Geplante Verantwortungsgemeinschaft stößt auf Kritik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) hat weitreichende Änderungen beim Abstammungsrecht, beim Abtreibungsrecht, beim Elterngeld und anderen staatlichen Leistungen für Kinder und Familien angekündigt. So sollen Frauen in gleichgeschlechtlichen Ehen automatisch beide als Mütter im Fall einer Geburt anerkannt werden. Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch soll gestrichen, Väter sollen nach der Geburt eines Kindes für zwei Wochen bezahlt von der Arbeit freigestellt und es soll eine Kindergrundsicherung eingeführt werden.
Bei der Union und der AfD stießen die Ankündigungen Spiegels in der familienpolitischen Debatte am Donnerstag, 13. Januar 2022, auf heftige Kritik: Die Ampelkoalition verwechsle Modernität mit Beliebigkeit, hieß es übereinstimmend aus beiden Fraktionen. Die Linksfraktion hingegen monierte eine mangelnde nachhaltige Unterstützung armer Familien. Aus den Fraktionen der SPD, der Grünen und der FDP bekam Spiegel hingegen Unterstützung für ihre Pläne zugesagt.
Ministerin: Lesbische Ehepaare mit anderen Ehen gleichstellen
„Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen“, stellte die Ministerin zum Beginn der Aussprache klar. Deshalb müssten auch alle Formen des familiären Zusammenlebens anerkannt und unterstützt werden. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP auf die Schaffung einer sogenannten „Verantwortungsgemeinschaft“ außerhalb der Ehe verständigt, in denen auch mehrere volljährige Personen rechtlich Verantwortung füreinander übernehmen können.
Spiegel kündigte zudem an, lesbische Ehepaare im Abstammungsrecht allen anderen Ehen gleichzustellen. So sollen beide Frauen bei der Geburt eines Kindes als Mütter anerkannt werden. Ersatzlos gestrichen werden soll nach dem Willen Spiegels der Paragraf 219a aus dem Strafgesetzbuch, in dem das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche festgeschrieben ist.
Änderungen stellte Spiegel auch beim Elterngeld in Aussicht. So sollen Väter nach der Geburt eines Kindes für zwei Wochen bezahlt von der Arbeit freigestellt werden. Auf Spiegels Agenda stehen zudem die Einführung einer Kindergrundsicherung und ein Sofortzuschlag für arme Familien während der Corona-Pandemie. Ebenso kündigte die Ministerin an, ein Demokratiefördergesetz einzubringen.
CDU/CSU: Kindeswohl muss immer an erster Stelle stehen
Dorothee Bär (CDU/CSU) kritisierte Spiegels Pläne für eine Verantwortungsgemeinschaft. Die Ampelkoalition verwechsle Modernität mit Beliebigkeit. Ehe und Familie stünden aus gutem Grund nicht nur unter dem Schutz des Grundgesetzes. Davon bliebe jedoch nur wenig übrig bei Einführung eines neuen Rechtsinstituts wie der Verantwortungsgemeinschaft, sagte Bär. Das Kindeswohl müsse immer an erster Stelle stehen.
Es sei heute schon schwer genug, bei der Scheidung einer Ehe bestehend aus zwei Elternteilen dem Kindeswohl gerecht zu werden. Die Unionsparteien hingegen hätten in der Vergangenheit stets eine Familienpolitik für alle gemacht und nicht bestimmte Familienmodelle einseitig unterstützt. Der Ampelkoalition warf Bär vor, die traditionelle Familie geringschätzig zu betrachten.
AfD: Alle Corona-Maßnahmen für Kinder abschaffen
Heftige Kritik an der Verantwortungsgemeinschaft und den geplanten Änderungen beim Abstammungsrecht kam auch aus den Reihen der AfD-Fraktion. Die Ampelkoalition wolle „die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern abschaffen“, sagte Martin Reichardt. Eine Elternschaft beruhe auf naturwissenschaftlichen Fakten und „nicht auf auflösbaren Verträgen“. Zwei Frauen könnten eben keine Kinder miteinander haben. Ministerin Spiegel sei eine „Biologie-Leugnerin“.
Reichardt forderte zudem die Abschaffung aller Corona-Maßnahmen für Kinder. Diese litten besonders stark unter den Auflagen. Kinder würden in Essstörungen und Depressionen getrieben, sagte Reichardt. So habe sich die Zahl der versuchten Selbstmorde bei Kindern während der Corona-Pandemie vervierfacht.
Linke: Kinder während der Corona-Pandemie besonders belastet
Auch Heidi Reichinnek (Die Linke) verwies auf die besonderen Belastungen für Kinder während der Corona-Pandemie. Davon seien vor allem die Kinder in armen Familien betroffen. Im Garten sitzend mit einem Laptop auf den Knien sei die Pandemie eben einfacher zu bewältigen als in einer Wohnung, in der sich zwei Kinder ein kleines Zimmer teilen müssten. Mit Blick auf die Rede des AfD-Abgeordneten Reichardt fügte sie hinzu, „statt zu pöbeln“ bräuchten diese Familien jedoch nachhaltige Hilfen.
Reichinnek monierte zudem die nach ihrer Ansicht mangelnden Aussagen des Koalitionsvertrages zum Thema Altersarmut und Alleinerziehende. Ein Fünftel aller Senioren lebe in Armut, sagte die Parlamentarierin.
SPD begrüßt Einführung einer Kindergrundsicherung
Breite Unterstützung für Ministerin Spiegel signalisierten hingegen Sozialdemokraten, Grüne und Liberale in der Debatte. Jasmina Hostert (SPD) begrüßte die Einführung einer Kindergrundsicherung: „Endlich bekommen wir das hin in dieser Koalition.“
Jedes fünfte Kind sei laut einer Bertelsmann-Studie von Armut betroffen. Die Teilhabe von Kindern am gesellschaftlichen Leben dürfe nicht von dem Glück abhängen, in guten Verhältnissen aufzuwachsen.
FDP: Streichung des Paragrafen 219a ein „Befreiungsschlag“
Gyde Jensen (FDP) und Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßten ausdrücklich die anvisierte Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch. Dies werde von vielen Menschen als ein „Befreiungsschlag“ wahrgenommen, sagte Jensen.
Die Gesellschaft habe die Unionsparteien in der Familienpolitik längst überholt. Es gehe nicht um die Frage von Modernität, „sondern von Realität“, sagte die FDP-Abgeordnete.
Grüne: Entstauben von Gesetzen nicht Karlsruhe überlassen
In diesem Sinne argumentierte auch Ulle Schauws von den Grünen: „Wir werden das Entstauben von Gesetzen nicht dem Bundesverfassungsgericht überlassen.“ Die Abschaffung des Paragrafen 219a sei im Sinne der Frauen und der Ärzte.
Schauws kündigte zudem an, dass die Koalition auch über eine Verlagerung des Paragrafen 218 zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch beraten wolle.