Kontroverse um den zweiten Nachtrag zum Bundeshaushalt 2021
Der Bundestag hat am Donnerstag, 16. Dezember 2021, erstmals über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (20/300) beraten. Die Vorlage wurde im Anschluss zur weiteren Beratung in den Haushaltsausschuss überwiesen.
60 Milliarden Euro für Energie- und Klimafonds
Geplant ist, dem Energie- und Klimafonds (EKF), einem Sondervermögen des Bundes, 60 Milliarden Euro zuzuführen. Im EKF sollen die Mittel der Rücklage zugeführt werden, die damit auf 76,2 Milliarden Euro aufwächst. Die Gesamtausgaben sollen in diesem Jahr nunmehr 572,7 Milliarden Euro betragen. Die bisherige Planung sah Ausgaben in Höhe von 547,7 Milliarden Euro vor. 2020 lagen die Ausgaben laut Entwurf bei 508,5 Milliarden Euro.
Laut Entwurf ist diese Zuführung „ohne Erhöhung der Kreditermächtigung möglich, da sich im Haushaltsvollzug Mehreinnahmen und Minderausgaben abzeichnen“. Die mit dem Ersten Nachtragshaushalt im April 2021 erhöhte Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme liegt aktuell bei 240 Milliarden Euro für dieses Jahr. Im April hatte der Bundestag aufgrund der andauernden Corona-Pandemie und ihrer Folgen eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenregel des Grundgesetzes festgestellt und somit eine Ausnahme von der im Grundgesetz vorgesehenen Obergrenze für die Nettokreditaufnahme ermöglicht.
Mit der Zuführung wird laut Begründung des Haushaltsgesetzes angeknüpft „an die bereits im Jahr 2020 im Zusammenhang mit dem Konjunktur- und Zukunftspaket erfolgten und zur Pandemiebewältigung bewährten Zuweisung an den Energie- und Klimafonds“. Diese zusätzlichen Mittel „dienen damit weiterhin der Pandemiebewältigung und sind zur Überwindung der pandemiebedingten Notsituation erforderlich“, führt die Bundesregierung aus.
Minister: Eine Antwort auf die Pandemie
Der Nachtragshaushalt sei eine Antwort auf die Pandemie, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Die Bundesregierung habe sich ambitionierte Ziele gesetzt, die Corona-Pandemie zu bewältigen und gestärkt aus der Krise herauszukommen, damit die Transformation eine der größten Industrienationen hin zur Klimaneutralität gelinge, sagte Lindner. Ein großer Teil der öffentlichen Mittel werde für die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie verwendet.
Zugleich seien aber durch die Unsicherheiten und Einschränkungen in Folge der Krise viele Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft ausgefallen. Daher sei es von grundlegender Bedeutung, jetzt einen Nachholprozess zu organisieren. „Nicht nur die Menschen benötigen einen Booster, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung“, betonte der Finanzminister. Sowohl öffentliche Investitionen wie auch die Förderung privater Investitionen seien dafür entscheidend. Linder sagte weiter, es gehe um die Verantwortung für künftige Generationen, wie im Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts unterstrichen worden sei. Zugleich gelte es, die Schuldenbremse des Grundgesetzes einzuhalten. „Beides ist für die Bundesregierung verbindlich“, machte er deutlich.
CDU/CSU: Taschenspielertricks
Christian Haase (CDU/CSU) sprach hingegen von Taschenspielertricks, die die neue Bundesregierung anwende. In einer wundersamen Wandlung würden Corona-Kredite zu Klimakrediten. Die FDP sei sowohl in den Wahlkampf als auch in die Sondierungsgesprächen mit der klaren roten Linie gegangen, es werde kein Aufweichen der Schuldenbremse geben. „Wollen Sie dieses Versprechen mit ihrem ersten Gesetzentwurf brechen?“, fragte Haase in Richtung Lindner.
Es sei offensichtlich, dass die Schuldenbremse mit solch einem waghalsigen Manöver ausgehebelt werde. Zu den Corona-Krediten, die im Energie- und Klimafonds geparkt werden sollen, kämen noch die Änderungen in der Schuldenregel für Sondervermögen „mit dem einzigen Ziel, den Verschuldungsspielraum in den nächsten Jahren vollkommen unabhängig von Corona zu erhöhen“. Er halte diesen Haushalt für verfassungswidrig, betonte der Unionsabgeordnete. Dieser Nachtragshaushalt sei der Anfang vom Ende der Schuldenbremse.
SPD: Nicht sparen beim Gesundheitsschutz
Dennis Rohde (SPD) sagte zu Beginn seiner Rede: „Wir werden nicht beim Gesundheitsschutz der Bevölkerung sparen.“ Der Schutz von Leib und Leben werde auch für die neue Regierungskoalition allerhöchste Priorität haben. Neben dem Gesundheitsschutz gelte es aber, sich weiterhin mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu befassen. „Dafür haben wir vielfältig Brücken gebaut“, sagte Rohde. Beispiele seien das Kurzarbeitergeld, aber auch die Soforthilfen und der Stabilisierungsfonds für Unternehmen. Wichtig sei es, diese Brücken in die Zukunft zu schlagen.
„Wir erleben weltweit, dass die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Transformation zugenommen hat“, sagte der SPD-Parlamentarier. Viele Länder setzten darauf, CO2-neutral zu werden. „Wenn unsere Brücken in die Zukunft führen sollen, dann geht das nur, wenn wir auch bei uns die Voraussetzung schaffen, CO2-neutral zu produzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Diese Brücken, so Rohde weiter, kosteten Geld. Das sei der Grund, weshalb der Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickelt werden müsse.
AfD: Unseriöse Tricks
Von unseriösen Tricks, die einer Bundesregierung unwürdig seien, sprach Peter Boehringer (AfD). Die FDP habe ihr jetziges Vorgehen in ihrer Zeit als Oppositionsfraktion noch als verfassungswidrig bezeichnet. Die Union wiederum sei heute in der Opposition überzeugt davon, dass ihr zu den Planungen der Ampelkoalition völlig analoges Vorgehen in der Regierung in den Jahren 2020 und 2021 nun plötzlich rechtswidrige Finanzakrobatik sei.
CDU und CSU wollten offenbar ihr eigenes Tun nachträglich per Klage vor dem Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. „Das kann man sich gar nicht ausdenken. Das ist ja reine Realsatire“, so Boehringer. Seine Fraktion hingegen habe in den vergangenen Jahren mehrfach entsprechende Anträge auf Normenkontrollklage eingebracht.
Grüne: Heuchelei und Doppelmoral
Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Union Heuchelei und Doppelmoral vor. Was die Ampel plane, sei dem, was die Große Koalition 2020 getan habe, „sehr ähnlich“. Der Bundestag habe 2020 und 2021 gemeinsam mit der Bundesregierung Kredite in erheblichem Umfang zur Bewältigung der Corona-Pandemie bereitgestellt. Diese Gelder seien für die Stabilisierung des Gesundheitssystems gedacht gewesen – ebenso wie für die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und explizit auch für öffentliche Investitionen.
„Diesen breiten Konsens sollte die Union in der Opposition jetzt nicht aufkündigen“, sagte Kindler. Öffentliche Investitionen seien der nachhaltigste und beste Weg aus der Krise, befand er. Benötigt würden Investitionen, die dem 1,5-Grad-Ziel zugewandt sind und nachfolgende Generationen in den Blick nehmen. „Wir machen generationengerechte Haushaltspolitik“, sagte der Grünen-Abgeordnete.
Linke: Angriff auf Parlament und Grundgesetz
Der Bundesfinanzminister wolle 60 Milliarden Euro der Kontrolle des Parlaments weitgehend entziehen, beklagte Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke). „Das ist ein Angriff auf das Parlament und das Grundgesetz und ein denkbar schlechter Einstig für Finanzminister Lindner“, befand sie. Grundrechte einzuschränken und dem Parlament die Kontrollrechte zu entziehen, sei einer Demokratie unwürdig. Dass von den 240 Milliarden Euro, die der Bundestag an Corona-Krediten bewilligt habe, 60 Milliarden Euro nicht ausgegeben wurden, sei ihr unverständlich. Weder gebe es genug Luftfilter an den Schulen noch ausreichend Pflegekräfte und wohl auch zu wenig Impfstoff.
Viel Geld sei indes für die Rettung von DAX-Konzernen ausgegeben worden. „Aber kein Geld für die Menschen, die sich mit 450-Euro-Jobs über Wasser halten mussten und ohne Kurzarbeitergeld vor dem Nichts stehen“, kritisierte die Linken-Abgeordnete, die zugleich eine Vermögensabgabe für Superreiche forderte. Betroffen davon seien lediglich 0,7 Prozent der Bevölkerung.
FDP: Moderne Politik aus der Mitte
Mit dem Nachtragshaushalt schaue die Koalition auf die nächsten Jahre, sagte Otto Fricke (FDP). Um die Defizite bei den Investitionen nachzuholen werde der vom Parlament begleitete Fonds genutzt. Dadurch erhalte die Wirtschaft langfristige Planungssicherheit, die ihr die Union nicht gegeben habe.
Fricke betonte weiter, es würden keine neuen Schulden aufgenommen. Stattdessen würden überflüssige Garantien und Kreditermächtigungen gestrichen. „Das ist moderne Politik aus der Mitte“, sagte er. (hau/scr/16.12.2021)