Zwischen begrüßenswertem Schub für die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung und datenschutzrechtlichen Bedenken lag die Bandbreite der Expertisen, als es am Montag, 3. Mai 2021, bei einer Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) um den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“ (AZR, 19/28170) ging. Das AZR soll danach zu einer umfassenden Datenbank ausgebaut werden.
„Grundlage für rechts- und treffsicherere Entscheidungen“
Dagmar Dahmen vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration verspricht sich von der geplanten AZR-Änderung, dass die Sachbearbeitung vor Ort deutlich erleichtert werde. Sie verwies auf die Vielzahl der mit Ausländern befassten Behörden.
Wichtig sei, dass diese auch im Austausch untereinander auf die gleiche Datenbasis und die gleiche Datensicherheit zurückgreifen könnten. Mit der Umsetzung des Gesetzentwurfs werde die Grundlage für rechtssicherere und treffsicherere Entscheidungen geschaffen.
„Defizite beim Schutz der Betroffenen“
Bernward Ostrop (Deutscher Caritasverband) stellte fest, dass die Zentralisierung von Daten für die Behörden Effizienzvorteile biete. Es gebe jedoch eine zweite Seite: die der Betroffenen. Die Zentralisierung berge Gefahren gerade für Personengruppen, die häufig diskriminiert und bedroht würden.
Je höher der Grad der Zentralisierung und damit der Missbrauchsmöglichkeiten, desto transparenter und besser müssten auch die Vorschriften für den Schutz der Betroffenen sein. Daran fehle es beim gültigen Gesetz und beim vorgelegten Gesetzentwurf.
„Es bedarf einer grundrechtlichen Rechtfertigung“
Prof. Dr. Thomas Petri, bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, erklärte, die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, den Umbau des AZR von einem staatlichen Register in eine zentral geführte Datenbank, könne er angesichts der zahlreichen Mehrfachstrukturen im Ausländerbereich verstehen. Es wäre allerdings dringend an der Zeit, die Ausgestaltung der Betroffenenrechte an den neuen Charakter des AZR anzupassen.
Angesichts der zahlreichen Behörden, die Zugriff auf das AZR erhielten, bedürfe es einer grundrechtlichen Rechtfertigung. Sonst sei das Gesetz verfassungswidrig. Eine bloße Arbeitserleichterung reiche als Rechtfertigung nicht aus.
„Nutzen durch beschleunigte Arbeitsprozesse“
Heinrich Ringkamp (Bundesverwaltungsamt, Ausländerzentralregister) legte dar, die angestrebten neuen gesetzlichen Regelungen würden durch eine zentrale Datenhaltung dazu beitragen können, die bisherige Praxis und Notwendigkeit von Mehrfacherhebungen identischer Daten deutlich zu verringern. Akten und Dokumente müssten nicht mehr umständlich über den Postweg versandt werden, sondern könnten durch die neue Dokumentenablage direkt im AZR eingespeichert und abgerufen werden.
Der Nutzen für die Betroffenen liege in einer Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Das Register bliebe damit Vorreiter einer weiteren Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung.
„Gesetzentwurf verstärkt die bisherigen Defizite“
Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise meinte, schon das derzeit geltende Gesetz verstoße gegen verfassungs- und europarechtliche Vorgaben. Der vorliegende Gesetzentwurf verstärke die informationellen Eingriffe und damit die bisherigen Defizite.
Mit der angestrebten Zentralisierung der Datenhaltung im AZR – einer grundlegenden Weichenstellung – sei es geboten, die Gesamtstruktur der ausländerrechtlichen Datenverarbeitung zu hinterfragen. Die Steigerung der Effektivität dürfe nicht auf dem Rücken der Betroffenen erfolgen.
„Daten vor unkontrolliertem Abfluss schützen“
Nach Ansicht von Dr. Philipp Wittmann (Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg) begegnet die geplante Fortentwicklung des AZR keinen grundsätzlichen Bedenken. Sie könne zur Modernisierung und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung beitragen, die auch mit einem hohen Datenschutzniveau nicht unvereinbar sei.
Freilich warf er Fragen auf. So verwies er darauf, dass für einen behördlichen Direktzugriff nach dem Entwurf im AZR vorgehaltene Dokumente Einzelangaben über den Lebensweg, politische Überzeugungen, geschlechtliche Orientierung, psychische und physische Erkrankungen und begangene Straftaten von Ausländern und ihren Familien enthielten. Sie müssten den größtmöglichen Schutz vor dem Abfluss an ausländische Stellen und unkontrolliertem und unnötigem Zugriff inländischer Bedarfsträger haben.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das AZR soll laut Gesetzentwurf zum führenden und zentralen Ausländerdateisystem für alle ausländerrechtlichen Fachverfahren weiterentwickelt werden mit der Folge, „dass AZR-relevante Daten nur einmal erhoben, im AZR gespeichert und auch von dort in die Fachverfahren übernommen werden können“.
Zukünftig sollen bestimmte, bisher in den Ausländerdateien vorgehaltene Daten laut Vorlage unmittelbar an das Ausländerzentralregister übermittelt und nur noch dort gespeichert sowie die diesbezüglichen Dateisysteme der Ausländerbehörden bei Änderungen am Datenbestand des AZR automatisiert aktualisiert werden.
Möglichkeit einer zentralen Dokumentenablage
Um das AZR als zentrales Ausländerdateisystem nutzen zu können, soll den Angaben zufolge die Möglichkeit einer zentralen Dokumentenablage geschaffen werden, unter anderem für Dokumente, die von Ausländern bereits im Original vorgelegt wurden und regelmäßig auch von anderen Behörden im Volltext kurzfristig benötigt werden, wie Ausweis- und Identifikationsdokumente.
Bei ausländischen Ausweisdokumenten bestehe die Möglichkeit, auch die Ergebnisse der Echtheitsprüfung zu speichern. Eine zentrale Ablage und Dokumentation der Validität erlaube es somit anderen Behörden, dort vorgelegte Ausweisdokumente mit den gespeicherten abzugleichen und auf eigene Echtheitsüberprüfungen zu verzichten.
Zentrale Speicherung des Asylbescheids
Es bestehe auch der Bedarf, den Asylbescheid zentral zu speichern, da dieser für aufenthaltsrechtliche Zwecke von den Ausländerbehörden benötigt werde, heißt es in der Vorlage weiter.
Zudem sollten ausländerrechtliche Entscheidungen, die eine vollziehbare Ausreisepflicht begründen, zentral gespeichert werden, damit diese beispielsweise im Rahmen der Rückführung für die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen von den zuständigen Stellen abgerufen werden können. Gleiches gelte für gerichtliche Entscheidungen in ausländer- oder asylrechtlichen Verfahren. (fla/03.05.2021)