Technikfolgenabschätzung

E-Voting vorerst keine Option bei Bundes­tags- oder Landtags­wahlen

Zeit: Mittwoch, 6. April 2022, 15 bis 17.30 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1 302

Das E-Voting wird in den nächsten Jahren keine Option bei Bundestags- oder Landtagswahlen werden. Das ist das Fazit eines öffentlichen Fachgespräches im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, 6. April 2022, unter Vorsitz von Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Die geladenen Sachverständigen sprachen sich übereinstimmend dafür aus, die Möglichkeit der Online-Stimmabgabe vorerst bei Wahlen zu Selbstverwaltungskörperschaften – Sozialwahlen oder Gremienwahlen – weiterhin zu testen und die gemachten Erfahrungen mit einem interdisziplinären Ansatz wissenschaftlich auszuwerten.

Grundlage des Fachgespräches war die von der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH, einem Konsortialpartner des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), vorgelegte Kurzstudie zu den Vor- und Nachteilen von E-Voting im Vergleich zu konventionellen Wahlverfahren. Darin werden zwei Szenarien aufgeführt, wie E-Voting zukünftig auch zur Bundestagswahl zugelassen werden könnte. Szenario eins sieht eine Änderung des Wahlgesetzes vor, sowie die anschließende Änderung der Bundeswahlordnung. Ein zweites – bereits angestoßenes Szenario – sieht den geschilderten Einsatz von E-Voting zunächst bei Wahlen von Selbstverwaltungskörperschaften wie Hochschulen und Sozialversicherungen vor.

Expertin: Sehr viele offene Frage und Herausforderungen

Zu Beginn der von Marc Bovenschulte, Bereichsleiter Demografie, Cluster und Zukunftsforschung in der VDI/VDE-IT, moderierten Diskussion sagte die Impulsreferentin Melanie Volkamer vom Karlsruher Institut für Technologie, es brauche beim E-Voting unbedingt eine Zertifizierung und Veröffentlichung des benutzten Source-Codes. Um aber Manipulationen zuverlässig erkennen zu können, würden kryptografische Ende-zu-Ende Verifizierungen dringend benötigt. Aus ihrer Sicht gibt es noch sehr viele offene Frage und Herausforderungen.

Volkamers Votum lautete daher: „Keine Online-Wahl bei Bundestagswahlen.“ Wichtig sei es, die großen Sozialwahlen 2023 abzuwarten, wo erstmals Ende-zu-Ende-Verifizierbarkeit eingesetzt werde. Angesichts des großen Forschungsbedarfes könne es aber noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis Online-Wahlen bei Bundestagswahlen eingesetzt werden können, sagte Volkamer.

Sachverständige plädieren schrittweises Vorgehen

Auch Bundeswahlleiter Georg Thiel steht einem Einsatz des E-Votings bei Bundestags- oder Landtagswahlen skeptisch gegenüber. Aus seiner Sicht ist das Szenario zwei der richtige Weg. Thiel betonte: „Eine stabile Bundestagswahl ist für unsere Demokratie unerlässlich.“ Das über 70 Jahre gewachsene Vertrauen in das Wahlsystem dürfe nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

Für ein schrittweises Vorgehen plädierte auch Frank Bätge von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Der Gesetzgeber müsse dies aber auch ermöglichen, indem er E-Voting bei Personalratswahlen und Ähnlichem ermöglicht. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) arbeite an weiteren Zertifizierungsmöglichkeiten für „nichtpolitische Wahlen“, sagte BSI-Vertreterin Jennifer Breuer. Bei derartigen Wahlen könne auch viel in Sachen TI-Sicherheit dazu gelernt werden. Für die nächste Bundestagswahl rate sie vom Einsatz des E-Votings aber ab.

E-Voting als Ergänzung zu den bisherigen Möglichkeiten

Dorothee Czennia vom Sozialverband VdK Deutschland bremste die oftmals mit einer Online-Wahl verbundenen Erwartungen auf gesenkte Zugangshürden für ältere Menschen oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Während letztere möglicherweise vom E-Voting profitieren könnten, müsse aufgepasst werden, dass etwa für ältere Menschen nicht zusätzliche Beeinträchtigungen geschaffen werden. „Wenn E-Voting eingeführt wird, dann nur als Ergänzung zu den bisherigen Möglichkeiten der Stimmabgabe“, sagte Czennia.

Marco Rüttger, Leiter des Wahlamtes der Friedrich-Schiller-Universität Jena, berichtete von positiven Erfahrungen mit dem E-Voting bei Gremienwahlen an der Uni. Auch ohne großartige Vorkenntnisse sei das Wahlverfahren für die Teilnehmer praktikabel gewesen. Rüttger plädierte dafür, Online-Wahlen unterhalb der parlamentarischen Wahlen zu etablieren. Die Akzeptanz und das Vertrauen würden mit der Zeit steigen, prognostizierte er. „Der Nachfragedruck, auch andere Wahlen elektronisch durchzuführen, wird dann größer“, sagte Rüttger.

Hoffnung auf Erhöhung der Wahlbeteiligung

Bei der Sozialversicherungswahl 2023 werde mit dem Online-Voting absolutes Neuland betreten, sagte Jörg Ide, Leiter des Stabsbereichs Verwaltungsrat/Vorstand der Techniker Krankenkasse. Gleichwohl gehe er davon aus, des ein sicheres Verfahren gelingen werde. Antrieb für die Entscheidung pro E-Voting sei auch der Wunsch gewesen, sich neue Wählergruppen und neue Partizipationsmöglichkeiten zu erschließen, erläuterte Ide. Die Hoffnung dahinter sei eine erhöhte Wahlbeteiligung.

Klein beginnen, dann dazulernen, lautet auch das Votum von Uwe Serdült von der Universität Zürich. Die Erfahrungen in der Schweiz hätten gezeigt, dass das mühsam aufgebaute Vertrauen in das E-Voting sehr schnell wieder einbrechen könne. „Die Nutzer reagieren sehr sensitiv auf Sicherheitsprobleme“, sagte er.

Vor- und Nachteile der Onlineabstimmung

Zu Vor- und Nachteilen von E-Voting im Vergleich zu konventionellen Wahlverfahren führt die VDI/VDE-IT als Konsortialpartner des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zurzeit eine Kurzstudie durch. Die Zwischenergebnisse sollen im Fachgespräch in Form eines Thesenpapiers vorgetragen und mit Sachverständigen diskutiert werden. Unter anderem wird es um Fragen gehen wie: Inwiefern erfüllt E-Voting die Wahlrechtsgrundsätze? Und können Online-Wahlen sicher umgesetzt werden?

Laut TAB soll mit der elektronischen Stimmabgabe etwa über den PC oder per Smartphone eine Ergänzung zu Wahlverfahren durch persönliche Stimmabgabe in einem Wahlbüro oder Briefwahl geschaffen werden. Onlineabstimmungen könnten demnach vor allem solchen Wählergruppen die Wahlteilnahme erleichtern, die bei herkömmlichen Abstimmungsprozeduren auf Zugangshürden stoßen. Etwa Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Ältere oder Personen, die sich vorübergehend oder permanent im Ausland aufhalten.

Büro für Technikfolgen-Abschätzung

Das TAB ist eine selbstständige wissenschaftliche Einrichtung und wird seit 1990 vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) betrieben. Es berät den Deutschen Bundestag und seine Ausschüsse in Fragen des wissenschaftlichen und technischen Wandels. Steuerungsgremium des TAB ist der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. (hau/irs/06.04.2022)