Zeit:
Mittwoch, 16. Februar 2022,
14.30
bis 15.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Die mögliche Freigabe von Patenten im globalen Kampf gegen das Coronavirus ist unter Experten umstritten. Unter epidemiologischen und ethischen Gesichtspunkten erachten Mediziner und Hilfsorganisationen die Freigabe von Patenten für Impfstoffe, Therapeutika und Tests im Grundsatz als sinnvoll. Die Herstellerseite gab jedoch in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch, 16. Februar 2022, unter Vorsitz von Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) über einen Antrag (20/201) der Linksfraktion zur Freigabe der Patente zu bedenken, dass die pharmazeutische Industrie dadurch schwer geschädigt werden könnte, ohne dass der Mangel an Impfstoffen in bestimmten Ländern beseitigt würde. Die Sachverständigen äußerten sich im Gesundheitsausschuss des Bundestages und in schriftlichen Stellungnahmen.
Antrag der Linksfraktion
Die Linksfraktion argumentiert in ihrem Antrag, in weiten Teilen der Welt sei nur ein geringer Anteil der Bevölkerung geimpft. Von einer Deckung des weltweiten Bedarfs könne nicht zuletzt aufgrund der Preise keine Rede sein. Der globale Norden lasse es mehrheitlich eher zu, dass der globale Süden unterversorgt bleibe, als eine Ausnahme von der profitorientierten Vermarktung zuzulassen.
Die Abgeordneten fordern von der Bundesregierung, den Antrag Südafrikas und Indiens zur Aussetzung der Patente für Therapeutika, Impfstoffe und Tests bei Covid-19 bei der Welthandelsorganisation zu unterstützen. Insbesondere für mRNA- und Vektorimpfstoffe müsse ein wirksamer Technologietransfer gewährleistet werden.
Warnung vor kontraproduktiven Zwangslizenzen
Der Branchenverband der Biotechnologie-Industrie warnte in seiner Stellungnahme vor kontraproduktiven Zwangslizenzen oder Benutzungsanordnungen. Der Patentschutz sei bei der globalen Bereitstellung des Impfstoffs kein Hindernis, sondern ermögliche Unternehmen erst, in Forschung zu investieren. Das für die Anwendung der patentierten Technologien erforderliche Know-how mache einen maßgeblichen Wert der Unternehmen aus und dürfe nicht durch eine erzwungene Offenlegung entwertet werden.
Die Produktion von Impfstoffen setze ein erhebliches Know-how und Produktionsanlagen voraus. Zielführend seien Kooperationen zwischen Unternehmen und Ländern bei der Impfstoffherstellung. Solche Kooperationen gebe es schon in vielen Fällen.
Schutz geistigen Eigentums als Grundlage für Entwicklung
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) argumentierte, Grundlage für die in Rekordzeit entwickelten Corona-Impfstoffe sei ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums. Auf freiwilliger Basis seien inzwischen mehr als 340 Produktionspartnerschaften eingegangen worden. Über die Covax-Initiative seien 1,2 Milliarden Impfdosen an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen gegangen.
Für niedrige Impfquoten in ärmeren Ländern seien auch Probleme bei der Verteilung, Fachkräftemangel und schwache Gesundheitssysteme verantwortlich. Das Aussetzen von Patentrechten werde die Impfquote in armen Ländern nicht erhöhen.
Verteilung der Impfstoffe nach ökonomischer Macht
Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ kritisierte, Impfstoffe würden nicht nach Bedarf verteilt, sondern nach ökonomischer Macht. Nötig seien die globale Ausweitung von Produktionskapazitäten und ein Abbau von Zugangsbarrieren zu Covid-19-Technologien. Durch geistige Eigentumsrechte werde der Zugang zu Schutzmasken, Beatmungsgeräten, Medikamenten, Diagnostika und Impfstoffen stark beschränkt.
Es sei inakzeptabel, dass Mengen künstlich verknappt würden und der immense Bedarf nicht zu bezahlbaren Preisen gedeckt werden könne. Die zeitlich begrenzte Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten sei eine notwendige Bedingung für die Ausweitung der Produktionskapazität. Eine Sprecherin der Ärzte-Organisation erinnerte in der Anhörung daran, dass die Impfstoffforschung auch mit öffentlichen Geldern gefördert werde.
Experte: Versagen an Solidarität und Fairness
Auch der Pharma-Spezialist Andrew Lofts Gray von der Universität KwaZulu-Natal in Südafrika forderte mehr Rücksicht auf ärmere Länder und erinnerte daran, dass die Corona-Pandemie nur auf globaler Ebene nachhaltig eingedämmt werden könne. Derzeit seien neue Technologien für Gesundheitssysteme von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen unerreichbar. Die Hersteller hätten eine Monopolstellung und legten auch die Preise entsprechend fest.
Weniger als zehn Prozent der Erwachsenen in Ländern mit niedrigem Einkommen seien geimpft. Es müsse unverzüglich gehandelt werden, um eine massive Erhöhung der Zahl der Hersteller von bezahlbaren, qualitätsgesicherten Diagnosemethoden, Arzneimitteln und Impfstoffen zu ermöglichen. Mit Blick auf die ungleiche Verteilung sprach Lofts Gray in der Anhörung von einem Versagen an Solidarität und Fairness.
Kritik an mangelnder Verfügbarkeit von Impfstoffen
Eine Vertreterin von „Brot für die Welt“ sagte in der Anhörung, neben der schwierigen Verteilung und der verbreiteten Impfskepsis sei die mangelnde Verfügbarkeit von Impfstoffen das größte Problem in ärmeren Ländern.
Mehrere Experten hoben in der Anhörung hervor, dass es bei der Impfstoffversorgung auf einen effektiven Technologietransfer und gezielte Kooperationen mit Ländern des globalen Südens zum Aufbau von Produktionskapazitäten ankomme. (pk/16.02.2022)