Experten für Beibehaltung von Test- und Maskenpflicht an Schulen
Für die Anwendung der S3-Leitlinie zu Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung in Schulen haben sich mehrere Sachverständige während einer öffentlichen Anhörung des vom Gesundheitsausschuss eingerichteten „Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie“ unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Donnerstag, 1. Juli 2021, ausgesprochen. Die Leitlinien sehen eine grundsätzliche Maskenpflicht innerhalb der Schule und die Pflicht zum Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes im Falle eines hohen Infektionsgeschehens vor. Gleichzeitig soll bei einem hohen Infektionsgeschehen Wechselunterricht stattfinden.
„Testen und Mund-Nasen-Schutz weiterführen“
Prof. Dr. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen, sagte während der Anhörung, er halte wenig davon, den Mund-Nasen-Schutz in geschlossenen Räumen der Schulen abzuschaffen. Zwar gebe es sinkende Inzidenzwerte. Das bedeute aber nicht, dass es nicht einzelne Infektionen in der Schule gegen könne, „die dann auch zu großen Infektionsketten führen können“.
Daher sei auch die Teststrategie an den Schulen, die auch zu den niedrigen Inzidenzwerten beigetragen habe, weiterhin wichtig. „Beide Maßnahmen sollten wir unbedingt weiterführen“, forderte er.
„Schulen sind keine Corona-Hotspots“
Aus Sicht von Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, sollte der Präsenzunterricht an den Schulen in jedem Falle angestrebt werden. Schulschließungen dürften nur die allerletzte Option zur Bekämpfung einer neuen Corona-Welle sein. Die Regelungen zum Maskentragen an Schulen, so Rodeck, sollten exakt den Empfehlungen der S3-Leitlinie folgen.
Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin verwies darauf, dass für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen „keine primäre hohe Krankheitslast“ zu erkennen sei. Auch sei die Rolle der Kinder und Jugendlichen bei der Ausbreitung von Corona begrenzt. Es habe sich nicht bestätigt, das Schulen Hotspots oder Kinder und Jugendliche Treiber der Infektion sind, sagte Rodeck.
„Testpflicht an Schulen führt zu Stigmatisierung“
Prof. Dr. Martin Schwab vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht an der Universität Bielefeld bezeichnete die Testpflicht an Schulen als problematisch mit Blick auf den Datenschutz.
Wenn ein Kind auf dem Schulgelände positiv getestet werde, sei das für alle anderen sichtbar. „In dieser sehr aufgeheizten Atmosphäre bedeutet das eine Stigmatisierung“, sagte Schwab. Dem Grundsatz der Datenminimierung nach der Datenschutzgrundverordnung werde die Testpflicht nicht gerecht.
„PCR-Pool-Verfahren bundesweit umsetzbar“
Prof. Dr. Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln, machte auf ein Pilotprojekt aufmerksam, an dem 98 Prozent aller Kitas und viele Schulen in Köln teilgenommen hätten. Bei der „Lolli-Methode“ würden Kinder und Kita- sowie Schulpersonal an einem Wattetupfer lutschen. Im Anschluss kämen sämtliche Abstriche in ein Sammelgefäß und würden im sogenannten PCR-Pool-Verfahren untersucht.
Das Verfahren sei deutlich aussagekräftiger als ein Schnelltest. Seit dem 10. Mai werde es in Kitas und Schulen in ganz Nordrhein-Westfalen angewandt, sagte Klein. Es sei eine große Akzeptanz bei den Beteiligten zu konstatieren. Seiner Auffassung nach ist auch eine bundesweite Umsetzung möglich, so der Virologe.
„Langfristige Auswirkungen für Kinder gravierend“
Zu den Auswirkungen von Schulschließungen und Lockdown äußerten sich Holger Hofmann vom Deutschen Kinderhilfswerk und Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. „Wir müssen damit rechnen, dass Kinder insgesamt instabiler werden“, sagte Hofmann mit Hinweis auf motorische Defizite. Die langfristigen Auswirkungen von Schulschließungen und Lockdown seien gravierend. Benötigt würden neben einer Schulbauoffensive besondere Maßnahmen zur Bewegungsförderung sowie psychosoziale Hilfsangebote.
Das Deutsche Kinderhilfswerk empfehle die Einrichtung eines Sonderfonds für Kommunen, aus dem temporäre Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche aus finanziell benachteiligten Verhältnissen finanziert werden, etwa durch eine Verstärkung von Angeboten der Hausaufgabenhilfe oder der Schulsozialarbeit, sagte Hofmann.
Defizite „auf dem Weg des Erwachsenwerdens“
Schülervertreter Schramm sieht Defizite gerade bei Fünft- und Sechstklässlern, die in dieser Zeit es eigentlich lernen sollten, sich selbst zu strukturieren und aus dem „Grundschul-Pflegebereich“ herauszukommen. Den 13- bis 15-jährigen Pubertären sei es wiederum nicht möglich gewesen, die in diesem Alter eigentlich üblichen sozialen Kontakte zu pflegen. Das höre sich banal an und werde oft unterschätzt. Es sei aber wichtig „auf dem Weg des Erwachsenwerdens“, sagte Schramm.
Zum Thema Testen und Masken sagte der Schülervertreter: Beides werde wohl ein ständiger Begleiter bleiben. Bei der Abwägung zwischen Testen und Maskentragen auf der einen und Homeschooling auf der anderen Seite seien sich die Schüler einig, „dass sie in jedem Falle den Präsenzunterricht vorziehen würden“.
Systemische Investitionen in Schulen
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, machte deutlich, dass die sozialen Defizite bei Schülern, die in Haushalten leben, wo ihnen keine Struktur gegeben werden konnte, größer seien als bei jenen, die eine große Unterstützung von zuhause hätten. „Deshalb ist es wichtig, dass in die Schulen systemisch investiert wird“, sagte sie. Förderunterricht anzubieten, in bestimmten Fächern, in denen die Kinder und Jugendlichen besondere Defizite aufgebaut haben, reiche nicht aus.
Mit Blick auf die Digitalisierung, sagte die GEW-Vorsitzende, es gebe Gelder, um den Lehrkräften Endgeräte zur Verfügung stellen zu können. Vor Ort gebe es aber oft das Problem, dass die Geräte für einige Aufgaben aus Datenschutzgründen nicht nutzbar seien.
„Deutschland bei Freien Bildungsmaterialien ein Entwicklungsland“
Bei Freien Bildungsmaterialien (Open Educational Resources, OER) zur Unterstützung der Lehrkräfte sei Deutschland ein Entwicklungsland, sagte Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. Es gebe kaum solche Systeme, die zielgerichtet eingesetzt werden können.
Insbesondere bei den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) gebe es zwar bundesweit ganz gute OER-Angebote. Diese würden aber von den Schulen nur sehr begrenzt genutzt. Das liege auch daran, so Köller, dass Lehrkräfte lieber etwas geliefert bekommen als dass sie aktiv suchen müssen. Nachholbedarf gebe es also bei der Nutzung der OER, aber auch bei der Qualitätssicherung der dort abgelegten Materialien.
„Ausstattung der Schulen mit Luftfiltern nur erste Hilfe“
Die vielfach geforderte Ausstattung der Schulen mit Luftfiltern sei „notwendig, aber nur eine erste Hilfe“, sagte Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).
„Was wir wirklich brauchen, ist eine strukturelle Therapie“, betonte er. Es brauche langfristig Schulsanierungen mit planbaren Mitteln.
Parlamentarisches Begleitgremium
Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die zahlreiche gesundheitliche und soziale Fragen mit sich bringt. Um sich damit intensiver befassen zu können, hat der Gesundheitsausschuss das Parlamentarische Begleitgremium Covid-19-Pandemie eingerichtet. Ihm gehören 21 Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss, aber auch aus anderen Fachausschüssen an.
Sein Arbeitsbereich umfasst im Wesentlichen drei große Themenblöcke. Zunächst sind dies Fragen der Pandemiebekämpfung, wozu beispielsweise die Erforschung des Virus und seiner Mutationen, Chancen durch Digitalisierung sowie internationale Aspekte gehören. Der zweite Themenblock umfasst den Komplex der Impfungen, mit dem sowohl die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen als auch der Zugang zur Impfung und die damit verbundenen ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte gemeint sind. Schließlich sollen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen in den Blick genommen werden.
Als Erkenntnisquelle dienen dem Begleitgremium öffentliche Anhörungen von Sachverständigen und Expertengespräche. Zudem wird die Bundesregierung das Gremium regelmäßig über das aktuelle Infektionsgeschehen und anlassbezogen zu aktuellen Fragen der Pandemiebekämpfung unterrichten. (hau/irs/01.07.2021)