Fast alle Fraktionen bekennen sich zur Erhöhung des Wehretats
Mit eindringlichen Worten und unter Verweis auf die Bündnisverpflichtungen Deutschlands angesichts des „brutalen Angriffskriegs“ Russlands gegen die Ukraine hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Mittwoch, 23. März 2022, für die geplante Anhebung des Wehretats auf 50,3 Milliarden Euro in diesem Jahr und das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro geworben. Dies sei eben „keine Aufrüstung“, sondern gewährleiste die „Ausrüstung“ der Bundeswehr, damit sie ihren Verfassungsauftrag erfüllen kann, betonte die Ministerin in der ersten Lesung des Einzelplans 14 des Etatentwurfs des Bundesministeriums der Verteidigung (20/1000). Mit Ausnahme der Linksfraktion bekannten sich in der Debatte alle Fraktionen prinzipiell zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Die geplante Ausgestaltung des Sondervermögens und die Verwendung der Mittel sorgten jedoch für Kritik aus den Reihen der CDU/CSU- und der AfD-Fraktion.
Lambrecht betonte, die Nato dürfe und werde keine Kriegspartei werden im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Aber die Ukraine müsse auch weiterhin mit Waffenlieferungen unterstützt werden. „Und wir müssen mehr für unsere Sicherheit tun“, sagte die Ministerin. Die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr müsse erhöht werden. Zugleich versprach sie grundlegende Reformen im Beschaffungswesen der Bundeswehr. Erste Schritte habe das Bundeskabinett bereits beschlossen, sagte Lambrecht ohne dies allerdings zu konkretisieren.
CDU/CSU: Von Zwei-Prozent-Ziel ist keine Rede mehr
Für die Unionsfraktion signalisierte die Verteidigungspolitikerin Kerstin Vieregge (CDU/CSU) zwar Unterstützung für die Erhöhung des Wehretats und das Sondervermögen, erhob zugleich jedoch schwere Vorwürfe gegen die SPD. Sie habe mit ihrem „Bremsklotz-Verhalten“ in der Großen Koalition die Realisierung des Nato-Ziels, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) für Verteidigung aufzubringen, verhindert. Die Union hingegen habe sich immer dazu bekannt. Bereits nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 sei klar gewesen, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben erhöhen müsse, sagte Vieregge.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe in seiner Regierungserklärung eine dauerhafte Erhöhung des Wehretats auf zwei Prozent des BIP und zusätzlich ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro angekündigt. Doch davon sei nun keine Rede mehr, monierte die Parlamentarierin. Jetzt werde das Zwei-Prozent-Ziel nur durch das Sondervermögen ermöglicht. Wenn dies jedoch in einigen Jahren aufgebraucht sei, ließe sich die Finanzierung des Zwei-Prozent-Zieles nicht realisieren, da die Ampel den Wehretat in den kommenden Jahren „bei 50 Milliarden Euro einfrieren will“. Die Bundeswehr benötige aber eine verlässliche und langfristige Finanzierung, kritisierte Vieregge. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die 100 Milliarden auch ausschließlich der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden.
Grüne fordern Reformen im Beschaffungswesen
Die Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) hingegen betonte, dass „Sicherheit mehr als Militär“ sei. Es müssten auch Vorsorge im Bereich der Cybersicherheit gewährleistet werden. Sie forderte die Union auf, das Sondervermögen nicht aus parteitaktischen Gründen zu blockieren. Für die geplante Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat nötig. Die Koalition ist deshalb auf die Stimmen der Union angewiesen.
Brugger forderte zudem Reformen im Beschaffungswesen. Vor allem müsse die Bundeswehr bei ihren Beschaffungen verstärkt auf marktverfügbares Material zurückgreifen. Ebenso müsse die europäische Zusammenarbeit bei großen Beschaffungsvorhaben intensiviert werden. Wo es möglich sei, müsse eine möglichst gleiche Ausrüstung der Armeen der EU-Mitgliedstaaten ermöglicht werden.
FDP will marktverfügbare Ausrüstung für die Bundeswehr
Auch der FDP-Haushaltsexperte Karsten Klein wies die Kritik der Union zurück. Die Misere der Bundeswehr hat einen Namen: CDU/CSU„, sagte Klein und verwies darauf, dass das Verteidigungsministerium in den 16 Jahren unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) stets von Unionspolitikern geführt worden sei.
Das Sondervermögen garantiere der Bundeswehr eine langfristige Planung bei den Beschaffungsvorhaben, argumentierte Klein. Allerdings bringe mehr Geld allein die benötigte Ausrüstung nicht schneller zur Truppe. Die Reformen im Beschaffungswesen seien überfällig. Dies sei die “zentrale Aufgabe„ von Ministerin Lambrecht. Auch Klein sprach sich dafür aus, verstärkt marktverfügbare Ausrüstung zu beschaffen.
AfD: Es fehlt an vorausschauender Planung
Der AfD-Haushaltspolitiker Dr. Michael Espendiller bewertete das Sondervermögen kritisch. Es fehle bislang an einem überzeugenden Konzept. Das Sondervermögen sei lediglich dazu gedacht, die Schuldenbremse auch in den kommenden Jahren zu umgehen. Er verwies darauf, dass seine Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder auf eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes gemäß des Zwei-Prozent-Zieles der Nato und auf eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr gedrängt habe.
Der Bundeswehr fehle es seit drei Jahrzehnten an einer vorausschauenden Planung. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel würden zudem nicht effizient eingesetzt. Dies drohe jetzt wieder. Espendiller forderte die Nato zudem auf, wieder zu einem reinen Verteidigungsbündnis zu werden. Die AfD-Fraktion lehnt genau wie die Linksfraktion Auslandseinsätze der Bundeswehr ab.
Linke: Bundeswehr ist eine “Steuergeld-Vernichtungsmaschine„
Auf deutlichen Ablehnung und massive Kritik stößt die geplante Erhöhung der Verteidigungsausgaben bei der Linksfraktion. Mit den Geldern werde “nicht das angeschafft, was die Truppe braucht, sondern was die Rüstungsindustrie teuer verkaufen will„, monierte Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke). Die Bundeswehr sei zu einer “Steuergeld-Vernichtungsmaschine„ geworden. Die Behauptung, der Angriff Russlands auf die Ukraine sei der Grund für das Sondervermögen, sei falsch. Alle geplanten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr seien bereits im Koalitionsvertrag benannt.
Als Beispiel nannte Lötzsch den Kauf der F-35-Mehrzweckkampfflugzeuge, die den Tornado der Bundeswehr ersetzen solle. Die F-35 werde jedoch nur angeschafft, weil sie im Rahmen der nuklearen Teilhabe mit den in Deutschland gelagerten amerikanischen Atombomben bestückt werden könnten. Atomwaffen aber seien Angriffswaffen, mit Verteidigung habe dies nichts zu tun. Die Gelder für die Aufrüstung der Bundeswehr fehlten dringend im sozialen Wohnungsbau oder in der Familienpolitik, monierte die Angeordnete.
SPD will eine moderne und leistungsfähige Armee
Diesem Argument widersprach der Abgeordnete Andreas Schwarz (SPD). Das Sondervermögen ermögliche eine angemessene und dringend benötigte Ausrüstung der Bundeswehr ohne Kürzungen bei den Sozialausgaben. Die Koalition werde eine moderne und leistungsfähige Armee gewährleisten.
Schwarz begrüße es ausdrücklich, dass Ministerin Lambrecht die Reform des Beschaffungswesens anpacke und dass sie die Ausstattung der Soldaten mit persönlicher Ausrüstung ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt habe. Die Soldaten hätten ein Anrecht darauf, die benötigten Schutzwesten, Nachtsichtgeräte oder passenden Bekleidung zu erhalten.
Beschaffungen und Personalausgaben
Der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts 2022 (20/1000) umfasst Ausgaben von 50,33 Milliarden Euro, das sind 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr (46,93 Milliarden Euro). Im Verteidigungsetat nicht enthalten ist allerdings das geplante neue Sondervermögen “Bundeswehr„, das mit einer Kreditermächtigungen in Höhe von 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Das Bundesverteidigungsministerium rechnet mit Einnahmen von 710,8 Millionen Euro (2021: 260,8 Millionen Euro). Die Beschaffungen des Ministeriums summieren sich dem Entwurf zufolge insgesamt auf 20,43 Milliarden Euro (2021: 18,15 Milliarden Euro), die Personalausgaben auf 19,88 Milliarden Euro (2021: 19,3 Milliarden Euro).
Von den militärischen Beschaffungen im Umfang von 10,05 Milliarden Euro (2021: 8,33 Milliarden Euro) entfallen 792,92 Millionen Euro auf Kampffahrzeuge und 763 Millionen Euro auf Munition (2021: jeweils 700 Millionen Euro). Für Schiffe uns sonstiges Marinegerät sind 571,31 Millionen Euro eingeplant (2021: 524 Millionen Euro), für Flugzeuge und sonstiges flugtechnisches Gerät 745 Millionen Euro (2021: 645,84 Millionen Euro).
Materialerhaltung und Unterbringung
Für die Materialerhaltung sieht der Entwurf 4,47 Milliarden Euro vor (2021: 4,1 Milliarden Euro), davon 2,54 Milliarden Euro für die Erhaltung von Flugzeugen und flugtechnischem Gerät (2021: 2,45 Milliarden Euro). Für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten sind Ausgaben von 5,99 Milliarden Euro eingeplant (2021: 5,88 Milliarden Euro), davon 2,73 Milliarden Euro für Mieten und Pachten (2021: 2,64 Milliarden Euro). Der sonstige Betrieb der Bundeswehr schlägt mit 2,42 Milliarden Euro zu Buche (2021: 2,64 Milliarden Euro).
Der Bereich “Kommandobehörden und Truppe, Sozialversicherungsbeiträge, Fürsorgemaßnahmen und Versorgung für Soldatinnen und Soldaten„ umfasst Ausgaben von insgesamt 15,93 Milliarden Euro (2021: 15,39 Milliarden Euro). (aw/vom/23.03.2022)