.“

Schuldenbremse gilt für seit 2011 errichtete Sondervermögen

Bis zum 1. August 2009 ermöglichte es das Grundgesetz, Sondervermögen durch Bundesgesetz von der damaligen Schuldenregel in Artikel 115 Absatz 1 auszunehmen, wonach die Kreditaufnahme die veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten darf. Das war nach der Änderung des Artikels 115 und der Einführung der heutigen „Schuldenbremse“ mit Wirkung vom Haushaltsjahr 2011 an nicht mehr möglich. Die Obergrenze für die Nettokreditaufnahme gilt neben dem Bundeshaushalt seither auch für die Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung, die nach dem 1. Januar 2011 errichtet worden sind (Artikel 143d des Grundgesetzes).
Unterschieden wird zwischen Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung, zu denen auch das künftige Bundeswehr-Sondervermögen zählen würde, und solchen, deren Einnahmen aus dem Bundeshaushalt zufließen. Sondervermögen mit Kreditermächtigung sind derzeit der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS), der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der Investitions- und Tilgungsfonds (ITF) und der Restrukturierungsfonds (RSF).

Kontrolle durch Bundestag, Bundesrat und Bundesrechnungshof

Das sind vier von 26 „Sonder-, Zweck- und Treuhandvermögen des Bundes“, die das Bundesfinanzministerium in seiner Haushaltsrechnung des Bundes für das Jahr 2020 auflistet. Hinzugekommen ist 2021 noch das Sondervermögen „Aufbauhilfe 2021“ zum Wiederaufbau der von der Flutkatastrophe zerstörten Infrastruktur in vier Bundesländern. Von diesem Sondervermögen zu unterscheiden ist das Sondervermögen „Aufbauhilfe“, das die Beseitigung von Hochwasserschäden im Frühjahr 2013 zum Ziel hat.

Die Kontrolle der Sondervermögen obliegt dem Bundestag, dem Bundesrat und dem Bundesrechnungshof (Artikel 114 des Grundgesetzes). Paragraf 113 der Bundeshaushaltsordnung legt fest, dass der Bundesrechnungshof die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Sondervermögen prüft.

Finanzmarkt- und Wirtschaftsstabilisierungsfonds

Schwergewichte unter den Sondervermögen sind der FMS aus dem Jahr 2008 und der WSF aus dem Jahr 2020. Der FMS mit einer Kreditermächtigung über 100 Milliarden Euro zielt darauf ab, den Finanzmarkt durch Hilfen für Unternehmen des Finanzsektors zu stabilisieren. Liquiditätsengpässe sollen überwunden und die Eigenkapitalbasis dieser Unternehmen soll gestärkt werden.

Der WSF mit einer Kreditermächtigung über 200 Milliarden Euro soll hingegen den Bestand von Unternehmen der Realwirtschaft sichern, um negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und den Arbeitsmarkt zu verhindern.

Die Haushaltsrechnung des Bundes weist aus, dass der FMS zum Jahresende 2020 mit 55,17 Milliarden Euro das höchstverschuldete Sondervermögen war. Beim Vermögen liegt er mit 31,82 Milliarden Euro auf Platz zwei. Beim WSF ist es genau umgekehrt: Mit 40,67 Milliarden Euro hatte er zu diesem Zeitpunkt das größte Vermögen, aber mit 40,7 Milliarden Euro die zweithöchsten Schulden.

Kritik des Bundesrechnungshofs

In seinen Bemerkungen 2021 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes (20/180) reibt sich der Bundesrechnungshof aber weniger an diesen beiden größten Sondervermögen als vielmehr am ITF, der 2009 zur Abfederung der Folgen der Finanzmarktkrise errichtet worden war. Er sollte das damalige Konjunkturpaket der Bundesregierung bis zur Höhe von 20,4 Milliarden Euro finanzieren und wurde mit einer Kreditermächtigung von 25,2 Milliarden Euro ausgestattet.

Ziel der Bundesregierung sei es gewesen, die ITF-Schulden in besseren Zeiten möglichst schnell zu tilgen, schreiben die Bonner Rechnungsprüfer. „Ungeachtet der guten Haushaltsergebnisse in den Jahren 2015 bis 2019 mit Überschüssen von insgesamt 48,2 Milliarden Euro ist jedoch bislang auf einen kontinuierlichen Abbau der Verbindlichkeiten verzichtet worden.“ Der ITF sei ein „weiterer Beleg dafür, dass Nebenhaushalte in Form von kreditfinanzierten Sondervermögen zu dauerhaften Zusatzlasten führen“.

ERP-Sondervermögen von 1953

Ganz anders die Einschätzung beim ältesten Schlachtross unter den heutigen Sondervermögen, dem „ERP-Sondervermögen“, das der Bundestag 1953 errichtet hatte. ERP steht für „European Recovery Program“, das Marshallplan genannte Programm der USA für den Wiederaufbau in Europa. Seit dem Ende der Wiederaufbauphase dienen die ERP-Mittel im Wesentlichen der Förderung von Investitionsvorhaben der deutschen Wirtschaft, vor allem des Mittelstandes.

Das Vermögen beläuft sich laut Haushaltsrechnung des Bundes 2020 auf 21,74 Milliarden Euro, was Platz drei unter den Sondervermögen bedeutet. Demgegenüber beziffert das Finanzministerium die Schulden auf nur 585,2 Millionen Euro. Dazu der Bundesrechnungshof: „Da der Vermögensbestand das Gegenwertaufkommen deutlich überschreitet“, habe das Bundeswirtschaftsministerium „den gesetzlichen Auftrag zum Vermögenserhalt erheblich übererfüllt“.

„Ausschließlich“ Wiederaufbau und Wirtschaftsförderung

Der Bundesminister für Angelegenheiten des Marshallplans, Franz Blücher (FDP, 1896 bis 1959), hatte den Gesetzentwurf über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens (01/4283) gegen Ende der ersten Wahlperiode in den Bundestag eingebracht. Er wurde am 3. Juli 1953 in geänderter Fassung „gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe“ angenommen.

Zur Abstimmung hatte der federführende Ausschuss für ERP-Fragen unter Vorsitz des CDU-Abgeordneten Dr. Dr. Hermann Pünder (1888 bis 1976) in seinem Schriftlichen Bericht (01/4433 neu) eine Änderung des Paragrafen 2 des Gesetzentwurfs empfohlen. „Das Sondervermögen dient dem Wiederaufbau und der Förderung der deutschen Wirtschaft nach Maßgabe der Bestimmungen des Abkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949“ lautete der Paragraf in Blüchers Vorlage. Daraus machte der Ausschuss: „Das Sondervermögen dient ausschließlich dem Wiederaufbau und der Förderung…“.

Gut möglich, dass das Wort „ausschließlich“ auch in den Beratungen über das künftige Sondervermögen „Bundeswehr“ eine Rolle spielt. (vom/19.04.2022)