Gleichstellungsbericht der Bundesregierung beraten
Frauen in Deutschland sollten künftig stärker von den Chancen profitieren können, die sich aus der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft ergeben. So lautet eine zentrale Forderung aus dem dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der als Unterrichtung (19/30750) vorliegt und den der Bundestag am Donnerstag, 7. April 2022, im Plenum debattiert hat. Noch tun sie es nach Auffassung der Experten nicht: Nur 16 Prozent der Frauen arbeiten bislang in der Digitalbranche. Das müsse sich ändern, so die Autoren des Sachverständigengutachtens. Dieses umfasst mehr als 100 Handlungsempfehlungen, die sich an die Politik in Bund, Ländern und Kommunen sowie die Zivilgesellschaft richten. Nach der Debatte wurde die Vorlage an den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur weiteren Beratung überwiesen.
Regierung: Weichen stellen für mehr Frauen in der IT-Branche
Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen), leitete daraus einen Handlungsauftrag ab: Frauen könnten die Chancen, die ihnen die Digitalisierung biete, nur dann nutzen, wenn sie mitgestalteten. Dazu müssten nun die „richtigen Weichen“ gestellt werden – damit die Digitalisierung nicht wie ein „ICE in voller Fahrt“ an Frauen vorbeirausche.
Mehr von ihnen müssten den Weg in die IT-Branche finden, betonte die Grünen-Politikerin. Dafür setze die Bundesregierung an unterschiedlichen Stellen an: Sie führe Förderinitiativen wie Girls Day und Code Girls fort, unterstütze gezielt Frauen in KI-Berufen, auch als Gründerinnen.
CDU/CSU sieht Geschlechtergerechtigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Dass 84 Prozent der Beschäftigten in der IT-Branche Männer seien, nannte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Nadine Schön, „erschreckend“. Die mangelnde Gleichstellung in der IT-Branche sei „ein gewaltiges Problem“, und es habe wirtschaftliche Konsequenzen: Diversität sei schließlich ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines Unternehmens, so Schön. Angesichts des Fachkräftemangels könne man sich „den Luxus“ nicht leisten, auf Frauen zu verzichten.
Geschlechtergerechtigkeit in der digitalen Welt zu verwirklichen, sei nicht nur Aufgabe der Politik, betonte sie – sondern eine gesamtgesellschaftliche. An die Bundesregierung gerichtet mahnte sie jedoch, zu starre gesetzliche Regelungen auf den Prüfstein zu stellen, die Bemühungen um Gleichstellung in der IT-Branche konterkarierten.
FDP: Potenzial von Gründerinnen fördern
Auch Nicole Bauer (FDP), selbst Wirtschaftsingenieurin, pochte auf einen Kulturwandel in der Wirtschaft, um mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen. Die „Zauberformel“ dafür heiße aber nicht „fix the woman, sondern fix the company“. Viele Unternehmen, aber auch Investoren hätten das Potenzial von Frauen als Mitarbeiterinnen und Gründerinnen noch nicht erkannt. Das wolle die FDP in der Ampelkoalition verändern, unterstrich Bauer unter Verweis auf den Koalitionsvertrag – mit besseren Bildungs- und Zugangsmöglichkeiten zu Wagniskapital und einer Förderung durch Business Angels.
Auch brauche es mehr Möglichkeiten für flexibles, mobiles Arbeiten – um Familie und Job unter einen Hut zu bekommen, forderte Bauer. Es sei Zeit für einen „Abschied von der überholten Präsenzkultur“.
SPD: Technologischer Wandel nicht „geschlechterneutral“
Josephine Ortleb (SPD) hob hervor, der Bericht zeige zum einen die „vielen unterschiedlichen Dimensionen der Ungerechtigkeit“. Zum anderen mache er deutlich, dass der technologische Wandel der Digitalisierung Frauen und Männer unterschiedlich betreffe. Er sei nicht „geschlechterneutral“.
Deshalb gelte es, Strukturen aufzubrechen, die Ungerechtigkeiten verfestigten und verschärften. Weil Diskriminierungen häufig in Algorithmen festgeschrieben würden, habe es Folgen, wenn die meisten Entwickler und Designer Männer seien. Unternehmen sollten daher verpflichtet werden, ihre Algorithmen auf Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen, verlangte sie. Frauen in prekären Berufen seien zudem besonders mit den Risiken des technologischen Wandels konfrontiert: Wenn sie etwa Dienstleistungen als Putzkraft oder studentische Nachhilfe online anböten, liefen sie Gefahr, dass die rechtliche und soziale Absicherung nicht greife.
AfD: Diskriminierte Frau ist ein Märchen
Keinerlei Handlungsbedarf in Sachen Gleichstellung sah hingegen Thomas Ehrhorn (AfD): Der Bericht enthalte auf 276 Seiten nur „Geschwurbel“. Erneut werde das „immer gleiche Märchen von der diskriminierten Frau“ erzählt. Frauen und Männer seien eben unterschiedlich, das zeige sich schon an der unterschiedlichen Berufswahl.
Wenn Frauen häufiger bereit seien, in Teilzeit zu arbeiten, sei das ihre freie Entscheidung, meinte der Abgeordnete. Das habe zwar Auswirkungen auf Karriere und Bezahlung. Doch Frauen und Männer bräuchten nicht die „Belehrungen“ der Politik, sie könnten sehr gut allein festlegen, wie sie die Aufgaben in der Familie verteilten.
Grüne betonen Homeoffice als Chance und Risiko
Anders sah dies Denise Loop (Bündnis 90/Die Grünen): Die Digitalisierung habe Auswirkungen auf die Teilhabechance von Frauen – doch nicht immer sei klar, ob diese positiv oder negativ seien.
Die Arbeit im Homeoffice biete einerseits Chancen, Sorge- und Erwerbsarbeit besser miteinander zu vereinbaren. Doch es berge andererseits auch Nachteile für Frauen, wenn sie die unbezahlte Arbeit ausweiteten.
Linke fordert Bekämpfung digitaler Gewalt
Das unterstrich auch Heidi Reichinnek (Die Linke). Die Coronapandemie habe alte Rollenmuster wieder verfestigt, monierte sie. Durch die verstärkte Homeoffice-Nutzung während der Pandemie hätten wieder mehr Frauen ihre Arbeitszeit reduziert, um noch mehr Haus- und Sorgearbeit als vorher zu übernehmen.
Die Abgeordnete lenkte zudem den Blick auf Diskriminierung und Gewalt, der Frauen im digitalen Raum häufig besonders ausgesetzt seien: Ob Überwachungs-Apps oder Online-Stalking – es brauche flächendeckende Beratungsangebote und mehr Fachkompetenz bei Polizei und Justiz, verlangte die Linken-Abgeordnete. Frauenhäuser und Beratungsstellen benötigten IT-Unterstützung. „Die To-Do-Liste ist lang“, sagte Reichinnek in Richtung der Regierungsbank. „Ich erwarte hier einiges!“
Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
Der Gleichstellungbericht konzentriert sich auf die Frage: Welche Weichenstellungen sind erforderlich, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben?
Die Sachverständigenkommission knüpft in ihrem Gutachten an die zentralen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen des Zweiten Gleichstellungsberichts „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“ an, denn: „Gleichstellung ist weiterhin ein nicht erreichtes Ziel. Unter den Bedingungen der digitalen Transformation zeigen sich diese Ungleichheiten jedoch neu.“
Hürden und Barrieren sollen abgebaut werden
Aus gleichstellungspolitischer Sicht müssten nach wie vor Hürden und Barrieren abgebaut werden, die zu Geschlechterungleichheiten führen, heißt es. Strukturelle Rahmenbedingungen, aber auch gesellschaftliche Werte und Normen sowie Schutzmechanismen müssen so gestaltet werden, dass Menschen, unabhängig vom Geschlecht, ihre Ziele und Wünsche in jeder Lebensphase und in allen gesellschaftlichen Transformationsprozessen besser verwirklichen können. „Dies gilt auch für die Digitalisierung“, schreiben die Sachverständigen.
Das Gutachten beschreibt mit seinen Handlungsempfehlungen Wege, wie Gleichstellungsziele in der Digitalisierung erreicht werden können. Dabei geht es um geschlechtergerechte Technikentwicklung , den Zugang zu digitalisierungsbezogenen Kompetenzen unabhängig vom Geschlecht, den Zugang zu digitalisierungsbezogenen Ressourcen unabhängig vom Geschlecht, die Entgeltgleichheit und eigenständige wirtschaftliche Sicherung durch gleichberechtigte Integration in die digitalisierte Wirtschaft, die Auflösung von Geschlechterstereotypen in der digitalisierten Wirtschaft, geschlechtergerechte Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit in der Digitalisierung der Gesellschaft, den Abbau von Diskriminierung und Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt in analogen und digitalen Räumen und die geschlechtergerechte Gestaltungsmacht in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. (sas/hau/07.04.2022)