Zeit:
Mittwoch, 24. Februar 2021,
16
bis 18 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Der Ausschuss Digitale Agenda unter Vorsitz von Manuel Höferlin (FDP) hat sich am Mittwoch, 24. Februar 2021, in einer öffentlichen Anhörung mit der Datenstrategie der Bundesregierung (19/26450, 19/16075) sowie einem Antrag der FDP-Fraktion zur Datenpolitik (19/26538) befasst. Viel Lob gab es von den sieben Sachverständigen für die Grundrichtung der Strategie, aber auch Detailkritik, vor allem an den konkreten Maßnahmen.
Kelber: Die Bilanz fällt gemischt aus
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Professor Ulrich Kelber sagte, die Vorlage schaffe Orientierungspunkte für Bürger, die Bilanz falle jedoch gemischt aus. Positiv sei das Bekenntnis zu Datenschutz und Selbstbestimmung, andererseits kämen beide Punkte im Maßnahmenkatalog zu kurz.
Der Verweis auf das „Unberührtbleiben“ der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angesichts der Dimension der geplanten Handelbarkeit von Daten erscheine ihm nicht zutreffend, denn die Veränderung erschließe sich erst aus der Zusammenschau mit dem Gesamtpaket an Maßnahmen auf europäischer Ebene, sagte Kelber. Der gesetzliche, regulatorische Rahmen auch für die vorliegende Datenstrategie komme im Wesentlichen aus Brüssel, sagte Kelber.
Specht-Riemenschneider fehlt eine Problemlösungsstrategie
Die Sachverständige Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sagte: „Die Grundrichtung der Strategie stimmt“, es habe wichtige Problemidentifikationen gegeben, aber es mangele an einer Problemlösungsstrategie. Sie betonte, Datenzugangsansprüche sollten nicht horizontal, sondern grundsätzlich sektorspezifisch und auf Grundlage des tatsächlichen Bedarfs vorgesehen werden. Daneben brauche es auch zweckgebunden intersektorale Datenzugangsansprüche für die Wissenschaft.
Datentreuhandlösungen nannte sie „die zentrale Einheit zur Lösung einer Reihe von Problemen in der Datenwirtschaft und -forschung. So könnten sie etwa sie eine wesentliche Rolle etwa für das Trainieren Künstlicher Intelligenzen mit den geteilten Daten oder bei der Anonymisierung und Pseudonymisierung von Datenbeständen einnehmen.
Heckmann: Die Strategie ist gelungen
Ausdrückliches Lob für die Strategie kam von Prof. Dr. Dirk Heckmann von der TUM School of Governance München: “Ich halte die Strategie für sehr gelungen und angemessen konkret„, sagte Heckmann. Zu den Stärken zähle die Ausgewogenheit der strategischen Ziele. Er lobte auch, dass der dringende Forschungsbedarf erkannt wurde.
Die Strategie erkenne zudem auf allen Ebenen die Herausforderungen für Sachdaten. So sei die Nutzung personenbezogener Daten zu gemeinwohlorientierten Zwecken wie etwa der Forschung oder der Pandemiebekämpfung nicht ausgeschlossen wenn Datenschutz durch Technikgestaltung gegeben sei.
Blankertz: Die Strategie setzt keinen Rahmen
Auch Aline Blankertz von der Stiftung Neue Verantwortung begrüßte die Strategie, bemängelte aber, dass es sich nicht um eine Strategie handele, die einen Rahmen setze: “Sie listet 234 Maßnahmen auf, von denen 62 Prozent bereits laufen„, sagte Blankertz. Besonders ausgeprägt sei dies in den ersten drei Themenbereichen der Strategie. Für die Zielsetzung einer Dateninfrastruktur bedürfe es jedoch messbarer Ziele.
Im Hinblick auf Möglichkeiten für Verbraucher brauche es Werkzeuge, damit Interessen auch durchgesetzt werden könnten. Dies betreffe etwa die Datentreuhandmodelle, die noch stärker gefördert werden sollten. Sie begrüße zudem das Nutzbarmachen von Daten – ohne vertrauliche Elemente preiszugeben – als wichtigen Forschungsbereich.
Richter: Ziel muss Klarheit bei der Anonymisierung sein
Frederick Richter von der Stiftung Datenschutz betonte, dass Datennutzung auch Datenverantwortung sei. Vordringlichstes Ziel müsse Klarheit im Bereich der Anonymisierung sein. Er befürworte, dass die Datenkompetenz weiter ausgebaut werden solle. Dies sei die Grundlage für einen bewussten Umgang durch wirtschaftliche Akteure, aber auch Nutzer. Er begrüße auch, dass sich die Bundesregierung gegen die Schaffung eines “Dateneigentums„ ausgesprochen habe. Ein solches Verfügungsrecht an Daten sei nicht kompatibel mit dem europäischen Datenschutzregime.
Hinsichtlich der angestrebten neuen Datennutzungskultur sagte Richter: “Aus meiner Sicht ist dies eine Verbindung aus der Datenschutzkultur, die wir schon lange haben und einer Datennutzungskultur, die noch etwas angefeuert werden muss.„
Litta: Ungleichgewicht zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl
Auch Dr. Henriette Litta von der Open Knowledge Foundation Deutschland betonte, dass die Strategie wirtschaftliche Innovationskraft und Datenschutz nicht gegeneinanderstelle. Es gebe jedoch ein Ungleichgewicht zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl; so würden wirtschaftliche Aspekte überbetont, der Umgang mit Daten aus nicht-wirtschaftlicher Sicht jedoch wenig beleuchtet. Um die digitale Souveränität zu stärken, brauche es eine nachhaltige Förderung von Open-Source-Infrastruktur, sagte Litta.
Dem Open-Source-Ökosystem in Deutschland fehlten gezielt Investitionen, besonders im Bereich der offenen Basistechnologien, etwa bei Protokollen oder Code-Bibliotheken. Die Zivilgesellschaft müsse außerdem als kompetenter Partner begriffen werden. Um den Staat wirklich zu einem Vorreiter zu machen, müsse das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterentwickelt werden, sagte Litta.
Ehrig: Enttäuschend aus Verbrauchersicht
Den Blick auf Chancen und Risiken richtete Lina Ehrig vom Verbraucherzentrale Bundesverband: “Moderne Formen der Datenverarbeitung können einen großen Gewinn darstellen und Lösungen für gesellschaftliche Probleme bieten„, sagte sie. Die Strategie suche daher nach Wegen, die Chancen der Digitalisierung durch die Förderung der Datennutzung zu realisieren und gleichzeitig die Schutzbedürftigkeit zu sichern. Bedauerlich sei, dass die aufgeführten Maßnahmen aus Verbrauchersicht “eher enttäuschend„ ausfielen, sagte Ehrig.
Es seien Vorhaben aufgeführt, die ohnehin praktisch umgesetzt werden müssten, viele Prüfaufträge angekündigt und unverbindliche Absichtserklärungen und Forschungsvorhaben genannt. Der Charakter der Verbindlichkeit fehle. Gewünscht hätte sie sich etwa verpflichtende Regeln für Nachvollziehbarkeit-by-Design, damit Entscheidungskriterien und -logiken algorithmischer System nachvollziehbar seien.
Eckpunkte einer Datenstrategie
Wie die Bundesregierung in ihren Eckpunkten einer Datenstrategie (19/16075) schreibt, werde in Deutschland trotz immenser Chancen und trotz fortschreitender Digitalisierung das enorme Innovationspotenzial von Daten für Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Staat bei Weitem nicht ausgeschöpft. Dies wolle die Bundesregierung ändern. Sie werde, heißt es in der Unterrichtung, eine Datenstrategie erarbeiten, deren Ziel es sei, die verantwortungsvolle Bereitstellung und Nutzung von Daten durch Personen und Institutionen in (Zivil-)Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Bundesverwaltung in Deutschland signifikant zu steigern, keine neuen Datenmonopole entstehen zu lassen, eine gerechte Teilhabe zu sichern und zugleich Datenmissbrauch konsequent zu begegnen.
Die Datenstrategie soll in vier Handlungsfeldern entwickelt werden. Unter anderem soll die Datenbereitstellung verbessert und der Datenzugang gesichert werden. Außerdem sollen eine verantwortungsvolle Datennutzung befördert, Innovationpotenziale gehoben, die Datenkompetenz erhöht und eine Datenkultur etabliert werden. Dabei soll der Staat zum Vorreiter gemacht werden.
Datenstrategie der Bundesregierung
Gegenstand der Anhörung ist auch die Datenstrategie selbst mit dem Titel “Eine Innovationsstrategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltiges Wachstum„ (19/26450). Darin heißt es, Daten bildeten die Grundlage der digitalen Gesellschaft, sie seien bislang in Deutschland und Europa aber “noch immer zu wenig genutzt.„ Mehr Daten innovativ, verantwortungsvoll und gemeinwohlorientiert zu nutzen, könne das Zusammenleben verbessern und natürliche Ressourcen schützen. Auf der Basis europäischer Werte müsse eine gerechte Teilhabe gesichert, müssten Datenmonopole verhindert und müsse Datenmissbrauch konsequent begegnet werden, heißt es weiter.
Die Institutionen müssten sich etwa beständig weiterentwickeln, um “der Dominanz von marktbeherrschenden Unternehmen zu begegnen„, schreibt die Bundesregierung. Der Datenschutzstandard in Europa biete ein starkes Fundament, auf dem diese Strategie aufsetze. Auch in Politik und Verwaltung könnten Daten etwa helfen, Entscheidungen auf eine solidere Grundlage zu stellen und Regulierungen und Leistungen zu schaffen, die besser auf Bedürfnisse von Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft eingehen.
Die Strategie umfasst vier Handlungsfelder: Das erste behandelt leistungsfähige und nachhaltig ausgestaltete Dateninfrastrukturen. Zweitens die Steigerung der innovativen und verantwortungsvollen Datennutzung. Drittens soll die Datenkompetenz erhöht und eine neue Datenkultur etabliert werden. Viertens will die Bundesregierung den Staat zum Vorreiter dieser neuen Datenkultur machen. Die Umsetzung der Strategie werde durch ein Fortschrittsmonitoring begleitet.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/26538) die Umsetzung von wichtigen Weichenstellungen im Bereich der Digitalpolitik noch in dieser Legislaturperiode. Dies beinhalte etwa, im Bereich der Datenautonomie den Einsatz von Datentreuhändern zur Förderung der “Selbstbestimmung über personenbezogene Daten„ bei auftretenden Informationsasymmetrien oder Machtungleichgewichten bei Anbietern und Nutzern von Daten voranzubringen.
Hinsichtlich der Datenökonomie fordern die Liberalen, im Rahmen der deutschen Beteiligung am GAIA-X-Projekt die Einführung von Strukturen für Datendrehscheiben und gemeinsame Datenpools voranzutreiben und sich dafür einzusetzen, dass die Strukturen miteinander verknüpft werden können.
Im Bereich von Daten als Innovationstreiber fordern die Abgeordneten die Bundesregierung auf, sich bereits vor der nächsten Evaluierung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auf europäischer Ebene für die Anpassung der Definition personenbezogener Daten in Artikel 4 einzusetzen, um eine trennscharfe Unterscheidung zu ermöglichen. Auch gehöre dazu, die Vermittlung “grundlegender Fähigkeiten im Umgang mit Daten„ in den bildungspolitischen Fokus zu rücken, heißt es im Antrag weiter. (lbr/24.02.2021)