Disput über prekäre Arbeitsbedingungen an Hochschulen
Seit Jahren schwelt die Debatte um prekäre Arbeitsbedingungen an Hochschulen. Mit dem 2016 novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetz wollte die Bundesregierung Nachwuchswissenschaftler eigentlich vor solchen besser schützen. Doch ohne Erfolg, kritisiert die Opposition, die in einer von der Fraktion Die Linke verlangten Aktuellen Stunde am Donnerstag, 24. Juni 2021, vor allem Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) Versagen vorwarf.
Die Linke moniert prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft
Tausende Wissenschaftler in Deutschland arbeiteten seit Jahren zu „miserablen Bedingungen“, kritisierte Nicole Gohlke (Die Linke) zum Auftakt der Debatte. Ihre Verträge seien dauerbefristet, nicht selten auf Laufzeiten von unter einem Jahr.
Viele Nachwuchswissenschaftler arbeiteten sogar auf Viertelstellen, von denen sich nicht einmal die Miete zahlen lasse. Kein Wunder, dass sich der Frust der Betroffenen nun in Protesten entlade, so die hochschul- und wissenschaftliche Sprecherin der Linksfraktion.
Scharfe Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Der Auslöser für die Empörung: Ein Video, das das Bundesbildungsministerium 2018 bereits veröffentlicht hatte, um die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) von 2007 zu erklären. Befristete Verträge würden dort als innovationsfördernd „schöngeredet“, schimpfte Gohlke. Für Nachwuchswissenschaftler, die sich über Jahre von Vertrag zu Vertrag hangelten, klinge das wie „Hohn“, hielt sie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vor.
Unter dem Hashtag #IchBinHanna schreibe der wissenschaftliche Nachwuchs von Zukunftsängsten, Leistungsdruck und unmöglicher Lebensplanung. Die Zustände seien „dramatisch“, fasste Gohke die Lage zusammen. Die Novelle des WissZeitVG von 2016 sei völlig ungenügend. Trotzdem verhinderten Union und SPD seitdem die dringend erforderliche Reform. Es brauche endlich „Dauerstellen für Daueraufgaben“, verlange die Abgeordnete.
Karliczek: Befristungen bieten Chance zur Qualifizierung
Ministerin Anja Karliczek wehrte sich gegen die Vorwürfe: Das Wissenschaftszeitgesetz, gegen das die Linksfraktion Sturm laufe, ziele doch genau darauf, Dauerbefristungen zu verhindern. Es begrenze die Zeit, in der junge Wissenschaftler sich auf befristeten Stellen qualifizieren könnten.
„Wären die Stellen nicht befristet, bekämen deutlich weniger Menschen dazu die Chance“, verteidigte die Ministerin die Regelung. In der wissenschaftlichen Arbeitswelt sei eine gewisse Rotation deshalb gewünscht. Dass dies zu „schwierigen persönlichen Situationen“ führen könne, sei leider wahr, räumte Karliczek ein. Doch zur Wahrheit gehöre eben auch, dass nicht jeder, der promoviere, in der Wissenschaft bleiben könne.
Union: „Viel getan“ für mehr Planungssicherheit
Die Ministerin hielt den Linken wiederum vor, das Gesetz zum „Sündenbock“ zu machen und vorzugeben, dass es „einfache Lösungen“ gebe. Die Bundesregierung habe viel getan, um Nachwuchswissenschaftlern nach der Qualifizierungsphase mehr Planungssicherheit zu geben, bekräftigte sie.
Dr. Astrid Mannes (CDU/CSU) verwies ergänzend auf die Exzellenzstrategie und den Zukunftsvertrag Studium und Lehre, den der Bund gemeinsam mit den Ländern verstetigt habe. „Zwei Milliarden Euro gibt der Bund jedes Jahr, damit die Länder und Hochschulen mehr Dauerstellen einrichten können“, betonte die Abgeordnete. Auch das Tenure-Track-Programm ziele darauf, Karrieren für Nachwuchswissenschaftler planbarer zu machen.
AfD kritisiert Universitäten als „Massenbetriebe“
Dr. Götz Frömming, Sprecher der AfD für Bildung und Forschung, sah zwar durchaus die Gefahr der „Ausbeutung“ von Doktoranden durch Professoren. Doch dem könne man durch ein „Bundesgesetz“ keinen Riegel vorschieben.
Der Kritik der Linken wollte sich der Abgeordnete nicht anschließen. „Diese betrachtet das Problem zu einseitig aus einer gewerkschaftlichen Perspektive“, bemängelte Frömming. Die hohe Zahl der Befristungen gehe eher auf „falsche politische Weichenstellungen“ zurück, welche die Universitäten aufgebläht und in den letzten Jahren zu „Massenbetrieben“ gemacht hätten.
SPD: „100 Prozent Bezahlung für 100 Prozent Arbeit“
„Dank“ an die Linksfraktion für die beantragte Debatte äußerte dagegen die SPD, deren Fraktionsmitglied Dr. Wibke Esdar sogleich die Chance ergriff, für ein jüngst beschlossenes Positionspapier zu werben. Darin schlage ihre Fraktion vor, die Laufzeit von Promotionsverträgen verbindlich auf mindestens drei Jahre festzulegen, so Esdar.
Wer danach weiter in der Wissenschaft arbeiten wolle, solle spätestens nach einem Jahr eine Dauerstelle bekommen oder eine klare Karriereperspektive für eine Professur. Zudem drängte die Abgeordnete auf bessere Arbeitsbedingungen: Wer promoviere, arbeite „100 Prozent“ – und müsse auch „100 Prozent Bezahlung bekommen“.
FDP: Spitzenforschung braucht Planbarkeit
Die Bedeutung guter Arbeitsbedingungen für den Erfolg hob Dr. h.c. Thomas Sattelberger (FDP) hervor: Exzellente Wissenschaft lebe von „Begabung, Können und Motivation“, aber Doktoranden arbeiteten meist in einem „außerordentlichen Abhängigkeitsverhältnis“ zu Doktorvater oder -mutter.
Auch Postdocs hangelten sich oft von Vertrag zu Vertrag. Der „Innovationsfreude des Einzelnen und dem Innovationsoutput des Wissenschaftssystems“ sei diese Situation kaum zuträglich. „Wenn wir Spitzenforscher wollen, müssen wir ihnen eine planbare Lebenssituation bieten“, verlangte der Liberale. Hierfür habe die Bundesregierung viel zu wenig getan.
Grüne kritisieren „ambitionslose“ Wissenschaftspolitik
Diese Auffassung vertrat auch Kai Gehring, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen für Forschung, Wissenschaft und Hochschule. Statt Schadensbegrenzung nach einem „Twitter-Gewitter“ zu betreiben, solle die Bildungsministerin lieber Kettenbefristungen bekämpfen, forderte Gehring.
Die aktuelle Misere habe die Regierungskoalition durch ihre „ambitionslose“ Wissenschaftspolitik verursacht. Einfach „ausgesessen“ sei die wichtige Evaluation der WissZeitVG-Novelle, kritisierte der Grünen-Abgeordnete. In der letzten Sitzungswoche ein Positionspapier zu präsentieren, helfe auch nicht mehr, so Gehring mit einem Seitenhieb auf die SPD. (sas/24.06.2021)