Parlament

Fraktionen bewerten Arbeits­programm 2022 der EU-Kommission

Der Bundestag hat am Freitag, 18. Februar 2022, im Rahmen einer Vereinbarten Debatte über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2022 debattiert. In der gut einstündigen Aussprache bekräftigte Europa-Staatsministerin Dr. Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen) das Ziel der Kommission, Europa gemeinsam stärker und zukunftsfester zu machen.

Regierung: Europäisches Haus braucht klimaneutrale Kernsanierung

„Unser europäisches Haus braucht eine klimaneutrale Kernsanierung“, sagte Lührmann. Dies könne aber nur gelingen, „wenn das Fundament unter unseren Füßen stabil bleibt“. Die Einhaltung der Menschenrechte und der Schutz von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie seien dafür „zwingende Voraussetzungen“. 

Ausdrücklich begrüßte die Grünen-Politikerin daher das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 16. Februar, das den im Dezember 2020 von der EU verabschiedeten sogenannten Rechtsstaatsmechanismus in allen Punkten für rechtens erklärt hatte. Die EU-Kommission darf danach ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn einleiten. „Dieses Urteil hat für Rechtsklarheit gesorgt“, lobte Lührmann. Es sei nun klargestellt, dass ein Staat, der europäisches Recht breche, nicht mit europäischem Geld rechnen dürfe. Nun müsse dieser Mechanismus auch zügig angewendet werden. 

SPD: Lob für Neuausrichtung der EU-Handelsstrategie

Auch Markus Töns (SPD) wies dem EuGH-Urteil eine zentrale Bedeutung zu. Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, die Freiheit von Minderheiten und Menschenrechte seien „schlichtweg nicht verhandelbar“. Wer in Europa davon träume, eine illiberale Demokratie zu schaffen, dem müsse gesagt sein, „dass das mit uns nicht zu machen ist“.

Töns lobte darüber hinaus die von der Kommission geplante Neuausrichtung der EU-Handelsstrategie und sprach sich für vertiefte Handelsbeziehungen mit den europäischen Nachbarstaaten und Afrika aus. 

CDU/CSU: Fehlende Initiativen zur Reform der Asyl- und Migrationspolitik

Für die CDU/CSU warf Detlef Seif der EU-Kommission vor, kaum konkrete Initiativen zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 vorzulegen. Für die Unternehmen, „dem Ort der Wertschöpfung und des Wohlstands“ sei bisher nicht geklärt, wie sie dieses umsetzen sollen. „Es wäre fatal, wenn Unternehmen am Ende dieses Transformationsprozesses in die Pleite getrieben würden oder eine Verlagerung in Drittstaaten stattgefunden hätte“, warnte Seif.

Er kritisierte zudem fehlende Initiativen zur Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik. „Das ist ein zentrales Thema, das keinen Aufschub verkraftet“, mahnte der CDU-Politiker. Er verwies darauf, dass mehr als die Hälfte der Asyl-Antragsteller keinen Schutzanspruch in der EU hätten. 

FDP: Binnenmarkt in eine digitale Zukunft führen

Katja Adler (FDP) urteilte, die EU-Kommission habe sich mit Zielen wie der grünen Wachstumsstrategie „Green Deal“, einer globalen Steuerreform und der Schaffung einer echten Europäischen Verteidigungsunion viel vorgenommen. Die neue Bundesregierung als „Fortschrittskoalition“ werde sie zusammen mit den europäischen Partnern und Freunden dabei unterstützen, Europa fit für die Zukunft zu machen.

Es gelte, den Binnenmarkt in eine digitale Zukunft zu führen, einen rechtssicheren Rahmen für Innovationen zu schaffen und die Bürokratie in der EU abzubauen. Den Stabilitäts- und Wachstumspakt nannte Adler einen „wichtigen Grundpfeiler einer nachhaltigen Politik“. Er müsse weiterentwickelt und vereinfacht werden. 

Linke fordert eine europaweite Vermögensabgabe

Demgegenüber warnte Alexander Ulrich (Die Linke) davor, zu schnell zu den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückzukehren. Für eine sozial-ökologische Transformation brauche es handlungsfähige Staaten und Zukunftsinvestitionen in Europa. Letztere sollten in die Verschuldungskriterien eingerechnet werden.

Ulrich sprach sich auch für eine Verbesserung der Einnahmenseite der EU durch die Einführung einer europaweiten Vermögensabgabe, eine Digitalsteuer und einer Finanztransaktionssteuer aus. Außerdem müsse die EU-Mindestlöhne-Richtlinie umgesetzt werden, um das soziale Europa zu stärken. 

Grüne: Unterstützung für die EU-Strategie Global Gateway

Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) forderte eine entschiedenere Unterstützung für die EU-Strategie Global Gateway, mit der die Union ihren Partnerstaaten weltweit umfangreiche Investitionen in die Infrastrukturentwicklung zur Verfügung stellt. Die Strategie sei besonders mit Blick auf China und dessen Seidenstraßen-Initiative entscheidend.

„China ist zwar im Kampf gegen die Klimakrise ein wichtiger Partner für uns, aber auch ein unglaublich herausfordernder Wettbewerber und bei Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein Systemrivale.“ Darauf müsse die EU mit „Klugheit und Selbstbewusstsein“ reagieren.

AfD: Es werden gescheiterte Konzepte kopiert

Für die AfD warf Norbert Kleinwächter EU-Kommissionschefin Dr. Ursula von der Leyen „grotesken Eifer“ dabei vor, Konzepte zu kopieren, die in anderen Ländern bereits gescheitert seien.

Als Beispiel nannte Kleinwächter den Europäischen Green Deal, mit dem die Kommission die EU „gewaltsam zu irgendetwas Ökologischem transformieren will“. Demokratie bedeute aber Selbstbestimmung, betonte Kleinwächter. „Daher muss man rufen: EU raus!“.

Arbeitsprogramm der Kommission für 2022

Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2022 enthält die nächsten Schritte der Transformationsagenda der Kommission, welche nach Überwindung der Covid-19-Krise zu einem grüneren, gerechteren, digital besser aufgestellten und resilienteren Europa führen sollen. Geplant ist, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Zusätzlich zu ihrem im Jahr 2021 als Teil des europäischen Grünen Deals vorgestellten Pionierpakets „Fit for 55“ will die Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung der CO2-Entfernung vorschlagen.

Ferner sollen laut Arbeitsprogramm weitere Schritte hin zur emissionsfreien Mobilität unternommen werden, beispielsweise durch eine Überprüfung der CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge. Geplant sind auch ein Null-Schadstoff-Aktionsplan zur Verbesserung der Wasser- und Luftqualität, neue Vorschriften für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden und eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft, indem das Recht gestärkt wird, Produkte reparieren zu lassen anstatt sie zu ersetzen. 

Digitaler Wandel in der EU soll bis 2030 vollzogen werden

Angesichts der Pandemie, die als Katalysator für die Digitalisierung der Welt gewirkt habe, kündigt die Kommission an, ihren Weg in das digitale Jahrzehnt weiterzuverfolgen, „damit der digitale Wandel in der EU bis 2030 vollzogen wird“. Der Binnenmarkt sei nach wie vor von entscheidender Bedeutung für Europas Innovation, heißt es in dem Programm. Daher habe die Kommission die Wettbewerbspolitik überprüft und werde ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt vorschlagen, um künftige Störungen zu verhindern.

Um die dringenden Probleme im Zusammenhang mit der Lieferung von für digitale Lösungen erforderlichen Halbleitern auszuräumen, soll ein europäisches Computerchip-Gesetz vorgelegt werden, das ein hochmodernes Chip-Ökosystem fördern und neue Märkte für bahnbrechende europäische Technologien eröffnen soll, kündigt die Kommission an. (joh/hau/18.02.2022)