Ukraine-Krise dominiert Debatte über Außenpolitik, EU und Menschenrechte
In einer Grundsatzdebatte haben die Fraktionen im Bundestag am Mittwoch, 12. Januar 2022, über die Außen-, Europa- und Menschenrechtspolitik und die Vorhaben der neuen Bundesregierung auf diesen Feldern debattiert. Ein Schwerpunkt lag dabei auf dem russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und die darin liegende Bedrohung für Europa.
Ministerin: Aktuelle Spannungen mit Diplomatie lösen
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) stellte fest: „Die Souveränität der Ukraine und die Unverrückbarkeit der Grenzen in Europa sind für uns nicht verhandelbar.“ Eine militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine würde für Moskau „ein hohes Preisschild“ tragen. Die Lösung könne nur Diplomatie sein, „um die aktuellen Spannungen zu lösen“.
Baerbock kündigte zudem unter anderem ein humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders Schutzbedürftige aus Afghanistan an. Der Bundeswehreinsatz in dem Land und die Evakuierungsmission im Jahr 2021 müssten aufgearbeitet werden, aber die Bundesregierung arbeite derzeit auch mit Hochdruck daran, mehr Schutzbedürftige, darunter Frauen und Mädchen, aus Afghanistan herauszubringen.
CDU/CSU: Erste Bruchlinien werden sichtbar
Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) attestierte dem Koalitionsvertrag der Ampelparteien ein hohes Maß an außenpolitischem „Realismus und Pragmatismus“. Gleichwohl würden, etwa in der Bewertung russischer Aggression gegenüber der Ukraine, erste Bruchlinien sichtbar.
Wadephul monierte, dass bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Genf, bei denen es um elementare Sicherheitsinteressen Europas gehe, die Europäer nicht einmal am Katzentisch Platz nähmen und die neue Bundesregierung derzeit auch keinen Gestaltungswillen erkennen lasse, daran etwas zu ändern.
SPD: Handlungsfähigkeit der EU stärken
Dr. Nils Schmid (SPD) betonte, dass auf eine Aggression Russlands gegenüber der Ukraine wirtschaftliche Sanktionen folgen würden. „Die Optionen liegen auf dem Tisch“ – und zwar abgestimmt innerhalb der EU und mit den USA. Schmid hob die Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU „nach innen wie nach außen“ als ein zentrales Vorhaben der Ampelkoalition hervor.
Nicht die Zahl der Raketen entscheide im Systemwettbewerb zwischen autoritären Staaten und Demokratien, sondern die Frage, ob es letzteren gelinge, „einen hohen Lebensstandard und eine gerechte Gesellschaft zu organisieren“.
AfD wirft Baerbock Hybris vor
Petr Bystron (AfD) richtete seine Kritik insbesondere gegen die Grünen, die er mit Blick auf die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg 1999 als „Kriegstreiber“ bezeichnete. SPD und FDP müssten sich entscheiden, ob sie sich in diese Tradition oder in die Tradition der Suche nach Ausgleich wie bei Politikern wie Willy Brandt und Gustav Stresemann stellen wollten.
Außenministerin Baerbock suche zum Beispiel gegenüber Russland sofort die Konfrontation, obgleich Deutschland im hohen Maße auf Energieimporte angewiesen sei. Sie lege sich auch gleich mit China an, wohin 40 Prozent der in Deutschland produzierten Autos exportiert würden: „Welche Hybris!“
FDP kündigt eine nationale Sicherheitsstrategie an
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) bezeichnete „strategische Souveränität und strategische Solidarität“ als zentrale Vorhaben der Außenpolitik der Ampelkoalition und kündigte für den Herbst dieses Jahres eine nationale Sicherheitsstrategie an, in der das Drei-Parteien-Bündnis seine außen- und sicherheitspolitischen Ziele, Interessen und Werte definieren und bündeln wolle.
Es werde unter anderem um die Frage gehen, wie Deutschland und die EU-Partner „weniger abhängig, weniger verwundbar“ bei Energie, Rohstoffen und technologischen Innovationen werden könnten.
Linke: Es wird mit zweierlei Maß gemessen
Dr. Gregor Gysi (Die Linke) ging mit der Außenministerin ins Gericht. Im Fall Julian Assange habe sie „vor ihrem Ministeramt“ eine klare Meinung gehabt. Das gelte nun offenbar nicht mehr, „und das geht eben nicht, wenn man eine wertebasierte Außenpolitik“ für sich beanspruche.
Mit Blick auf den Russland-Ukraine-Konflikt erinnerte Gysi daran, dass der russische Präsident Putin 2001 sicherheitspolitisch die Hand ausgestreckt habe, der Westen aber „arrogant“ darüber hinweggegangen sei. Zudem werde mit zweierlei Maß gemessen: Niemals würden die USA und mit ihr die Nato es durchgehen lassen, wenn zum Beispiel auf Kuba oder in Mexiko russische Truppen stationiert würden. „Warum billigen Sie der USA Sicherheitsabstand zu, Russland aber nicht?“ (ahe/12.01.2022)