Sachverständige fordern mehr Verbraucherbildung an Schulen
Wie können Kinder und Jugendliche dazu befähigt werden, selbstbestimmte Konsumentscheidungen zu treffen? Und wie steht es um die Verbraucherbildung an Schulen? Das waren einige der Fragen, mit denen sich die Kinderkommission des Bundestages (Kiko) am Mittwoch, 19. Mai 2021, während eines öffentlichen Fachgesprächs beschäftigt hat. Das Thema der Sitzung unter Leitung von Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Bündnis 90/Die Grünen) lautete „Kinder als Verbraucher*innen“.
Junge Menschen als bevorzugte Zielgruppe
„Bereits Kinder und Jugendliche verfügen über eine hohe Kaufkraft“, ist Dr. Vera Fricke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) überzeugt. Der Dachverband macht sich für einen starken Verbraucherschutz in Deutschland stark und setzt sich dafür ein, Verbraucherbildung bundesweit in der Schule zu verankern. Fricke, die das Team Verbraucherbildung leitet, sagte: „Als Zielgruppe sind junge Menschen für Unternehmen sehr interessant.“
Kritik übte die Expertin an Lebensmitteln mit Kinderoptik. Denn gerade die enthielten oftmals zu viele Fette, Zucker und Salze. Dabei seien rund 15 Prozent der Drei- bis 17-jährigen übergewichtig, ein Drittel davon adipös. Bei der Gestaltung von Lebensmitteln gebe es Handlungsbedarf, sagte Fricke und forderte: „Es braucht klare gesetzliche Reglungen.“ Sie sprach sich dafür aus, dass ungesunde Lebensmittel nicht mehr an Kinder gerichtet vermarktet werden.
Expertin fordert mehr Verbraucherbildung an Schulen
Außerdem forderte die Sachverständige, Kinder und Jugendliche müssten dazu befähigt werden, eine selbstbestimmte Entscheidung im Konsumalltag zu treffen. Ein wichtiger Hebel sei dabei die Verbraucherbildung an Schulen. Wie Fricke sagte, beschäftigt sich damit auch ein Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2013. Dieser zeige vier Handlungsfelder auf: erstens Finanzen, Marktgeschehen und Verbraucherrecht, zweitens Ernährung und Gesundheit, drittens Medien und Information und viertens nachhaltiger Konsum und Globalisierung.
Trotzdem gebe es bis heute bundesweit keine systematische Verankerung von Verbraucherbildung an Schulen, kritisierte Fricke. Die Expertin forderte, Verbraucherbildung müsse als eigener, prüfungsrelevanter Bestandteil bundesweit in der Curricula aller Schulformen verankert werden. Um dem Thema eine Bühne zu bieten habe der VZBZ die Auszeichnung „Verbraucherschule“ ins Leben gerufen.
„Verbraucherschutz heißt auch Umweltschutz“
Zwei, die auf eine solche von der VZBV ausgezeichnete „Verbraucherschule“ gehen, sind Shae Hampl und Merlin Gißrau. Die beiden besuchen die werkpädagogische Klasse der Ellen-Key-Schule in Berlin. „Ich bin echt stolz auf meine Schule, wenn es um Verbraucherschutz geht“, sagte Hampl und berichtete den Kiko-Mitgliedern vom schuleigenen Bienenstock und dem selbstangebauten Gemüse.
Die Schülerin ist überzeugt: „Verbraucherschutz heißt auch Umweltschutz.“ Sie forderte, junge Menschen müssten schon früh an das Thema herangeführt werden. Zum Beispiel, indem sie in der Schule über die Folgen von Massentierhaltung aufgeklärt werden.
Entscheidungen bewusst treffen
Verbraucherschutz sei leider oft ein gesellschaftliches Randthema, fügte Gißrau hinzu. Dabei beginne das Dasein als Verbraucherin oder Verbraucher schon früh. Gerade mit Blick auf Kinder und Jugendliche gebe es allerdings viele offene Fragen. Wieso etwa gebe es – anders als beim Tabak – kein Plakatverbot für alkoholische Getränke?
Gißrau sagte: „Es braucht mehr Maßnahmen zum Verbraucherschutz, aber auch zur Verbraucherbildung.“ Jeder müsse seine eigene Entscheidung treffen, so der Schüler. „Aber jede und jeder hat das Recht darauf, diese Entscheidung bewusst zu treffen.“ Hier sei die Politik in der Verantwortung. Er forderte zum Beispiel eine verpflichtende Mehrwertkennzeichnung sowie die Herabsetzung des Wahlalters, um die Partizipation junger Menschen zu stärken.
Jugendliche testen Produkte und Dienstleistungen
Auch Bettina Dingler von der Verbraucherorganisation Stiftung Wartentest betonte die Bedeutung von Verbraucherbildung. Seit zwanzig Jahren leitet Dingler den Schülerwettbewerb „Jugend testet“, bei dem Jugendliche eigenständig Produkte und Dienstleistungen testen. Sie entwickeln Prüfkriterien, führen Tests durch, werten ihre Ergebnisse aus. Getestet wird alles, was die Zwölf- bis 19-Jährigen interessiert, erklärte die Expertin, vom Radiergummi bis zur Damenbinde.
Im Trend liegt bei den Schülerinnen und Schülern Dingler zufolge vor allem das Thema Digitalisierung. Immer mehr Tests drehten sich um Apps, Streaming, Videokonferenztools und Onlineshopping. Auch Umwelt und Nachhaltigkeit ständen hoch im Kurs, sagte die Expertin. Etwa Tests zur vegetarischen oder veganen Ernährung. Zudem spielten auch bei den Tests immer öfter Umweltkriterien eine Rolle.
Eigene Kriterien für Kaufentscheidung bilden
Dingler ist überzeugt: „Der Wettbewerb leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbraucherbildung.“ Die Jugendlichen lernten, eigene Kriterien für Kaufentscheidungen zu bilden. Außerdem merkten sie, dass Preis und Qualität nicht dasselbe seien, sie verständen Produktvergleiche zu lesen sowie zu interpretieren und machten die Erfahrung selbst wirksam zu sein.
Dazu kämen soziale Lernerfahrungen wie der Rollenwechsel als Produkttesterin oder Produkttester, die Zusammenarbeit mit anderen und Schule als Erfahrungsraum wahrzunehmen.
Nachwuchstesterinnen vergleichen Gemüsekisten-Abos
Wie genau so ein Test für den Schülerwettbewerb ablaufen kann, davon berichteten Johanna Langemeyer und Sophie Voß. Die beiden Nachwuchstesterinnen aus Siegen landeten mit ihrem Dienstleistungstest von Gemüsekisten-Abos vergangenes Jahr auf dem Siegertreppchen.
In einem Projektzeitraum von etwa sechs Wochen verglichen sie fünf unterschiedliche Anbieter, wie sie den Kiko-Mitgliedern erzählten. Bewertet hätten sie Homepage, Kundenservice, Nachhaltigkeit, Produktkriterien und Zusatzangebote. Das Ergebnis ihrer Auswertung: kaum Unterschiede beim Kriterium Homepage, dafür umso mehr bei Preis und Nachhaltigkeit.
Zugang zu Informationen
Der Wettbewerb sei ein praktisches Beispiel für Partizipation von Kindern und Jugendlichen, so die Nachwuchstesterinnen. Während des Projekts hätten sie sich intensiv mit Lebensmitteln auseinandergesetzt. Dabei hätten sie aber auch erfahren, wie schwierig es sein könne, an neutrale Informationen zu kommen.
Sie forderten, es brauche politische Rahmenbedingungen für einen vereinfachten Informationszugang. Außerdem solle jeder Mensch Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben. „Nachhaltigkeit“, forderte Langemeyer, „sollte unabhängig von Einkommen möglich sein.“ (irs/19.05.2021)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Bettina Dingler, Stiftung Warentest
- Dr. Vera Fricke, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
- Merlin Gißrau, Ellen-Key-Schule Berlin
- Shae Hampl, Ellen-Key-Schule Berlin
- Johanna Langemeyer, „Jugend testet“ 2020
- Beate Schulze, Ellen-Key-Schule Berlin
- Sophie Voß, „Jugend testet“ 2020